European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00021.24B.0523.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 602,54 EUR (darin enthalten 100,42 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger hatte mit der Beklagten – einem Elektrizitätsunternehmen – einen Stromliefervertrag abgeschlossen. Mit Schreiben vom 22. 7. 2022 kündigte die Beklagte diesen Vertrag zum 30. 9. 2022 auf und bot ihm gleichzeitig den Abschluss eines neuen Stromlieferungsvertrags ab 1. 10. 2022 zu einem höheren Preis an. Der Kläger nahm dieses Angebot nicht an.
[2] Der Klägerbegehrte die Feststellung, dass die von der Beklagten erfolgte Aufkündigung seines Stromliefervertrags rechtsunwirksam sei und der Stromliefervertrag weiter aufrecht bestehe, und hilfsweise die Feststellung, dass zwischen ihm und der Beklagten ein aufrechter Stromliefervertrag bestehe. Zudem erhob er ein Feststellungsbegehren im Hinblick auf künftige Schäden. Es handle sich um eine unzulässige Änderungskündigung zur Umgehung des gesetzlichen Preisänderungsrechts nach § 80 Abs 2a ElWOG.
[3] Die Beklagtebeantragte die Abweisung des Klagebegehrens und entgegnete, sie habe von ihrem Recht auf ordentliche Kündigung nach § 76 Abs 1 ElWOG Gebrauch gemacht.
[4] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Für die einseitige Kündigung von Verträgen durch den Energieversorger habe § 80 Abs 2a ElWOG keine Bedeutung.
[5] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage, ob § 80 Abs 2a ElWOG auch dann anzuwenden sei, wenn der Energieanbieter die einseitige Kündigung des bisherigen Energieliefervertrags ausspreche und gleichzeitig ein Angebot zum Abschluss eines Neuvertrags mit höheren Preisen unterbreite, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
[6] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen zu ändern und dem Klagebegehren stattzugeben, hilfsweise mit einem Aufhebungsantrag.
[7] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist nicht zulässig und folglich zurückzuweisen.
[9] 1. Die von der Beklagten angeführte offenkundige Überbewertung des Streitgegenstands liegt nicht vor: Der Bewertungsanspruch der zweiten Instanz ist grundsätzlich unanfechtbar und auch für den Obersten Gerichtshof bindend (RS0042515), es sei denn, das Berufungsgericht hätte zwingende Bewertungsvorschriften verletzt (RS0042385 [T8]) oder den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum überschritten (RS0042385 [T22]; RS0042515 [T8]) und eine offenkundige Unter- oder Überbewertung vorgenommen (RS0109332 [T1]). Das ist hier nicht der Fall, weil es – selbst wenn man auf die von der Beklagten ins Treffen geführte Preisdifferenz abstellen wollte – nicht allein auf einen Jahresdifferenzbetrag ankommen kann, ist doch ein Energielieferungsvertrag ein Sukzessivlieferungsvertrag (RS0025878 [T2]) mit einem häufig längerfristigen Zeithorizont.
[10] 2. Der Oberste Gerichtshof hat die vom Kläger behaupteten Mängel des Berufungsverfahrens geprüft; sie bestehen nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
[11] 3. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über das Rechtsmittel zu beurteilen (vgl RS0112921; RS0112769). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage verliert somit ihre Erheblichkeit, wenn sie durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde (RS0112921; RS0112769 [T12]).
[12] 4. Sämtliche in der Revision als erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO bezeichneten Rechtsfragen hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst in seiner Entscheidung 3 Ob 7/24m, der ein nahezu identer Sachverhalt zugrunde lag, mit ausführlicher Begründung geklärt. Diese Grundsätze finden auch auf den vorliegenden Fall Anwendung:
[13] 4.1. § 76 Abs 1 ElWOG geht – schon seinem klaren Wortlaut nach – von der Zulässigkeit einer Vertragskündigung („ordentliche Kündigung“) durch den Lieferanten aus, wobei bei Verträgen mit Verbrauchern im Sinn des § 1 Abs 1 Z 2 KSchG und mit Kleinunternehmern eine Frist von zumindest acht Wochen einzuhalten ist. § 80 Abs 2 und Abs 2a ElWOG betreffen dagegen – wiederum schon nach dem klaren Gesetzeswortlaut und überdies im Einklang mit Art 10 Abs 4 der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie 2009/944/EU – dieeinseitigen Änderungen (...) der vertraglich vereinbarten Entgelte im aufrechten Vertragsverhältnis, nach welcher der Kunde berechtigt ist, die Kündigung des Vertrags (...) kostenlos und ungeachtet allfälliger vertraglicher Bindungen zu erklären. Folgerichtig hat die Novelle BGBl I 2022/7, mit der § 80 Abs 2a ElWOG eingeführt wurde, die – einen anderen Regelungsinhalt betreffende – Bestimmung des § 76 ElWOG unberührt gelassen.
[14] 4.2. Die Beklagte hat mit ihrem Schreiben vom 22. 7. 2022, das – entgegen den untauglichen gegenteiligen Auslegungsversuchen des Klägers – keinem anderen Verständnis zugänglich ist, keine Änderungen des vertraglich vereinbarten Entgelts bei weiterbestehendem Vertragsverhältnis und keine bloß bedingte, sondern die unbedingte ordentliche Kündigung des damals mit dem Kläger bestandenen Stromlieferungsvertrags vorgenommen.
[15] 4.3. Soweit sich die Ausführungen des Klägers, wonach jede Preisänderung zu einem unbefristeten Stromlieferungsvertrag in den Anwendungsbereich des § 80 ElWOG falle, (auch) gegen das neue Vertragsanbot der Beklagten richten sollten, welches der Kläger auch für intransparent sowie sitten‑ und gesetzwidrig hält, übersieht er, dass er das Anbot der Beklagten auf Abschluss eines neuen Vertrags mit höheren Strompreisen nicht angenommen hat und dies auch mit seinem Klagebegehren nicht anstrebt. Ob dieses Anbot den dafür maßgeblichen gesetzlichen Anforderungen oder den vom Kläger dazu verlangten Informationen entsprochen hat, bedarf daher keiner Überprüfung.
[16] 4.4. Für die hier vorliegende Konstellation der Stromversorgung steht es dem Verbraucher infolge Liberalisierung des Strommarktes frei, aus verschiedenen Stromanbietern zu wählen. Der einfache Umstieg zwischen verschiedenen Stromanbietern (Wechselmöglichkeit) wird durch §§ 76 ff ElWOG sichergestellt. Demnach liegt in diesem Bereich keine Fremdbestimmtheit des Klägers vor, weil er als Verbraucher ein echtes Wahlrecht unter verschiedenen Anbietern hat. Es besteht auch keine marktbeherrschende Stellung der Beklagten für eine Stromlieferung, hat doch das Erstgericht ohnehin zahlreiche Angebote anderer Lieferanten festgestellt, die unter Nutzung des Netzes der Beklagten für die Lieferung von elektrischer Energie an das Wohnhaus des Klägers zur Verfügung stehen und aus denen sich keine Hinweise ergeben, dass der Tarif der Beklagten nicht marktkonform wäre.
[17] 4.5. Da selbst ein redlicher Erklärungsempfänger (vgl RS0014160 [T24]; RS0014205 [insb T2 und T18]) auch wiederholte Preiserhöhungen nicht als (schlüssigen) Verzicht auf das Recht zur ordentlichen Kündigung verstehen könnte, liegen die in diesem Zusammenhang vom Kläger angeführten sekundären Feststellungsmängel nicht vor.
[18] 5. Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO.
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