OGH 13Os102/23h

OGH13Os102/23h24.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. April 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Flickinger in der Finanzstrafsache gegen * L* wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 2 lit a, 38 Abs 1 FinStrG idF vor BGBl I 2019/62 über den Einspruch und die Nichtigkeitsbeschwerde sowie die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 14. Juli 2023, GZ 24 Hv 110/21x‑41, ferner über die Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Erteilung einer Weisung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00102.23H.0424.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Finanzstrafsachen

 

Spruch:

Der Einspruch, die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und über die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * L* mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 2 lit a, 38 Abs 1 FinStrG idF vor BGBl I 2019/62 schuldig erkannt.

[2] Danach hat er im Zuständigkeitsbereich des (ehemaligen) Finanzamts Innsbruck als Einzelunternehmer (US 4 f) vorsätzlich und (in Erfüllung der Kriterien teils der Z 1, teils der Z 2 des § 38 Abs 2 FinStrG idF vor BGBl I 2019/62) in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Abgabenhinterziehungen einen nicht bloß geringfügigen abgabenrechtlichen Vorteil zu verschaffen, unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung an Umsatzsteuer für jeden einzelnen der Kalendermonate Juli 2016 bis März 2017 und Mai 2017 um (im angefochtenen Urteil nach Entrichtungszeiträumen aufgegliedert) insgesamt 145.350 Euro bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten.

[3] Die Hauptverhandlung am 14. Juli 2023 wurde – weil das Schöffengericht vom Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 231, 235 FinStrG und des (§ 195 Abs 1 erster Satz FinStrG iVm) § 427 Abs 1 erster Satz StPO ausging (ON 39 S 2) – in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt. Der (hingegen anwesende Amts‑)Verteidiger erklärte nach der Verkündung des (Abwesenheits-)Urteils, dagegen „Nichtigkeitsbeschwerde und Strafberufung“ anzumelden (ON 39 S 22).

[4] Eine Ausfertigung des Urteils wurde dem Verteidiger mit Wirksamkeit (§ 89d Abs 2 GOG) vom 7. August 2023 zugestellt.

[5] Mit am 30. August 2023 eingebrachtem Schriftsatz (ON 44) führte der Verteidiger die Rechtsmittel aus und erhob zugleich Einspruch gegen das Abwesenheitsurteil.

Zum Einspruch:

Rechtliche Beurteilung

[6] Die Frist zur Erhebung des Einspruchs gegen das in Abwesenheit des Angeklagten gefällte Urteil beträgt gemäß (§ 195 Abs 1 erster Satz FinStrG iVm) § 427 Abs 3 erster Satz StPO vierzehn Tage.

[7] Fristauslösend ist nach § 427 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 83 Abs 4 zweiter Satz StPO die – nach der Aktenlage bislang nicht erfolgte – persönliche Zustellung einer Ausfertigung des Urteils an den Angeklagten (Bauer, WK‑StPO § 427 Rz 16 f; jüngst 11 Os 89/23g, 90/23d, 91/23a, 92/23y).

[8] Besonderes (§ 195 Abs 1 erster Satz FinStrG) normiert jedoch insoweit § 235 FinStrG: Danach gilt die Zustellung von Gerichtsstücken – also auch des Abwesenheitsurteils (Lässig in WK2 FinStrG § 235 Rz 2) – an den Flüchtigen (§ 231 FinStrG) als bewirkt, sobald sie seinem Verteidiger zugestellt sind.

[9] Vorliegend ging das Schöffengericht – auf der Basis seiner (vom Einspruchswerber nicht infrage gestellten) prozessualen Sachverhaltsannahmen rechtsrichtig – davon aus, dass sich der Angeklagte der inländischen Gerichtsbarkeit dadurch entzieht, dass er sich im Ausland aufhält (§ 231 erster Fall FinStrG; dazu Lässig in WK2 FinStrG § 231 Rz 1).

[10] Im Gegenstand wurde daher die 14-tägige Einspruchsfrist durch die Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Abwesenheitsurteils an den Verteidiger in Gang gesetzt. Der (erst) zugleich mit der – wenn auch innerhalb der Frist der §§ 285 Abs 1 erster Satz, 294 Abs 2 zweiter Satz StPO eingebrachten – Ausführung der Rechtsmittel am 30. August 2023 erhobene Einspruch ist demnach verspätet.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde:

[11] Seine – in der Ausführung verfehlt, jedoch unschädlich (RIS‑Justiz RS0099013 [T1 und T2]) als „Berufung wegen Nichtigkeit“ bezeichnete – Nichtigkeitsbeschwerde stützt der Angeklagte auf § 281 Abs 1 Z 4 StPO.

[12] Ihr zuwider zu Recht abgewiesen (ON 39 S 18 f) wurden die in der Hauptverhandlung am 14. Juli 2023 gestellten (ON 39 S 17 f) Anträge des Beschwerdeführers auf Ladung und zeugenschaftliche Vernehmung

- des Dr. * G* zum Beweis dafür, dass „den Angeklagten für die Abfuhr von Umsatzsteuer keine Verpflichtung getroffen haben kann“,

- der * M* zum Beweis dafür, dass „die Rechnungslegung regelmäßig durch die Firma S* S.r.l. erfolgte und daher den Angeklagten keine Verpflichtung zur Bezahlung von Umsatzsteuer getroffen haben kann,“ sowie

- eines „informierten Vertreters der Steuerberatungskanzlei K* zum Beweis dafür, dass die Umsatzsteuerschuld die Firma S* S.r.l. und nicht den Angeklagten traf, dies unter Aufforderung zur Vorlage der bezugnehmenden Aktenstücke, die in der Steuerberatungskanzlei noch verfügbar, da archiviert sind“.

[13] Davon, dass die S* S.r.l. in Bezug auf die vom Schuldspruch umfassten steuerlichen Sachverhalte (Lieferungen und sonstigen Leistungen) „regelmäßig“ als Rechnungsausstellerin fungierte, ging das Schöffengericht ohnedies aus (§ 55 Abs 2 Z 3 StPO, US 5).

[14] Unter dem Aspekt rechtsrichtiger Subsumtion ist dies hier aber schon deshalb bedeutungslos, weil nach den– unbekämpften – Urteilsfeststellungen der Angeklagte die in Rede stehenden Lieferungen und sonstigen Leistungen als Einzelunternehmer erbracht und als solcher entsprechende Rechnungen gelegt hat (US 4 f), die nachträgliche Rechnungslegung (über identische Rechnungsbeträge) durch die S* S.r.l. also bloß zu Verschleierungszwecken erfolgt ist (US 5). Auf der Basis des Urteilssachverhalts war somit jedenfalls der Angeklagte als der leistende Unternehmer (§ 1 Abs 1 Z 1 UStG iVm § 2 Abs 1 UStG) Steuerschuldner im Sinn des § 19 Abs 1 erster Satz UStG.

[15] Im Übrigen zielten die Anträge durchwegs auf eine Beantwortung von Rechtsfragen ab, die als Beweisthema – von vornherein – nicht in Betracht kommt (RIS‑Justiz RS0099342).

[16] Im Rechtsmittel nachgetragenes, die Anträge ergänzendes Vorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS‑Justiz RS0099618).

[17] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO – ebenso wie die im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene (§ 283 Abs 1 StPO), gleichwohl ausgeführte Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld – (im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur) bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[18] Die Entscheidung über die Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und über die (gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO als erhoben zu betrachtende) Beschwerde gegen den – verfehlt in die Urteilsausfertigung aufgenommenen (RIS‑Justiz RS0126528; Jerabek/Ropper, WK‑StPO § 494 Rz 1) – Beschluss auf Erteilung einer Weisung kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

[19] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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