European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00082.23Z.0906.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Amtsdelikte/Korruption
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Leoben verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * F* des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 22. Februar und am 21. März 2022 in M* als vom Landeshauptmann zur wiederkehrenden Begutachtung von Fahrzeugen und Ausstellung von Gutachten nach § 57a KFG 1967 Ermächtigter, mithin als Beamter, mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an dessen Recht auf Ausschluss nicht verkehrs-, betriebssicherer und umweltverträglicher Fahrzeuge von der Teilnahme am Straßenverkehr sowie den Fahrzeuglenker und andere Verkehrsteilnehmer an ihrem Recht auf Sicherheit zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte, nämlich die Begutachtung von Fahrzeugen gemäß § 57a Abs 1 KFG 1967, vorzunehmen, dadurch wissentlich missbraucht, dass er für zwei, im angefochtenen Urteil näher bezeichnete Pkw „trotz jeweils bestehender und von ihm auch erkannter schwerer Mängel ein Gutachten gemäß § 57a Abs 4 KFG erstellte, wonach die Fahrzeuge den Erfordernissen der Verkehrs- und Betriebssicherheit entsprechen und keine schweren Mängel aufweisen“.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Die Formulierung des Referats der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) gibt Anlass zu folgender Klarstellung: Dieses hat nicht den Zweck, die im Anklagetenor vorgenommene Individualisierung der Tat (§ 211 Abs 1 Z 2 StPO [näher dazu: Birklbauer, WK-StPO § 211 Rz 8 ff; Haslwanter, LiK‑StPO § 211 Rz 4 ff]) ungeachtet der Ergebnisse des Beweisverfahrens (§ 258 Abs 1 StPO) und darauf aufbauender Urteilsfeststellungen (weitgehend) unverändert wiederzugeben, sondern Letztere in dem für die Subsumtion (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) entscheidenden Umfang deklarativ und resümierend darzustellen (Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 6 f; vgl RIS‑Justiz RS0120334; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 272 f).
[5] Zutreffend zeigt die Mängelrüge einen Widerspruch (Z 5 dritter Fall) in Bezug auf das (entscheidende) Tatbestandsmerkmal wissentlichen Befugnismissbrauchs zwischen dem Referat der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) und den dazu getroffenen Feststellungen auf. Während in ersterem die oben wiedergegebene Formulierung verwendet wird, heißt es in den Entscheidungsgründen dazu zusammengefasst (US 3 ff):
[6] „Der Angeklagte führte die Überprüfungen nicht gewissenhaft, sondern mangelhaft durch. … Die an den Fahrzeugen vorhandenen und auch mit freiem Auge sichtbaren, vorhandenen Durchrostungen nahm der Angeklagte nicht wahr. Er unterließ sohin bewusst eine den rechtlichen Vorgaben entsprechende Prüfung, worin eine unvertretbare Missachtung von Verfahrensvorschriften liegt.“ Und weiter: Bei der am 21. März 2022 durchgeführten Begutachtung stellte der Angeklagte mehrere „für ihn erkennbare schwere Mängel nicht fest“. Es könne nicht angenommen werden, „dass Ölverlust als schwerer Mangel für den Angeklagten erkennbar war“. Es sei „offensichtlich, dass der Angeklagte bei der Nachbegutachtung dieses Fahrzeuges entgegen der einschlägigen Vorgaben nicht die gesamte“ von seinem Kollegen zuvor erstellte „Mängelliste überprüfte“. Zur Begutachtung vom 22. Februar 2022 gingen die Tatrichter nicht davon aus, „dass Ölverlust als schwerer Mangel für den Angeklagten erkennbar war“. Zum wissentlichen Befugnismissbrauch wird ausdrücklich ausgeführt, der Angeklagte habe es „zweifelsfrei für gewiss“ gehalten, „dass sein Verhalten des Gebrauchs dieser Befugnis, nämlich die bewusste Unterlassung einer den rechtlichen Vorgaben entsprechenden Prüfung, sohin eine unvertretbare Missachtung von Verfahrensvorschriften, objektiv rechtswidrig ist“.
[7] Begründend nahm das Erstgericht an (US 9), der Beschwerdeführer habe gewusst, „dass man kein Gutachten erstellen darf ohne das Fahrzeug zu überprüfen“, und verwies dabei auf seine Verantwortung, er mache „manche Tests etwas schneller, nicht in die Tiefe und gewissenhaft“, der „von ihm durchgeführte Klopftest“ sei „möglicherweise unzureichend“ gewesen.
[8] Wissentlicher Missbrauch der Befugnis zur wiederkehrenden Begutachtung von Fahrzeugen nach § 57a KFG ergibt sich typischerweise aus der Ausstellung positiver Prüfgutachten entweder trotz tatsächlichen Erkennens von (diesen entgegenstehenden) schweren Mängeln oder trotz bewusster – das Erkennen schwerer Mängel gerade verhindernder – Unterlassung einer den rechtlichen Vorgaben entsprechenden Prüfung (vgl [zu ähnlich gelagerten Sachverhalten] 17 Os 12/13p; 17 Os 3/14s und 17 Os 19/17y; Nordmeyer in WK2 StGB § 302 Rz 138).
[9] Die beiden dazu (im Erkenntnis einerseits und in den Entscheidungsgründen andererseits) getroffenen Aussagen sind nach Maßgabe der Denkgesetze und grundlegender Erfahrungssätze nicht miteinander vereinbar (RIS‑Justiz RS0117402).
[10] Der aufgezeigte Mangel erfordert – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die sofortige Aufhebung des Urteils samt Rückverweisung der Sache an das Erstgericht bei der nichtöffentlichen Sitzung (§ 285e StPO).
[11] Eine Antwort auf das weitere Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde erübrigt sich somit.
[12] Mit seiner Berufung war der Beschwerdeführer auf diese Entscheidung zu verweisen.
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