European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2011:E99278
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Die Haftung nach § 1319 ABGB wird nach der Rechtsprechung auch auf Bäume ausgedehnt. Schäden, die durch das Umstürzen von Bäumen verursacht werden, sind im Wege der Analogie in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung einzubeziehen (RIS‑Justiz RS0029932; RS0026229; 2 Ob 193/09k mwN). Bei Bäumen liegt der Grund der verschärften Haftung nach § 1319 ABGB nicht darin, dass sie als gefährlich angesehen werden, sondern darin, dass die erhöhte Gefährlichkeit auf einem Mangel beruht. Eine solche mangelnde Beschaffenheit liegt aber nur dann vor, wenn durch den Zustand eines Baumes von diesem eine besondere Gefahr ausgeht. Sie kann infolge mechanischer Verletzung des Baumes oder einer Krankheit bestehen (2 Ob 193/09k mwN).
Der Kläger hat den Schaden, seine Verursachung durch Einsturz oder Ablösung des Gebäudeteils bzw hier des Baumes, den Besitz des Beklagten und die mangelnde Beschaffenheit als Schadensursache zu behaupten und zu beweisen (RIS‑Justiz RS0029893). Dagegen muss der Eigentümer beweisen, dass er alle Vorkehrungen getroffen hat, die vernünftigerweise nach den Umständen von ihm erwartet werden können (RIS‑Justiz RS0030035). Das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen den Schadenseintritt bestimmt sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0029991).
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die Betreuung der umgestürzten Pappel mit einem Alter von 60 ‑ 80 Jahren bei einer allgemeinen Lebensdauer solcher Bäume von rund 80 Jahren übernommen, aber in der Zeit von einer Einkürzung im Jahr 2003 bis zum Umstürzen des Baumes 2008 keine einzige fachgerechte Begutachtung des Baumes vorgenommen, obwohl er im Einzugsbereich einer rege frequentierten Verkehrsfläche stand.
Nach Punkt 5.1 der den Stand der Technik repräsentierenden (vgl RIS‑Justiz RS0062063) Ö‑Norm L 1122 besteht die Verkehrssicherheitskontrolle eines Baumes in einer regelmäßigen Sichtkontrolle. Diese wird lege artis vom Prüfer im Abstand von 1 bis 1,5 m vom Baum durchgeführt. Werden dabei bedenkliche Veränderungen entdeckt, wird in weiterer Folge eine Klopfprobe durchgeführt, die Hinweise auf einen Hohlraum im Baum geben kann. Da sich mit zunehmendem Alter eines Baumes die Wahrscheinlichkeit einer Innenfäule erhöht, wären beim konkreten Baum fachgerecht Überprüfungen alle 6 Monate erforderlich gewesen.
Angesichts dessen kann, auch wenn hier im Baumstamm lediglich ein etwa 14 cm langer und 1 cm breiter, auf einen Defekt innerhalb des Stammes hindeutender Riss vorhanden war, der aus einer Entfernung von zwei Metern nicht mehr aufgefallen wäre, in der Bejahung der Haftung der Beklagten im konkreten Einzelfall keine krasse Fehlbeurteilung erblickt werden.
Dass die beklagte Stadtgemeinde die Errichtung eines Baumkatasters an ein fachkundiges Unternehmen übertrug, steht dem nicht entgegen, wenn zwischen der Beschlussfassung der Stadtgemeinde über die Führung des Baumkatasters im Jahr 2002 bis zum Vorfall, also in 6 Jahren nicht einmal alle Bäume der Beklagten ein einziges Mal besichtigt und in den Kataster eingetragen waren, geschweige denn ihrem Alter und Zustand entsprechend regelmäßig kontrolliert wurden. Wenn diese Vorgangsweise als nicht dem Stand der Technik laut Ö‑Norm L 1122 entsprechend erkannt wurde, begegnet dies keinen Bedenken.
Die Ausführungen der Revision zur Feststellung, dass der Bruch des Baumes eine Folge der Fäule des Kernholzes war, gehen nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Eine den Gesetzen der Logik widersprechende Schlussfolgerung der Vorinstanzen ist in diesem Zusammenhang nicht zu erkennen.
Eines höheren Sorgfaltsmaßstabs einer Gemeinde im Sinne der Rechtsprechung zur Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB bedarf es im vorliegenden Fall für die Bejahung der Haftung nicht.
Soweit die Beklagte letztlich Überlegungen zur Möglichkeit des Gelingens des Freibeweises anstellt und hierzu einzelne Ausführungen der Sachverständigen herausgreift, ändert dies ‑ abgesehen davon, dass der Oberste Gerichtshof keine Tatsacheninstanz ist ‑ nichts daran, dass es die Beklagte über viele Jahre hindurch verabsäumt hat, einen Baum überprüfen zu lassen, der aufgrund seines Alters halbjährlich kontrolliert hätte werden müssen. Dass der Riss unter den konkreten Umständen auch bei der notwendigen halbjährlichen Kontrolle nie aufgefallen wäre, hat die Beklagte weder behauptet noch nachgewiesen. Sie hat daher auch nicht den ihr obliegenden Entlastungsbeweis erbracht.
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