OGH 2Ob51/24z

OGH2Ob51/24z23.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende und die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O*, vertreten durch Mag. Stephan Zinterhof, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. K*, und 2. J*, beide vertreten durch Hon.‑Prof. Dr. Bernhard Fink ua, Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, und den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Parteien D*, vertreten durch Dr. Walter Brunner, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Unterlassung, über den Rekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 6. Dezember 2023, GZ 3 R 145/23b‑79, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 30. Mai 2023, GZ 28 Cg 59/21v‑71, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00051.24Z.0423.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 1.447,74 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin enthalten 241,29 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist der Sohn, die Beklagten sind die Enkelinnen der 2018 verstorbenen Erblasserin. Die Verlassenschaft wurde den Beklagten jeweils zur Hälfte eingeantwortet.

[2] Mit letztwilliger Verfügung vom 14. März 2013 samt Nachtrag vom 15. Jänner 2014 (in der Folge: Testament 2013) setzte die Erblasserin die damalige Lebensgefährtin des Klägers zur Alleinerbin ein. Unter anderem für den – unstrittig eingetretenen – Fall der Auflösung der Lebensgemeinschaft setzte sie die Beklagten zu Ersatzerbinnen ein. Dem Kläger vermachte sie in Abgeltung seiner Pflichtteilsansprüche als Vermächtnis ein Wohnungsgebrauchsrecht an mehreren Häusern samt Grundflächen und verfügte die Einräumung eines Belastungs- und Veräußerungsverbots zu seinen Gunsten.

[3] Mit letztwilliger Verfügung vom 28. Jänner 2017 (in der Folge: Testament 2017) widerrief die Erblasserin alle früheren letztwilligen Verfügungen und setzte die Beklagten zu Erbinnen ein. Den Kläger setzte sie auf den Pflichtteil.

[4] In dem im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens geführten Verfahren über das Erbrecht stellte das Bezirksgericht Bleiburg mit rechtskräftigem Beschluss vom 11. September 2020 „das Erbrecht der beiden Testamentserbinnen“ (hier Beklagten) fest und wies die Erbantrittserklärung „des gesetzlichen Erben (hier Kläger) aufgrund des Gesetzes zum gesamten Nachlass“ ab. Diesem Verfahren lagen Erbantrittserklärungen der Beklagten zum jeweils halben Nachlass, die sich in erster Linie auf das Testament 2017, hilfsweise aber auch auf das Testament 2013 stützten, sowie eine Erbantrittserklärung des Klägers aufgrund des Gesetzes zum gesamten Nachlass zu Grunde.

[5] Seine Entscheidung begründete das Verlassenschaftsgericht damit, dass (a) die Erblasserin bei Errichtung des Testaments 2017 testierfähig und lesefähig war, (b) die Formvorschriften des § 579 Abs 2 ABGB idF ErbRÄG 2015 bei Errichtung des Testaments 2017 eingehalten wurden und (c) die Beklagten nicht erbunwürdig sind, wies aber auch darauf hin, dass (d) die Lebensgemeinschaft des Klägers zu der im Testament 2013 eingesetzten Erbin beim Tod der Erblasserin aufgelöst war.

[6] Der Kläger begehrt die Unterlassung des Verkaufs oder der Weitergabe näher bezeichneter Liegenschaften an Dritte. Ihm stehe ein Vermächtnis aufgrund des Testaments 2013 zu. Das Testament 2017 sei unwirksam, weil die Erblasserin nicht testierfähig gewesen sei, die Identität der Zeugen nicht aus der Urkunde hervorgehe (§ 579 Abs 2 ABGB) und die Formvorschrift des § 580 Abs 2 ABGB trotz extremer Sehschwäche der Erblasserin nicht eingehalten worden sei. Eine bindende Entscheidung über die Gültigkeit des Testaments 2017 liege nicht vor. Es bestehe die konkrete Befürchtung, dass die Beklagten die von ihnen geerbten Liegenschaften, auf die sich das Vermächtnis des Klägers beziehe, verkaufen könnten.

[7] Die Beklagten wenden ein, dass das Testament 2013 durch das Testament 2017 widerrufen und über die (zu bejahende) Gültigkeit des Testaments 2017 im Verfahren über das Erbrecht endgültig und bindend abgesprochen worden sei.

[8] Der Nebenintervenient auf Seiten der Beklagten schließt sich deren Rechtsstandpunkt an.

[9] Das Erstgerichtwies das Klagebegehren ab und ging davon aus, dass das Verlassenschaftsgericht bindend über die Testierfähigkeit der Erblasserin im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments 2017 und dessen Formgültigkeit abgesprochen habe.

[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Urteil auf und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu. Die Gültigkeit des Testaments 2017 sei lediglich eine Vorfrage im Verfahren über das Erbrecht gewesen, sodass insoweit keine Bindungswirkung bestehe.

[11] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil der Fachsenat die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht in der Entscheidung 2 Ob 122/20k nur bei Einnahme einer „strengen Sicht“ in Erwägung gezogen habe.

[12] Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Abänderungsantrag, das Ersturteil wiederherzustellen.

[13] Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[14] Der Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[15] 1. Die Bindungswirkung der Rechtskraft besteht nur in Bezug auf die im Vorverfahren entschiedene Hauptfrage, nicht aber für eine dort beurteilte Vorfrage (RS0042554). Eine zwei Entscheidungsgegenständen gemeinsame Vorfrage kann daher in beiden Prozessen verschieden beurteilt werden (RS0041180). Es ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, worüber im Vorverfahren als Hauptfrage entschieden wurde. Maßgebend dafür ist grundsätzlich der Spruch der Entscheidung, die Gründe sind nur zu dessen Auslegung und Individualisierung heranzuziehen (RS0043259; RS0041357).

[16] 2. Der Fachsenat hatte in der Entscheidung 2 Ob 122/20k über die Frage der Bindungswirkung in einem Fall zu entscheiden, in dem hintereinander mehrere Verfahren über das Erbrecht (aufgrund teilweise unterschiedlicher Berufungsgründe der Erbansprecher) geführt wurden. Der Spruch der Entscheidung im ersten Verfahren bezog sich ausschließlich auf das (verneinte) Erbrecht aufgrund des Testaments 2012. Vor diesem Hintergrund führte der Senat aus, dass „bei strenger Sicht“ die Auffassung vertreten werden könnte, dass die Gültigkeit dieses Testaments dort nur eine Vorfrage gebildet habe. In diesem Fall wäre die Bindung von Vornherein darauf beschränkt, dass sich die Erbansprecher in einem weiteren Verfahren nicht mehr auf ihr Erbrecht aufgrund des Testaments 2012 berufen könnten. Letztlich ließ der Senat jedoch offen, ob diese Begründung in ihrer Allgemeinheit zutrifft, weil die das Erbrecht der Erbansprecher aufgrund des Testaments 2012 verneinende Entscheidung im ersten Verfahren in Wahrheit auf einer Unschlüssigkeit von deren Rechtsstandpunkt beruhte (Rz 29 ff).

[17] In der Folgeentscheidung 2 Ob 65/22f wies der Fachsenat darauf hin, dass in der Vorentscheidung 2 Ob 122/20k verneint worden sei, dass die Begründung der Entscheidung im ersten Verfahren über das Erbrecht – also die Annahme der Ungültigkeit des Testaments – Bindungswirkung entfalte. Sehr wohl entfalte aber die Hauptfrage des Vorverfahrens – also das Bestehen oder Nichtbestehen des Erbrechts der Erbansprecher aufgrund des Testaments 2012 – Rechtskraftwirkung (Rz 23). Die Beurteilung in der Vorentscheidung, dass die Ausführungen zur Gültigkeit des Testaments 2012 im ersten Verfahren keine Bindungswirkung für das zweite Verfahren entfalten würden, teile auch Klicka (EAnm zu 2 Ob 122/20k, NZ 2021/53, 191 [197]), der dies allerdings vor allem mit der Qualifikation dieser Frage als bloße Vorfrage begründe. An dieser Auffassung sei festzuhalten (Rz 25 f).

[18] In der Entscheidung 2 Ob 162/23x sprach der Fachsenat schließlich aus, dass die behauptete (Un‑)Gültigkeit eines den Erbansprecher begünstigenden Testaments im Verfahren über das Erbrecht (nur) als Vorfrage zu prüfen ist (Rz 16).

[19] 3. Insgesamt ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zur Bindungswirkung damit durch jüngere Entscheidungen des Fachsenats gedeckt. Hauptfrage im Verfahren über das Erbrecht ist das Bestehen oder Nichtbestehen des Erbrechts des Erbansprechers aufgrund des von ihm angegebenen Berufungsgrundes (2 Ob 65/22f Rz 23). Die (Un‑)Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung ist hingegen nur als Vorfrage im Verfahren über das Erbrecht zu qualifizieren (2 Ob 162/23x Rz 16). Die Verneinung einer Bindungswirkung durch das Berufungsgericht erweist sich damit als nicht korrekturbedürftig.

[20] 4. Insgesamt war der Rekurs damit zurückzuweisen.

[21] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 ZPO. Ein Kostenvorbehalt findet im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit eines Rekurses nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO nicht statt. Vielmehr sind dem Kläger, der auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen hat, die Kosten seiner Rekursbeantwortung zuzusprechen (RS0123222 [T4]).

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