OGH 2Ob116/24h

OGH2Ob116/24h25.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowiedie Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz in der Rechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch Mag. Sükran Tanriverdi, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei B*, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 9.562,29 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg alsBerufungsgericht vom 20. März 2024, GZ 21 R 382/23g‑51, mit dem das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Seekirchen am Wallersee vom 19. Oktober 2023, GZ 6 C 100/23w-43, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00116.24H.0725.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.

 

Begründung:

[1] Als die Klägerin im Mai 2021 mit ihrem Motorrad die M* Landesstraße in Richtung T* befuhr, wurde sie von einem umstürzenden Baum getroffen, sodass sie zu Sturz kam und sich verletzte. Es handelte sich um eine etwa 100 Jahre alte und 30 Meter hohe Rotbuche, deren Stamm aufgrund von Weißfäule vermorscht war und auf einer Höhe von knapp vier Metern brach, sodass der Baum quer über die Fahrbahn der rund 25 Meter entfernten Straße zu liegen kam. Die Beklagte führt als Waldeigentümerin regelmäßige Kontrollgänge durch, doch war dieser Baum aufgrund seines Standorts nicht in die verstärkten Kontrollen entlang der Straße einbezogen worden. Bei einer Sichtkontrolle des Stammes wäre aufgrund der Spechtlöcher, Rindenablösungen und Zunderschwämme, die ab einer Höhe von drei Metern vorhanden waren, erkennbar gewesen, dass der Baum vermorscht ist und gefällt werden muss.

[2] Das Erstgericht sprach mit dem angefochtenen Zwischenurteil aus, dass das auf Schmerzengeld und Ersatz des Sachschadens gerichtete Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Die Beklagte verantworte eine grobe Fahrlässigkeit, weil sich der Baum im Gefahrenbereich der Straße befunden habe und die Beklagte deshalb jährliche Sichtkontrollen des Stammes durchführen hätte müssen.

[3] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision nachträglich zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zum genauen Umfang der Kontrollpflicht des Waldeigentümers fehle.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die von der Klägerin beantwortete Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[5] 1. Nach der Rechtsprechung ergibt sich aus § 176 Abs 2 und Abs 4 ForstG 1975 eine Sorgfaltspflicht des Waldeigentümers bei erkennbar gefährlichem Waldzustand entlang öffentlicher Straßen (RS0115175). Der Einwand der Beklagten, dass § 176 Abs 4 ForstG nicht anwendbar sei, weil sich der Baum nicht „neben“ der Straße und auch nicht erkennbar im Gefahrenbereich der Straße befunden habe, ist nicht nachvollziehbar, weil ein 30 Meter hoher Baum auf eine nur 25 Meter entfernte Straße fallen kann. Dem entsprechend bedurfte es entgegen der Rechtsansicht der Beklagten auch keiner weiteren Feststellungen zur Beschaffenheit des Untergrundes oder zur Dichte des Baumbestands. Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits ausgesprochen, dass bei der Auslegung des Begriffs „daneben liegend“ im Hinblick auf den Schutzzweck der Haftungsnorm auf die konkrete Gefährlichkeit abzustellen ist, wie sie sich aus der Lage des Waldes (beispielsweise – wie hier – Hanglage) ergibt (6 Ob 21/01h; RS0115176).

[6] 2. Das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen den Schadenseintritt wird nach den Umständen des konkreten Einzelfalls bestimmt (RS0029991).Der Oberste Gerichtshof hat bereits zur Haftung für umstürzende Bäume ausgesprochen, dass bei älteren Bäumen iSd Ö‑Norm L 1122 halbjährliche Sichtkontrollen in unmittelbarer Nähe zum jeweiligen Baum durchzuführen sind (2 Ob 203/11h; vgl 6 Ob 78/16p). Die Annahme der Vorinstanzen, dass die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, zumindest einmal jährlich eine Sichtkontrolle des Stammes durchzuführen, begründet im vorliegenden Fall keine zu korrigierende Fehlbeurteilung.

[7] 3. Aus § 176 Abs 4 letzter Satz ForstG ergibt sich, dass eine Haftung des Waldeigentümers zumindest grobe Fahrlässigkeit voraussetzt. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn eine ungewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht vorliegt und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar ist (RS0030644; RS0030477). Ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist stets nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0026555). Der Oberste Gerichtshof hat die Rechtsansicht, wonach das Übersehen eines 14 Zentimeter langen Risses im Stamm eines Baumes, grobe Fahrlässigkeit begründet, als nicht korrekturbedürftig erachtet (2 Ob 203/11h). Die Annahme der Vorinstanzen, dass das Unterbleiben von regelmäßigen Sichtkontrollen der Stämme der im Gefahrenbereich der Straße gelegenen Bäume grobe Fahrlässigkeit begründe, ist damit vom Beurteilungsspielraum der Gerichte gedeckt, sodass die Revision der Beklagten mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen war.

[8] 4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 3 ZPO.

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