OGH 14Os47/24d

OGH14Os47/24d31.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Juli 2024 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Faulhammer LL.M. (WU) in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 27. Februar 2024, GZ 23 Hv 60/23g‑30, sowie seine Beschwerde gegen den zugleich gefassten Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140OS00047.24D.0731.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Amtsdelikte/Korruption

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil und der Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und Verlängerung der Probezeit aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 4. April 2023 in K* als vom Landeshauptmann zur wiederkehrenden Begutachtung von Fahrzeugen und Ausstellung von Gutachten nach § 57a KFG 1967 Ermächtigter, mithin als Beamter, mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an dessen Recht auf (ersichtlich gemeint) Ausschluss nicht verkehrs-, betriebssicherer und umweltverträglicher Fahrzeuge von der Teilnahme am Straßenverkehr zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte, nämlich die Begutachtung von Fahrzeugen gemäß § 57a Abs 1 KFG 1967, vorzunehmen, dadurch wissentlich missbraucht, dass er für einen, im angefochtenen Urteil näher bezeichneten Pkw im Wissen um das Vorliegen zweier schwerer Mängel ein Gutachten gemäß § 57a Abs 4 KFG ausstellte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Das Erstgericht ging – deutlich genug – von folgendem (entscheidungswesentlichen) Urteilssachverhalt aus: Der gegenständliche Pkw wurde am 30. März 2023 zur Werkstatt des Beschwerdeführers zwecks Überprüfung im Sinn des § 57a KFG gebracht. Dessen als Zeuge vernommener Mitarbeiter * G* erkannte dabei drei schwere und vier leichte (im Urteil nicht näher bezeichnete) Mängel und stellte demnach kein positives Gutachten nach § 57a Abs 4 KFG aus. Das Fahrzeug wurde in der Werkstatt „zur Reparatur der Mängel“ belassen. Am 4. April 2023 überprüfte der Beschwerdeführer den Pkw und verfasste das positive Gutachten, obwohl (neben anderen Mängeln) zwei im Urteil konkretisierte schwere Mängel vorlagen. Zur subjektiven Tatseite stellten die Tatrichter fest, der Beschwerdeführer habe von diesen schweren Mängeln gewusst und demnach seine tatbildliche Befugnis wissentlich missbraucht. Er habe dabei mit entsprechendem Schädigungsvorsatz gehandelt.

[5] Mit Recht wendet die Mängelrüge Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) ein. Denn das Erstgericht hat diese Feststellungen unter anderem auf die für glaubhaft befundene Aussage des Zeugen G* gestützt, auf deren Grundlage es die Verantwortung des Beschwerdeführers, nicht er, sondern ausschließlich G* habe das gegenständliche Fahrzeug überprüft, für widerlegt erachtete (US 7). Dabei ließen die Tatrichter jedoch unerörtert, dass dieser Zeuge über Nachfrage einräumte, die „letztendliche Begutachtung“ vermutlich selbst durchgeführt zu haben (ON 29, 5 [„das wird schon stimmen“]). Zwar ist das Schöffengericht mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich im Urteil mit sämtlichen Einzelheiten einer Zeugenaussage auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0106642). Entscheidende Tatsachen betreffende Widersprüche (oder Abweichungen) innerhalb der Angaben eines Zeugen können aber erheblich und solcherart erörterungsbedürftig sein (RIS‑Justiz RS0118316 [insbesondere T14]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 425). Genau das trifft hier auf die – den zur objektiven und zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen entgegenstehende – Aussage des Zeugen, er selbst habe die (der inkriminierten Ausstellung des positiven Gutachtens vorangehende) Überprüfung des Pkw durchgeführt, zu.

[6] Der aufgezeigte Mangel erfordert die sofortige Aufhebung des Urteils und des zugleich gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO gefassten Beschlusses (vgl insoweit RIS‑Justiz RS0101886; Jerabek/Ropper, WK‑StPO § 494a Rz 11 und § 498 Rz 8)samt Rückverweisung der Sache an das Erstgericht bei der nichtöffentlichen Sitzung (§ 285e StPO).

[7] Eine Antwort auf das weitere Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde erübrigt sich somit.

[8] Mit seiner Berufung und seiner – als erhoben zu betrachtenden (§ 498 Abs 3 dritter und vierter Satz) – Beschwerde war der Beschwerdeführer auf diese Entscheidung zu verweisen.

[9] Im weiteren Verfahren wird zu berücksichtigen sein, dass im Fall eines neuerlichen Schuldspruchs wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt – mängelfrei begründete – Feststellungen unter anderem zur Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs zu treffen sind. Feststellungen und Begründung müssen jeweils dieselbe der mehreren – in diesen Konstellationen denkbaren – Varianten eines Befugnismissbrauchs betreffen (vgl 14 Os 82/23z mwN). Sollte das Beweisverfahren ergeben, dass der Angeklagte den Pkw nicht selbst in Augenschein genommen hat, kann im Übrigen sein Wissen um das Bestehen (als Grundlage des strafrechtlichen Vorwurfs herangezogener) schwerer Mängel zur Tatzeit nach Maßgabe von Denkgesetzen und grundlegender Erfahrungssätze (vgl RIS‑Justiz RS0118317) nicht darauf gestützt werden, dass er angenommen habe, von seinem Mitarbeiter zuvor festgestellte andere Mängel seien noch nicht behoben worden (vgl US 3 und 8 iVm ON 28, 4).

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