OGH 14Os107/21y

OGH14Os107/21y12.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Oktober 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Scheichel in der Strafsache gegen unbekannte Täter wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 vierter Fall und Abs 3, 148 zweiter Fall StGB, AZ 317 HR 303/17m des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 22. Februar 2018, AZ 317 HR 303/17m, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132983

 

Spruch:

 

Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. Februar 2018, AZ 317 HR 303/17m (ON 25 des Ermittlungsakts), verletzt §§ 109 Z 2 lit a (iVm Z 1), 115 Abs 4 StPO iVm § 379 Abs 3 Z 3 EO.

 

Gründe:

[1] Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption führt zu AZ 83 UT 19/17w gegen unbekannte Täter ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 vierter Fall und Abs 3, 148 zweiter Fall StGB. Nach der Verdachtslage sollen unbekannt[e] Täter am 2. und 3. November 2017 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung solcher Taten längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, * L* als Verfügungsberechtigte der S* AG durch Täuschung über Tatsachen unter Verwendung falscher Daten, nämlich falscher E‑Mails des * J* und des vorgeblich beigezogenen Rechtsanwalts * B*, sowie unter Einsatz besonderer Fähigkeiten und Mittel, die eine wiederkehrende Begehung nahelegen (§ 70 Abs 1 Z 1 StGB), durch die Vorgabe, Auftraggeber der Transaktionen wäre der Geschäftsführer der S* Holding NV, * J*, und die gewünschten Überweisungen würden im Interesse des Unternehmens erfolgen, zur Durchführung dreier Überweisungen im Gesamtbetrag von 5.822.000 Euro vom Konto der S* AG auf ein Konto der L* Ltd bei der I* Ltd (Volksrepublik China) verleitet und damit die S* AG in einem 300.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen geschädigt haben (ON 2).

[2] Am 6. November 2017 wurde das auf der ersten Überweisung basierende Guthaben von 1.747.000 Euro über Veranlassung der chinesischen Behörden eingefroren. Die aufgrund der zweiten und dritten Überweisung gutgeschriebenen Beträge von insgesamt 4.075.000 Euro wurden an die S* AG rücküberwiesen (ON 6 S 19).

[3] Mit Beschluss vom 15. November 2017 bewilligte das Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ 317 HR 303/17m (ON 10) gemäß §§ 109 Z 2 lit a (iVm Z 1 lit b), 115 Abs 1 Z 2 und 3 StPO den Antrag der Staatsanwaltschaft (ON 1 S 7 f) auf Beschlagnahme eines auf einem bestimmt bezeichneten Konto der L* Ltd befindlichen Bankguthabens in Höhe von 1.747.000 Euro durch Drittverbot (§ 379 Abs 3 Z 3 EO).

[4] Über neuerlichen Antrag der Staatsanwaltschaft (ON 1 S 17) bewilligte das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 22. Februar 2018, AZ 317 HR 303/17m (ON 25), abermals gemäß §§ 109 Z 2 lit a (iVm Z 1 lit b), 115 Abs 1 Z 2 und 3 StPO die Beschlagnahme des zuvor genannten Bankguthabens nun durch Überweisung desselben auf ein Konto der Verwahrungsabteilung beim Oberlandesgericht Wien.

[5] Am 10. Mai 2019 wurde diesem Beschluss in einem Betrag von 1.746.821,20 Euro entsprochen (ON 46).

Rechtliche Beurteilung

[6] Der zuletzt genannte Beschluss steht – wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt – mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[7] Die Sicherstellung oder Beschlagnahme eines Guthabens (in einer bestimmten Höhe) auf einem Bankkonto erfolgt durch das (im Fall der Sicherstellung: vorläufige) Verbot der Herausgabe dieses Vermögenswerts an Dritte (vgl zum sog Drittverbot § 109 Z 1 lit b StPO [hier iVm Z 2 lit a] StPO; Flora, WK‑StPO § 109 Rz 2; Tipold/Zerbes, WK‑StPO § 111 Rz 6; siehe auch RIS‑Justiz RS0097868). Hingegen ist eine Sicherstellung oder Beschlagnahme durch vorläufige Begründung der Verfügungsmacht nur in Bezug auf Gegenstände, das sind bewegliche körperliche Sachen zulässig (§ 109 Z 1 lit a StPO; vgl erneut Flora, WK‑StPO § 109 Rz 2).

[8] Gemäß § 115 Abs 4 StPO gelten (unter anderem) für eine Beschlagnahme durch Drittverbot – sofern in der Strafprozessordnung nichts anderes bestimmt wird – die Bestimmungen der Exekutionsordnung über einstweilige Verfügungen sinngemäß.

[9] Das in § 379 Abs 3 Z 3 EO zur Sicherung von Geldforderungen vorgesehene Drittverbot wird dadurch vollzogen, dass dem Gegner der gefährdeten Partei (hier: der L* Ltd als Inhaberin jenes Kontos, auf das der inkriminierte Geldbetrag überwiesen wurde) jede Verfügung über den Anspruch und insbesondere dessen Einziehung untersagt und an den Dritten (hier: die I* Ltd) der Befehl gerichtet wird, bis auf weitere gerichtliche Anordnung den (hier: von der Beschlagnahme umfassten) Geldbetrag nicht zu zahlen, auszufolgen oder sonst in Ansehung desselben etwas zu unternehmen, was die Sicherung vereiteln oder erheblich erschweren könnte (vgl Tipold/Zerbes, WK‑StPO § 115 Rz 26). Die Verwahrung und Verwaltung (vgl [zu beweglichen körperlichen Sachen] § 379 Abs 3 Z 1 EO) von Forderungen des Gegners der gefährdeten Partei ist hingegen nicht vorgesehen.

[10] Demnach verletzt die gerichtliche Anordnung der Überweisung der mittels Drittverbots beschlagnahmten Bankforderung auf ein Konto der Verwahrungsabteilung beim Oberlandesgericht Wien §§ 109 Z 2 lit a (iVm Z 1), 115 Abs 4 StPO iVm § 379 Abs 3 Z 3 EO (RIS‑Justiz RS0133580).

[11] Derangefochtene Beschluss gereicht den (noch nicht ausgeforschten) Beschuldigten nicht zum Nachteil. Der Ausspruch der Gesetzesverletzung war nicht mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).

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