OGH 3Ob78/24b

OGH3Ob78/24b23.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei * Rechtsanwaltskammer, *, vertreten durch Mag. Simone Hiebler, Dr. Gerd Grebenjak, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die verpflichtete Partei Mag. P*, vertreten durch Mag. Gregor Kohlbacher, Rechtsanwalt in Graz, wegen 61.956,71 EUR sA, über den Revisionsrekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 4. März 2024, GZ 4 R 8/24m‑14, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 31. Oktober 2023, GZ 242 E 5006/23b‑2, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00078.24B.0523.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Exekutionsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurswird nicht Folge gegeben.

Die verpflichtete Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht bewilligte der Betreibenden gegen den Verpflichteten, einen emeritierten Rechtsanwalt, aufgrund eines vollstreckbaren Rückstandsausweises „des Bezirksgerichts Graz-Ost“ (richtig: des Ausschusses der betreibenden Rechtsanwaltskammer) vom 20. Juni 2023 zur Hereinbringung der vollstreckbaren Forderung von 61.956,71 EUR sA die Fahrnis‑ und Forderungsexekution (das Exekutionspaket nach § 19 EO).

[2] Das Rekursgericht wies infolge Rekurses des Verpflichteten den Exekutionsantrag ab. Die vom Verpflichteten allein gerügte unrichtige Bezeichnung des Ausstellers des Titels sei zwar nicht relevant, weil kein Zweifel daran bestehe, dass die Betreibende ihren Anspruch auf den von ihr (ihrem Ausschuss) ausgestellten Rückstandsausweis stütze, und dieser Titel auch existiere. Allerdings hätte die Exekutionsbewilligung mangels Berechtigung des Ausschusses der Betreibenden zur Ausstellung des Rückstandsausweises nicht erteilt werden dürfen. § 28 Abs 1a RAO berechtige nämlich nur zur Ausstellung von Rückstandsausweisen im Fall von rückständigen Beiträgen, nicht aber auch im hier vorliegenden Fall einer Rückforderung zu Unrecht bezogener Leistungen (konkret einer Berufsunfähigkeitsrente).

[3] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zur Frage zu, ob § 28 Abs 1a RAO Grundlage für die Erlassung von Rückstandsausweisen über Rückforderungsansprüche der Rechtsanwaltskammern wegen von Kammermitgliedern zu Unrecht bezogener Leistungen sein könne.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der Revisionsrekurs der Betreibenden ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

[5] 1. Rückstandausweise sind keine Bescheide. Sie sind zwar in den gesetzlich vorgesehenen Fällen Exekutionstitel, sie sind aber nicht der Rechtskraft fähig und können jederzeit zurückgenommen werden (RS0053380 [T1]). Bei Rückstandsausweisen handelt es sich um „Auszüge aus den Rechnungsbehelfen“, mit denen die Behörde den Stand der offenen Zahlungsverbindlichkeiten eines Beitragsschuldners bekannt gibt (10 ObS 164/06z = RS0053380 [T3]). Bei der Bewilligung der Exekution aufgrund eines Rückstandsausweises hat das Gericht die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung des Exekutionstitels nicht zu überprüfen. Es ist auch nicht Sache des Exekutionsgerichts, die Gesetzmäßigkeit und Richtigkeit eines Rückstandausweises zu überprüfen, sofern dieser den formellen Erfordernissen entspricht. Wohl aber hat das Gericht zu prüfen, ob der betreibende Gläubiger zur Ausstellung eines Rückstandsausweises für die betriebene Forderung berechtigt ist und ob der Rückstandausweis neben den allgemeinen Anforderungen an einen Exekutionstitel (§ 7 Abs 1 EO) auch den nach der für diesen Rückstandsausweis in Betracht kommenden Norm vorgeschriebenen Inhalt hat (3 Ob 23/15a mwN).

[6] 2. Zum Wirkungskreis des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer gehört gemäß § 28 Abs 1 lit d RAO (unter anderem) die Besorgung der ökonomischen Geschäfte der Rechtsanwaltskammer einschließlich der Einbringung der Beiträge nach § 27 Abs 1 lit d RAO und der in der Umlagenordnung festgesetzten Beiträge. Gemäß § 28 Abs 1a RAO hat der Ausschuss im Fall von rückständigen Beiträgen (Abs 1 lit d) zu deren Hereinbringung einen Rückstandsausweis auszustellen, der den Namen und die Anschrift des Schuldners, den rückständigen Betrag, die Art des Rückstands, die vom rückständigen Betrag ab dem Tag der Ausstellung des Rückstandsausweises zu entrichtenden Verzugszinsen in der Höhe von vier Prozentpunkten über dem zum Tag der Ausstellung geltenden Basiszinssatz und den Vermerk, dass der Rückstandsausweis keinem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug unterliegt, zu enthalten hat; solche Rückstandsausweise sind Exekutionstitel im Sinn des § 1 der Exekutionsordnung.

[7] 3. Gegenstand des Rückstandsausweises vom 20. Juni 2023 sind allerdings nicht rückständige Beiträge, sondern die Rückforderung einer vom Verpflichteten im Zeitraum Juni 2020 bis Oktober 2022 – laut Titel infolge Verletzung seiner Meldepflichten zu Unrecht – bezogenen Berufsunfähigkeitsrente. Der Rückforderungsanspruch wird im Rückstandsausweis auf § 24 „der Satzung der Versorgungseinrichtung Teil A der österreichischen Rechtsanwaltskammern 2018“ gestützt.

[8] 4. Die damit angesprochene Verordnung der Vertreterversammlung des Österreichischen Rechtsanwalts-kammertages über die Versorgungseinrichtungen Teil A der österreichischen Rechtsanwaltskammern (Satzung Teil A 2018) regelt nach ihrem § 1 die Versorgung der Rechtsanwälte insbesondere für den Fall der Berufsunfähigkeit. Gemäß § 24 Satzung Teil A 2018 können zu Unrecht erbrachte Leistungen von der die Leistung auszahlenden Rechtsanwaltskammer zurückgefordert werden, insbesondere, wenn die Leistungen durch unrichtige Angaben oder Nichtmeldung maßgeblicher Tatsachen zu Unrecht erbracht oder irrtümlich falsch berechnet wurden. Gemäß § 53 Abs 2 Satzung Teil A 2018 hat der Leistungsbezieher allfällige Änderungen entscheidungserheblicher Umstände, insbesondere Änderungen, die das Erlöschen oder eine Verringerung des Leistungsanspruchs zur Folge haben könnten, unverzüglich schriftlich bekannt zu geben und zu bescheinigen. Ein Verstoß gegen die Mitwirkungs- und Auskunftspflichten berechtigt die Rechtsanwaltskammern gemäß § 53 Abs 4 Satzung Teil A 2018 allenfalls zur Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen nach § 24 Satzung Teil A 2018.

[9] 5. Wie bereits das Rekursgericht zutreffend erkannt hat, ist der Satzung Teil A 2018 keine Befugnis des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer zur Erlassung von Rückstandsausweisen zu entnehmen. Auch die Betreibende beruft sich in diesem Zusammenhang nur auf § 28 Abs 1a RAO.

[10] 6. Diese Bestimmung bezieht sich nach ihrem klaren Wortlaut ausschließlich auf die Einbringung der Beiträge nach § 27 Abs 1 lit d RAO und der in der Umlagenordnung festgesetzten Beiträge. § 27 Abs 1 lit d RAO regelt die Festsetzung der Jahresbeiträge der Kammermitglieder zur Bestreitung der Verwaltungsauslagen der Kammer, der Aufwendungen für Maßnahmen im Interesse der Kammermitglieder, insbesondere für Versicherungen und die Standeswerbung, sowie der Beiträge der Kammermitglieder zur Deckung der Ausgaben für humanitäre Standeszwecke iSd § 27 Abs 1 lit c RAO.

[11] 7. Entgegen der Ansicht der Betreibenden kommt eine „teleologische“ (im gegebenen Zusammenhang: ausdehnende) Auslegung des § 28 Abs 1a RAO dahin, dass Rückstandsausweise nicht nur für rückständige Beiträge, sondern auch für Rückforderungsansprüche wegen (angeblich) zu Unrecht bezogener Leistungen erlassen werden dürfen, nicht in Betracht. Dass eine zu Unrecht bezogene Leistung (wie hier eine Berufsunfähigkeitsrente) nach § 24 Satzung Teil A 2018 zurückgefordert werden kann, macht sie nämlich noch nicht zum „rückständigen Beitrag“ iSd § 28 Abs 1 lit d RAO, und für die Erlassung eines Rückstandsausweises auch zur Rückforderung zu Unrecht bezogener Leistungen fehlt eine gesetzliche Grundlage.

[12] 8. Das Rekursgericht ist daher zu Recht zum Ergebnis gekommen, dass der Rückstandsausweis vom 20. Juni 2023 mangels Rechtsgrundlage keinen tauglichen Exekutionstitel bildet. Der Revisionsrekurs muss deshalb erfolglos bleiben.

[13] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 ZPO. Von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen ist das Exekutionsverfahren nach wie vor einseitig. Die vom Verpflichteten erstattete Rekursbeantwortung ist zwar mangels gesetzlicher Anordnung nicht zurückzuweisen (RS0118686 [T11]), sie diente allerdings nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und ist daher nicht zu honorieren (RS0118686 [T12]).

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