European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00064.24X.0911.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
In der Rechtshilfesache AZ 20 HSt 67/23g der Staatsanwaltschaft Salzburg verletzt die Anordnung der Sicherstellung dieser Staatsanwaltschaft vom 22. September 2023 (ON 8 Punkt I) § 109 Z 1 StPO und § 102 Abs 2 Z 3 StPO iVm § 110 Abs 1 StPO.
Diese Anordnung wird aufgehoben.
Gründe:
[1] Im Verfahren gegen A* und andere wegen strafbarer Urheberrechtsverletzung nach Titel 17 United States Code § 506 (a) (1)(A) und anderer strafbarer Handlungen ersuchte das Justizministerium der Vereinigten Staaten von Amerika mit Schreiben vom 11. August 2023 (ON 2.4, 2 ff [deutsche Übersetzung S 16 ff]) um Rechtshilfe, indem der Zugriff auf eine (konkret bezeichnete) Internet-Domain gesperrt werde, die Nutzer der Website auf diese Sperre hingewiesen werden und auf einer „Splash Page“ gepostet werde, dass die Website auf Ersuchen der US-Behörden von österreichischen Behörden beschlagnahmt worden sei.
[2] Daraufhin ordnete die Staatsanwaltschaft Salzburg am 22. September 2023 – soweit hier von Bedeutung – „gemäß § 110 Abs 1 Z 1 und 3 StPO“ dieSicherstellung der durch eine Vergabestelle in Salzburg registrierten Domain an, indem sie der Vergabestelle die „Übertragung der genannten Domain“ durch Eintragung einer Sicherheitsbehörde des ersuchenden Staats als neuen Registranten und die Umleitung der Domain auf zwei in der Anordnung angeführte IP‑Adressen (Nameserver) auftrug (ON 8 Punkt I).
[3] Ein Antrag auf gerichtliche Beschlagnahme nach § 113 Abs 3 StPO erfolgte nicht.
Rechtliche Beurteilung
[4] Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht die Anordnung der Staatsanwaltschaft vom 22. September 2023 (ON 8 Punkt I) mit dem Gesetz nicht im Einklang:
[5] Der durch den Registrierungsvertrag mit einer Domain-Vergabestelle erworbene Anspruch auf Nutzung einer Internet-Domain stellt eine geschützte Eigentumsposition nach Art 1 des 1. ZPMRK dar (EGMR 18. 9. 2007, 25379/04 ua, P.GmbH/Deutschland; 3 Ob 287/08i; Thiele in Kucsko/Schumacher, marken.schutz3 § 12 Rz 45; Rassi, Exekution auf Internetrechte nach der GREx, ecolex 2021/698, 1070).
[6] Gemäß § 110 Abs 2 StPO ist die (einen Eingriff in eine geschützte Eigentumsposition darstellende) Maßnahme der Sicherstellung von der Staatsanwaltschaft anzuordnen.
[7] Nach der Definition des § 109 Z 1 StPO ist Sicherstellung die vorläufige Begründung von Verfügungsmacht über Gegenstände (lit a) und das vorläufige Verbot der Herausgabe von Gegenständen oder anderen Vermögenswerten an Dritte (Drittverbot) und das vorläufige Verbot der Veräußerung oder Verpfändung solcher Gegenstände und Werte (lit b).
[8] Dem Gesetzeswortlaut folgend ist Sicherstellung durch vorläufige Gewahrsamsbegründung (Verfügungsmacht) nur in Bezug auf Gegenstände, also bewegliche körperliche Sachen, zulässig (EBRV 25 BlgNR 22. GP 153; Tipold/Zerbes, WK-StPO § 109 Rz 2). Nicht vorgesehen ist in § 109 Z 1 StPO somit, dass andere Vermögenswerte (als Gegenstände) in behördliche Verwahrung genommen werden (14 Os 137/22m, RIS-Justiz RS0133580 [T2]).
[9] Steht die Sicherstellung eines anderen Vermögenswertes (als Gegenstände) in Rede, kommen nach § 109 Z 1 lit b StPO nur das Drittverbot oder das Verbot der Veräußerung oder Verpfändung in Betracht.
[10] Bei Internet-Domains handelt es sich nicht um Gegenstände im Sinn des § 109 Z 1 lit a StPO, sondern um unkörperliche Sachen (§ 292 ABGB; Holzner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 292 Rz 2; Helmich in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 292 Rz 8).
[11] Daraus folgt, dass Sicherstellung durch Begründung von Verfügungsmacht, wie sie mit der Übertragung einer Domain durch Eintragung eines neuen Registranten und „Umleitung“ auf entsprechende Nameserver einhergeht, jedenfalls ausscheidet.
[12] Internet-Domains auf Dritte zu übertragen, räumt auch die Befugnis des § 109 Z 1 lit b StPO nicht ein.
[13] Soweit sich die Staatsanwaltschaft in ihrer Anordnung auf das Drittverbot, die sinngemäße Geltung der Exekutionsordnung über einstweilige Verfügungen und darauf beruft, dass § 382 Z 2 EO die Verwaltung unter anderem jener Rechte, auf welche sich der von der gefährdeten Partei behauptete oder ihr bereits zuerkannte Anspruch bezieht, normiere, übersieht sie, dass § 115 Abs 4 StPO nicht die Möglichkeit zusätzlicher – in der StPO gar nicht vorgesehener – Sicherungsmittel eröffnet (vgl dazu Kirchbacher, StPO15 § 115 Rz 4).
[14] Das in § 382 Z 7 EO zur Sicherung anderer Ansprüche als Geldforderungen (vgl § 381 EO) vorgesehene Drittverbot wird dadurch vollzogen, dass dem Betroffenen jede Verfügung über seinen Anspruch wider den Dritten und insbesondere die Empfangnahme der in Rede stehenden Sachen untersagt und an den Dritten der Befehl gerichtet wird, bis auf weitere gerichtliche Anordnung die dem Betroffenen gebührenden Sachen weder auszufolgen noch sonst in Ansehung ihrer etwas zu unternehmen, was die Exekutionsführung darauf vereiteln oder erheblich erschweren könnte (vgl Tipold/Zerbes, WK‑StPO § 115 Rz 26). Dabei soll das Leistungsverbot an den Dritten verhindern, dass mit seiner Leistung an den Betroffenen das gepfändete Recht untergeht. Die Verwahrung und Verwaltung (vgl [zu beweglichen körperlichen Sachen] § 379 Abs 3 Z 1 EO) von Forderungen des Betroffenen ist hingegen nicht vorgesehen (14 Os 107/21y).
[15] Nach Maßgabe dessen verletzt die Anordnung der Staatsanwaltschaft § 109 Z 1 StPO.
[16] Gemäß § 110 Abs 1 StPO ist Sicherstellung (nur) zulässig, wenn sie aus Beweisgründen (Z 1), zur Sicherung privatrechtlicher Ansprüche (Z 2) oder zur Sicherung der Konfiskation (§ 19a StGB), des Verfalls (§ 20 StGB), des erweiterten Verfalls (§ 20b StGB), der Einziehung (§ 26 StGB) oder einer anderen gesetzlich vorgesehenen vermögensrechtlichen Anordnung (Z 3) erforderlich scheint.
[17] Nach § 102 Abs 1 zweiter Satz StPO hat die Staatsanwaltschaft die Anordnung von Zwangsmaßnahmen zu begründen und schriftlich auszufertigen. Dabei hat die Ausfertigung gemäß § 102 Abs 2 Z 3 StPO auch die Tatsachen zu enthalten, aus denen sich ergibt, dass die Anordnung oder Genehmigung zur Aufklärung der Straftat erforderlich und verhältnismäßig ist und die jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
[18] Fallbezogen hat die Staatsanwaltschaft jedoch nicht dargelegt, auf welche Sachverhaltsannahmen sie die Relevanz der sicherzustellenden Domain (vgl zum Unterschied zwischen Domain und Website Thiele in Kucsko/Schumacher, marken.schutz3 § 12 Rz 35) als Beweismittel zur Klärung eines konkreten Beweisthemas (vgl Ratz, Sicherstellung, Durchsuchung und Amtshilfe im Verhältnis zueinander, ÖJZ 2023/98, 601 f) oder als Sicherungsmittel (soweit hier von Interesse) für den erweiterten Verfall stützt. Ebenso wenig enthält die Anordnung eine geeignete Sachverhaltsbasis für die Beurteilung der Tauglichkeit (vgl dazu Wiederin, WK-StPO § 5 Rz 88) und der Erforderlichkeit der angeordneten Maßnahme – nämlich der Übertragung der Domain auf eine ausländische Behörde als neuen Registranten und deren „Umleitung“ auf von der ersuchenden Behörde vorgegebene Nameserver zwecks Aufrufs einer „Splash Page“ der ausländischen Behörde – zur Erreichung der genannten Sicherungszwecke (vgl zur Begründungspflicht Tipold/Zerbes, WK-StPO § 110 StPO Rz 59).
[19] Die Anordnung der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 22. September 2023 verletzt somit durch das Fehlen einer Begründung im Sinn des § 102 Abs 2 Z 3 StPO auch die genannte Bestimmung iVm § 110 Abs 1 StPO.
[20] Da nicht auszuschließen ist, dass die von der Generalprokuratur zutreffend aufgezeigten Gesetzesverletzungen den Betroffenen zum Nachteil gereichen (§ 292 letzter Satz StPO), war deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verbinden.
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