OGH 9ObA18/24y

OGH9ObA18/24y23.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Hargassner und Dr. Stiefsohn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch die HAIDER OBEREDER PILZ Rechtsanwält:innen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A*, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei A*, beide vertreten durch die Greindl & Köck Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 306,20 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei und der Nebenintervenientin (Revisionsinteresse: 277,50 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Dezember 2023, GZ 9 Ra 71/23m‑18, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 8. März 2023, GZ 28 Cga 86/22d‑13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00018.24Y.0723.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Arbeitsrecht, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Unionsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 277,50 EUR brutto samt 4% Zinsen seit 23. 8. 2022 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 4,58 % Zinsen aus 277,50 EUR seit 23. 8. 2022 zu zahlen, wird abgewiesen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 278,10 EUR (darin 46,35 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger war bei der Beklagten von 1. 3. 2015 bis 21. 12. 2022 (ua) im Ausmaß von 9,25 % (ab 1. 1. 2022 10 %) einer Vollzeitbeschäftigung als Simulatorpilot tätig und an die Nebenintervenientin überlassen.

[2] Auf die Dienstverhältnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Nebenintervenientin ist der 2. Kollektivvertrag für die Bediensteten der Austro Control GmbH anzuwenden. Der 23. Nachtrag zum Kollektivvertrag enthält die folgenden Bestimmungen:

„2. Corona-Prämie

Alle Mitarbeiter:innen mit einem aufrechten Dienstverhältnis zum 31.12.2021 erhalten einmalig für 2021 für ihren besonderen Einsatz und die erhöhte Belastung während der COVID 19 Pandemie eine einmalige Prämie gem. § 124b Ziff. 350 lit. a EstG i.V.m. § 49 Abs 3 Ziff 30 ASVG in der Höhe von EUR 3.000,-, Mitarbeiterinnen in einem Ausbildungsverhältnis (Trainees in der ATM bzw. AES) in der Höhe von EUR 1.000,-.

Diese Prämie anerkennt die bisherigen besonderen Leistungen der Mitarbeiterinnen im Zuge der herausfordernden Monate der Corona-Pandemie, welche sich auch noch auf 2022 erstreckt.

Diese Leistungsprämie gilt mit folgenden Ausmaßen bzw. Einschränkungen:

‑ Mitarbeiterinnen mit Teilzeitausmaß im Jahr 2021 oder bei unterjährigem Eintritt im Jahr 2021 erhalten die Prämie im Verhältnis ihres durchschnittlichen aktiven Teilzeitausmaßes und ihrer Beschäftigungsdauer im Jahr 2021

‑ Mitarbeiterinnen, die sich im Jahr 2021 in Karenz bzw. Mutterschutz befunden haben, haben einen aliquoten Anspruch auf Basis des aktiven Teilzeitausmaßes vor bzw. nach ihrer Karenzierung bzw. Mutterschutz.

3. Umsetzung […] Auszahlung Corona‑Prämie

[…]

Die Auszahlung der Corona‑Prämie erfolgt im Februar 2022.“

[3] Der Kläger begehrte von der Beklagten (ua), gestützt auf § 10 AÜG, die Zahlung einer aufgrund seiner Teilzeitbeschäftigung anteiligen, der Höhe nach unstrittigen Corona-Prämie von 277,50 EUR sA. Nach der Umsetzung der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (in der Folge: LeiharbeitsRL) könne die bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach sich § 10 Abs 1 AÜG unmittelbar nur auf periodisch, in der Regel monatlich, fällig werdende Entgeltansprüche beziehe (9 ObA 113/03p; 9 ObA 158/07m), nicht mehr aufrecht erhalten werden.

[4] Die Beklagte und die Nebenintervenientin beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und entgegneten, § 10 AÜG gewähre überlassenen Arbeitnehmern lediglich eine grobe Gleichstellung mit den kollektivvertraglichen Entgelten vergleichbarer Arbeitnehmer der Stammbelegschaft für vergleichbare Tätigkeiten. In der Stammbelegschaft gebe es aber keine Simulatorpiloten. Da eine allfällige Klagsstattgabe ein Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 10 Abs 1 AÜG voraussetzen würde, sei die Rechtsansicht der Beklagten zumindest vertretbar im Sinne des § 49a S 2 ASGG.

[5] Das Erstgericht teilte die Ansicht der Beklagten und wies das im Rechtsmittelverfahren noch zu behandelnde Klagebegehren auf Zuerkennung einer Corona‑Prämie von 277,50 EUR sA ab.

[6] Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil und gab dem Klagebegehren statt. Die Corona-Prämie stehe nach dem Kollektivvertrag allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Nebenintervenientin zu. Damit seien alle bei der Nebenintervenientin beschäftigten Personen als vergleichbare Stammbelegschaft anzusehen. Der Oberste Gerichtshof habe zwar in den – vor der Umsetzung „LeiharbeitsRL“ ergangenen – Entscheidungen 9 ObA 113/03p und 9 ObA 158/07mausgesprochen, dass sich § 10 Abs 1 AÜG unmittelbar nur auf periodisch, in der Regel monatlich fällig werdende Entgeltansprüche beziehe. Diese Einschränkung überzeuge aber angesichts des „equal-pay“-Gebots der LeiharbeitsRL und des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung nicht mehr. Vielmehr sei nun auch § 10 Abs 1 AÜG der weite arbeitsrechtliche Entgeltbegriff zugrunde zu legen. Das Vorliegen einer vertretbaren Rechtsansicht der Beklagten erschließe sich dem Berufungsgericht nicht. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil es keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des § 10 Abs 1 S 3 AÜG seit Geltung der LeiharbeitsRL gebe.

[7] In ihrer Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragen die Beklagte und die Nebenintervenientin die Wiederherstellung des Ersturteils.

[8] Die Klägerin beantragt, die Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen und hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist zulässig, weil es seit der Umsetzung der LeiharbeitsRL noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Entgeltbegriff des § 10 Abs 1 AÜG gibt. Sie ist aber nur teilweise berechtigt.

I. Ausgangssituation:

[10] 1. Gemäß § 10 Abs 1 S 1 AÜG hat der überlassene Arbeitnehmer („die Arbeitskraft“) Anspruch auf ein angemessenes, ortsübliches Entgelt, das mindestens einmal monatlich auszuzahlen und schriftlich abzurechnen ist. Gemäß § 10 Abs 1 S 3 AÜG ist bei der Beurteilung der Angemessenheit für die Dauer der Überlassung auf das im Beschäftigerbetrieb vergleichbaren Arbeitnehmern für vergleichbare Tätigkeiten zu zahlende kollektivvertragliche oder gesetzlich festgelegte Entgelt Bedacht zu nehmen. Gemäß § 10 Abs 4 AÜG ist die Vergleichbarkeit nach der Art der Tätigkeit und der Dauer der Beschäftigung im Betrieb des Beschäftigers sowie der Qualifikation des überlassenen Arbeitnehmers für diese Tätigkeit zu beurteilen.

[11] 2. Die Revision spricht zwei Rechtsfragen an, die voneinander zu trennen sind: Zunächst die Frage, ob die im Kollektivvertrag des Beschäftigerbetriebs geregelte einmalige Corona-Prämie überhaupt unter den Entgeltbegriff des § 10 Abs 1 AÜG fallen kann, und bejahendenfalls die Frage, ob der Kläger darauf im Lichte des § 10 Abs 1 S 3, Abs 4 AÜG einen Rechtsanspruch hat.

II. Entgeltbegriff des § 10 Abs 1 AÜG:

1. Bisherige Rechtsprechung:

[12] 1.1. Die Revision tritt der Rechtsansicht des Berufungsgerichts entgegen, eine im Kollektivvertrag vorgesehene einmalige „Corona-Prämie“ falle unter den Entgeltbegriff des § 10 Abs 1 AÜG. Sie verweist darauf, dass der Oberste Gerichtshof diese Bestimmung vor der Umsetzung der LeiharbeitsRL zwei Mal nur auf periodisch, in der Regel monatlich, fällig werdende Entgelte bezogen habe. Letzteres trifft zu:

[13] 1.2. In 9 ObA 113/03p bezeichnete der Oberste Gerichtshof die von den Vorinstanzen vertretene Auffassung, die Entgeltsregelung des § 10 Abs 1 AÜG beziehe sich unmittelbar nur auf die periodisch, in der Regel monatlich fällig werdenden Entgeltansprüche, als zutreffend. Der Versuch der Revisionswerberin, allein aus dem Wortlaut dieser Vorschrift eine allgemeine Regel abzuleiten, nach der der Arbeitnehmer auch im Hinblick auf Abfertigungsansprüche mit den Dienstnehmern des Beschäftigerbetriebs gleichgestellt werde, müsse daher erfolglos bleiben.

[14] 1.3. Nach 9 ObA 158/07m stellt die Entscheidung 9 ObA 113/03p klar, dass sich die Entgeltsregelung des § 10 Abs 1 AÜG unmittelbar nur auf die periodisch, in der Regel monatlich fällig werdenden Entgeltansprüche beziehe, sodass der Versuch, allein aus dem Wortlaut dieser Vorschrift eine allgemeine Regel abzuleiten, nach der der Arbeitnehmer auch im Hinblick auf Abfertigungsansprüche mit den Arbeitnehmern des Beschäftigungsbetriebs gleichgestellt werden müsse, erfolglos bleibe.

2. Leiharbeits-Richtlinie:

[15] 2.1. Am 5. 12. 2008 trat die LeiharbeitsRL in Kraft (Art 13).

[16] 2.2. In Erwägungsgrund 14 der LeiharbeitsRL ist festgehalten, dass die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für Leiharbeitnehmer mindestens denjenigen entsprechen sollten, die für diese Arbeitnehmer gelten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt würden.

[17] 2.3. Gemäß Art 2 LeiharbeitsRL ist es deren Ziel, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Qualität der Leiharbeit zu verbessern, indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern gemäß Artikel 5 der Richtlinie gesichert wird und die Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber anerkannt werden.

[18] 2.4. Nach Art 5 Abs 1 LeiharbeitsRL entsprechen die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen, die für sie gelten würden, wenn sie von jenem genannten Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären. Zu den wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gehört nach Art 3 Abs 1 lit f sublit ii LeiharbeitsRL auch das Arbeitsentgelt. Die „Begriffsbestimmung“ von „Arbeitsentgelt“ überlässt Art 3 Abs 2 LeiharbeitsRL ausdrücklich dem nationalen Recht.

[19] 2.5. Die Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern sind in Art 5 Abs 2 bis 4 LeiharbeitsRL geregelt, ua die folgenden:

[20] 2.5.1. In Bezug auf das Arbeitsentgelt können die Mitgliedstaaten gemäß Art 5 Abs 2 LeiharbeitsRL nach Anhörung der Sozialpartner die Möglichkeit vorsehen, vom Grundsatz des Abs 1 abzuweichen, wenn Leiharbeitnehmer, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen abgeschlossen haben, auch in der Zeit zwischen den Überlassungen bezahlt werden.

[21] 2.5.2. Nach Art 5 Abs 3 LeiharbeitsRL können die Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner diesen die Möglichkeit einräumen, auf der geeigneten Ebene und nach Maßgabe der von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen Tarifverträge (in Österreich: Kollektivverträge) aufrechtzuerhalten oder zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern enthalten können, welche von den in Abs 1 aufgeführten Regelungen abweichen können.

3. Umsetzung der LeiharbeitsRL:

[22] 3.1. Der Gesetzgeber setzte die LeiharbeitsRL mit BGBl I 2012/98 in das nationale Recht um. Der hier auszulegende § 10 Abs 1 AÜG wurde um seinen vierten Satz ergänzt, blieb sonst aber unverändert.

[23] 3.2. Das vom Gesetzgeber erklärte Ziel der Gesetzesänderung war die „Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie in nationales Recht“, insbesondere durch die „ausdrückliche Verankerung der Gleichstellung und Gleichbehandlung überlassener Arbeitskräfte mit ArbeitnehmerInnen des Beschäftigers“ (ErläutRV 1903 BlgNR 24. GP 1).

[24] 3.3. Zu § 10 Abs 1 AÜG erklärte der Gesetzgeber, er sehe „eine Gleichstellung überlassener Arbeitskräfte mit vergleichbaren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des Beschäftigerbetriebes betreffend Entgelt“ vor, und ergänzte: „Der Entgeltbegriff des § 10 ist umfassend zu verstehen. Diese Auslegung im Sinne der Leiharbeitsrichtlinie entspricht der Auffassung der Expertengruppe zur Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie, wonach der Entgeltbegriff weit zu interpretieren ist.“ Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber die Ausnahmeregelung des Art 5 Abs 2 LeiharbeitsRL umsetzen wollte, bieten die Gesetzesmaterialien nicht. Sie weisen nur auf die mögliche Abweichung von der Gleichstellung durch Kollektivvertrag gemäß Art 5 Abs 3 iVm Abs 5 LeiharbeitsRL hin (ErläutRV 1903 BlgNR 24. GP 3).

4. Auswirkungen auf die Rechtsprechung:

[25] 4.1. Aufgrund der LeiharbeitsRL und deren nationaler Umsetzung ist die Rechtsprechung, § 10 Abs 1AÜG beziehe sich unmittelbar nur auf die periodisch, in der Regel monatlich fällig werdenden Entgeltansprüche, nicht mehr in dieser Allgemeinheit aufrecht zu erhalten.

[26] 4.2. Das österreichische Arbeitsrecht geht allgemein von einem umfassenden Entgeltbegriff aus (RS0027965). Diesen hat der Gesetzgeber, wie er in den Gesetzesmaterialien zur Umsetzung der LeiharbeitsRL ausdrücklich erklärte, auch in § 10 Abs 1 AÜG verwendet. Dieser Wille des Gesetzgebers findet im – wenn auch im Zuge der Novellierung unverändert gebliebenen – Wortlaut des § 10 Abs 1 S 1 AÜG ohne weiteres Deckung: Der letzte Halbsatz („das mindestens einmal monatlich auszuzahlen und schriftlich abzurechnen ist“) kann zwanglos als bloße Abrechnungsregelung verstanden werden. Auch die systematische und die objektiv-teleologische Interpretation bieten keine Anhaltspunkte dafür, zu einem anderen Ergebnis zu gelangen als der Gesetzgeber der Umsetzung der LeiharbeitsRL. Dazu kommt die gebotene richtlinienkonforme Interpretation: Ein eigener Entgeltbegriff für überlassene Arbeitskräfte würde gegen das Gebot der Gleichbehandlung des Art 5 Abs 1 LeiharbeitsRL verstoßen (vgl auch Erwägungsgrund 14 der LeiharbeitsRL). Die Auslegung des § 10 Abs 1 S 1 AÜG führt daher jedenfalls nunmehr – nach der Umsetzung der LeiharbeitsRL – zum Ergebnis, dass er sich nicht nur auf das periodisch, in der Regel monatlich fällig werdende Entgelt bezieht, sondern dass ihm der allgemeine arbeitsrechtliche Entgeltbegriff zugrunde liegt.

[27] 4.3. Damit kommt der Senat zum selben Ergebnis wie die herrschende Ansicht in der Literatur, die den Entgeltbegriff des § 10 Abs 1 AÜG – zum Teil bereits vor der LeiharbeitsRL, jedenfalls aber nach deren nationaler Umsetzung – nicht auf periodisch fällig werdende Entgeltansprüche beschränkt, sondern umfassend versteht (vglBurger,Entgeltschutz, Gleichstellungsanspruch und Diskriminierungsschutz überlassener Arbeitskräfte, inRaschauer/Resch[Hrsg], Neuerungen bei der Arbeitskräfteüberlassung [2014] 65 [69 ff];Risak,AÜG: Abfertigungsanspruch nach dem Beschäftiger-Kollektivvertrag, ecolex 2004, 465;Schindler, Europarechtliche Grundlagen der AÜG-Novelle 2012 und ihre grundsätzliche Umsetzung in Österreich, inRaschauer/Resch [Hrsg], Neuerungen bei der Arbeitskräfteüberlassung [2014] 13 [19 f];Schindlerin ZellKomm3 § 10 AÜG Rz 10 f;Schrattbauer in Schrattbauer,AÜG § 10 Rz 29;Tomandl,Arbeitskräfteüberlassung4 [2021] 87, 91).

[28] 4.4. Die Parteien stellen nicht in Abrede, dass der allgemeine arbeitsrechtliche Entgeltbegriff auch eine kollektivvertragliche Corona-Prämie umfasst, die einmalig auszuzahlen ist. Die Beklagte kann daher die Auszahlung der Corona-Prämie an den Kläger nicht mit der Begründung verweigern, sie sei kein Entgelt iSd § 10 Abs 1 AÜG.

III. Beurteilung des Anspruchs nach § 10 Abs 1 S 3 AÜG:

[29] 1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs normiert § 10 Abs 1 S 3 AÜG mit dem Ausdruck „Bedachtnahme“ jedenfalls einen Anspruch des überlassenen Arbeitnehmers auf das Mindestentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer für vergleichbare Tätigkeiten nach dem Kollektivertrag des Beschäftigerbetriebs (vgl RS0050789 [T2, T4, T5]). Die Revision zieht das nicht in Zweifel.

[30] 2. Die einmalige Corona-Prämie ist ein kollektivvertragliches Mindestentgelt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Beschäftigerbetriebs mit einem aufrechten Arbeitsverhältnis am 31. 12. 2021 – unabhängig von der Art ihrer Tätigkeit. Dass der hier zu beurteilende Kollektivertrag nach der Revision ein „echter Firmenkollektivvertrag“ ist, ändert daran nichts. Insofern sind, wie bereits das Berufungsgericht richtig betont hat, alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Beschäftiger-betriebs mit dem Kläger als überlassener Arbeitskraft vergleichbar iSd § 10 Abs 1 S 3, Abs 4 AÜG. Damit hat auch der Kläger nach diesen Bestimmungen einen Anspruch auf diese Prämie. Die in der Revision geforderte „hypothetische arbeitsplatzbezogene Betrachtungsweise“ ist folglich nicht mehr anzustellen.

[31] 3. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit der in der Revision zitierten Entscheidung 9 ObA 33/13p, nach der für die Dauer der Überlassung auf das an Arbeitnehmer des Beschäftigerbetriebs für vergleichbare Arbeiten zu zahlende kollektivvertragliche Mindestentgelt Bedacht zu nehmen ist (RS0050789) und § 10 AÜG die Entgeltansprüche des überlassenen Arbeitnehmers somit „weitgehend“ jenen der Stammarbeitnehmer annähert.

IV. Sonstiges:

[32] 1. Da sich keine unionsrechtlichen Auslegungsfragen stellten – insbesondere weil die LeiharbeitsRL die Bestimmung des Entgeltbegriffs dem nationalen Recht überlässt –, war das von den Parteien (hilfsweise) angeregte Vorabentscheidungsersuchen entbehrlich.

[33] 2. Der Zinssatz nach § 49a S 1 ASGG steht dem Gläubiger dann nicht zu, wenn die Verzögerung der Zahlung auf einer vertretbaren Rechtsansicht des Schuldners beruht (§ 49a S 2 ASGG). Es ist Sache des Schuldners, darüber konkrete Behauptungen aufzustellen (RS0116030 [T3]). Das hat die Beklagte hier getan: Sie hat sich zur Begründung dafür, die einmalige Corona-Prämie nicht an den Kläger auszuzahlen, auch darauf berufen, dass die Prämie kein periodisch, in der Regel monatlich fällig werdendes Entgelt sei und damit die Voraussetzungen des § 10 Abs 1 AÜG nicht erfülle. Da sie diese Rechtsansicht auf Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs stützen konnte (9 ObA 113/03p; 9 ObA 158/07m), ist sie als vertretbar anzusehen. Der Kläger hat damit nur einen Anspruch auf 4 % Zinsen; das Zinsenmehrbegehren ist in Abänderung des Berufungsurteils abzuweisen.

[34] 3. Der Ausspruch über die Kosten gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Abweisung des Zinsenmehrbegehrens fällt kostenrechtlich nicht ins Gewicht.

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