OGH 13Os36/24d

OGH13Os36/24d26.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Juni 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Loibl LL.M., BSc in der Strafsache gegen * J* wegen mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall und Abs 2 SMG, AZ 2 U 44/22y des Bezirksgerichts Grieskirchen, über die von der Generalprokuratur gegen einen Vorgang in diesem Verfahren und den Beschluss dieses Gerichts vom 21. November 2023 (ON 34) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Janda, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00036.24D.0626.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Suchtgiftdelikte

 

Spruch:

 

In der Strafsache AZ 2 U 44/22y des Bezirksgerichts Grieskirchen verletzen

das Unterbleiben der Anhörung des Verurteilten und der Einholung einer Strafregisterauskunft vor der Entscheidung über den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht § 495 Abs 3 StPO sowie

der Beschluss dieses Gerichts vom 21. November 2023 (ON 34) § 86 Abs 1 StPO iVm § 53 Abs 2 StGB.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird dem Bezirksgericht Grieskirchen die Erneuerung des Verfahrens über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht aufgetragen.

 

Gründe:

[1] Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Bezirksgerichts Grieskirchen vom 8. März 2023 (ON 27) wurde * J* mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall und Abs 2 SMG schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt. Gemäß § 43 Abs 1 StGB wurde diese Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

[2] Mit nach §§ 50, 51 StGB gefasstem – verfehlt in die Urteilsausfertigung aufgenommenem (RIS‑Justiz RS0101841; Jerabek/Ropper, WK‑StPO § 494 Rz 1) – Beschluss erteilte das Gericht * J* für die Dauer der Probezeit die Weisung, sich der Beratung durch eine Drogenberatungsstelle zu unterziehen und dies dem Gericht in Abständen von jeweils drei Monaten unaufgefordert durch Übermittlung einer Bestätigung nachzuweisen (ON 27 S 3).

[3] Mangels Einlangens der geforderten Nachweise mahnte die Richterin den Verurteilten – auf Antrag der Staatsanwaltschaft (ON 32) – mit „Beschluss“ vom 22. August 2023 förmlich ab, indem sie ihm unter Androhung des Widerrufs der bedingten Strafnachsicht auftrug, binnen drei Wochen eine Bestätigung über die Beratung durch eine Drogenberatungsstelle zu schicken und eine solche Bestätigung in Hinkunft alle drei Monate unaufgefordert zu übermitteln (ON 33).

[4] Dieser „Beschluss“ wurde * J* am 29. August 2023 durch Hinterlegung zugestellt (Anhang zu ON 33).

[5] Mit im Sinn des § 53 Abs 2 StGB gefasstem Beschluss vom 21. November 2023 (ON 34) widerrief die Richterin – über (für den Fall der Missachtung der förmlichen Mahnung gestellten) Antrag der Staatsanwaltschaft (ON 32) – die * J* gewährte bedingte Strafnachsicht. Zur Begründung führte sie aus, dass der „Angeklagte“ bereits im Rahmen der Jugenderhebungen weder ein Problembewusstsein hinsichtlich seines Cannabiskonsums (ON 20) noch eine Bereitschaft gezeigt habe, eine Drogenberatung in Anspruch zu nehmen. Trotz förmlicher Mahnung habe der „Angeklagte“ keinen Nachweis zur Einhaltung der Weisung erbracht und sich dieser mutwillig widersetzt.

[6] Dieser Beschluss wurde dem Verurteilten am 27. November 2023 an seinem Hauptwohnsitz (ON 35) durch Hinterlegung zugestellt, aber nicht behoben (Anhang zu ON 34).

[7] Am 3. Jänner 2024 verfügte die Richterin die eigenhändige Zustellung dieses Beschlusses an den Verurteilten über die zuständige Polizeiinspektion (ON 36), die am 4. Jänner 2024 vorgenommen wurde (ON 39).

[8] Über die gegen den Beschluss erhobene Beschwerde des Verurteilten (ON 37) wurde noch nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

[9] Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, stehen das dargestellte Vorgehen sowie der Beschluss des Bezirksgerichts Grieskirchen vom 21. November 2023 (ON 34) mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[10] Nach § 53 Abs 2 StGB hat das Gericht die bedingte Strafnachsicht oder die bedingte Entlassung zu widerrufen und die Strafe oder den Strafrest vollziehen zu lassen, wenn der Rechtsbrecher während des vom Gericht bestimmten Zeitraums eine Weisung trotz förmlicher Mahnung mutwillig nicht befolgt oder sich beharrlich dem Einfluss des Bewährungshelfers entzieht, und der Widerruf nach den Umständen geboten erscheint, um den Rechtsbrecher von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten.

[11] Gemäß § 495 Abs 3 StPO hat das Gericht vor der Entscheidung über den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht den Ankläger, den Verurteilten und den Bewährungshelfer zu hören sowie eine Strafregisterauskunft einzuholen. Von der Anhörung des Verurteilten (dazu Jerabek/Ropper, WK-StPO § 495 Rz 4 und 6) kann nur abgesehen werden, wenn sich erweist, dass sie ohne unverhältnismäßigen Aufwand nicht durchführbar ist. Ziel des Verfahrens ist die Schaffung einer zur verlässlichen Beurteilung der Widerrufsfrage hinreichenden Tatsachengrundlage (Jerabek/Ropper, WK-StPO § 495 Rz 4).

[12] Da das Bezirksgericht Grieskirchen die bedingte Strafnachsicht – trotz aktenkundiger inländischer Wohnadresse (ON 2.3) – ohne Anhörung des Verurteilten und ohne eine Strafregisterauskunft einzuholen widerrief, verletzte es § 495 Abs 3 StPO (RIS-Justiz RS0101849).

[13] Ein Beschluss hat gemäß § 86 Abs 1 StPO neben Spruch und Rechtsmittelbelehrung eine Begründung zu enthalten (§ 86 Abs 1 erster und vierter Satz StPO).

[14] Entscheidungen (§ 35 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StPO) sind unter anderem dann rechtsfehlerhaft, wenn die Ableitung der Rechtsfolge aus dem vom Entscheidungsträger zugrunde gelegten Sachverhaltssubstrat das Gesetz verletzt (RIS-Justiz RS0126648).

[15] Indem das Bezirksgericht Grieskirchen mit Beschluss vom 21. November 2023 (ON 34) die bedingte Strafnachsicht widerrief, aber keine Sachverhaltsgrundlage zur Beurteilung der spezialpräventiven Notwendigkeit des Widerrufs der * J* gewährten bedingten Strafnachsicht schuf, verletzte es § 86 Abs 1 StPO iVm § 53 Abs 2 StGB.

[16] Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Verurteilten wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

[17] Die (als Einspruch bezeichnete) Beschwerde des Verurteilten (ON 37) ist damit gegenstandslos.

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