European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00033.24Y.0423.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Der Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde K* S* des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (1) und der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (2) schuldig erkannt.
[2] Danach hat sie am 13. Juni 2023 in S*
1) G* M* durch Versetzen eines Stichs mit einem Messer mit einer Klingenlänge von acht Zentimetern in den Brustkorb, wodurch dieser eine Stichverletzung im Oberkörper samt geringfügiger Blutluftbrust (Hämatopneumothorax) links und einen Bruch der achten Rippe links ohne Verschiebung der Bruchenden erlitt, zu töten versucht;
2) nachdem sie G* M* im Beisein nachstehender Personen einen Stich mit einem Messer mit einer Klingenlänge von acht Zentimetern in den Brustkorb versetzt hatte und das Messer weiterhin in der Hand hielt, J* M*, J* W* und L* W* durch die Äußerung: „Ihr seid die Nächsten“ jeweils gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.
[3] Die Geschworenen bejahten zu (1) die Hauptfrage in Richtung Mord nach §§ 15, 75 StGB, weshalb die dazu gestellte Eventualfrage in Richtung schwerer Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB unbeantwortet blieb.
[4] Ebenso bejahten die Geschworenen zu (2) die jeweilige Hauptfrage (§ 312 Abs 2 StPO) in Richtung gefährlicher Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB.
[5] Weitere Fragen wurden nicht gestellt.
Rechtliche Beurteilung
[6] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5 und 6 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.
[7] Die Verfahrensrüge (Z 5) richtet sich gegen die Abweisung des Antrags auf Beiziehung eines weiteren psychiatrisch-neurologischen Sachverständigen zum Beweis dafür, dass die Angeklagte aufgrund von Schlafmangel, ihrer Alkoholisierung in Kombination mit den weiteren in ihrem Blut aufgefunden Wirkstoffen Sertralin, Norsertralin und Trazodon und unter Mitberücksichtigung ihres „Krankheitsbildes“ nicht zurechnungsfähig im Sinn des § 11 StGB war.
[8] Die beigezogene psychiatrische Sachverständige wurde in der Hauptverhandlung am 19. November 2023 vernommen (ON 77, 19 ff). Nach Erörterung ihres Gutachtens, in deren Rahmen sie (auch) alle Fragen der Verteidigung beantwortete und erklärte, warum die Angeklagte aus psychiatrischer Sicht zu den Tatzeitpunkten trotz Schlafmangels, der feststellbaren Mengen an Alkohol und weiterer Wirkstoffe in ihrem Blut sowie einer depressiven Störung zurechnungsfähig war (ON 77, 22 ff), wurde die Sachverständige entlassen (ON 77, 26 [„Keine weitere Frage an die Sachverständige“]).
[9] Die Beschwerdeführerin legte in ihrem – allein maßgeblichen (RIS‑Justiz RS0099117, RS0099618) – Antrag in der Hauptverhandlung (ON 77, 40) nicht substanziiert dar, worin ein formaler Mangel (§ 127 Abs 3 erster Satz StPO)in dieserExpertisezu erblicken gewesen wäre, sondern beschränkte sich – ohne auf die genannten Erläuterungen der Sachverständigen einzugehen – darauf, einen solchen Mangel lediglich zu behaupten (RIS‑Justiz RS0117263 [T17]). Ebenso wenig wurde im Antrag aufgezeigt, dass ein Verbesserungsverfahren (§ 127 Abs 3 erster Satz StPO) angestrebt, ein solches jedoch trotz geeigneter Frage- und Antragstellung erfolglos geblieben wäre (RIS‑Justiz RS0117263 [T6, T21], vgl auch RS0102833 [T2, T3]).
[10] Solcherart zielte der Antrag auf die Überprüfung des bereits erstatteten Sachverständigengutachtens und damit auf Erkundungsbeweisführung ab, weshalb er – der Rüge zuwider – sanktionslos abgewiesen werden konnte (und zwar unabhängig von der diesbezüglichen Begründung – RIS‑Justiz RS0116749).
[11] Die Fragenrüge (Z 6) kritisiert unter Berufung auf Schlafmangel, die Alkoholisierung und die im Blut festgestellten Wirkstoffe, dass zu den Hauptfragen keine Zusatzfragen nach dem Schuldausschließungsgrund der Zurechnungsunfähigkeit im Sinn des § 11 StGB gestellt wurden.
[12] Derartige Zusatzfragen wären nur zu stellen gewesen, wenn in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse ernsthaft indiziert hätten, dass einer der in § 11 StGB genannten Zustände vorlag und hierdurch die Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit der Angeklagten ausgeschlossen wurde (RIS‑Justiz RS0100527 [insb T1], RS0089865).
[13] Die Nichtigkeitswerberinführt zur Fundierung der Rüge Passagen ihrer eigenen Aussage zu ihrem Alkohol- und Medikamentenkonsum, zu ihrem Schlafverhalten und zu ihrem fehlenden Erinnerungsvermögen betreffend Details des Tatgeschehens, Teile der Angaben der Zeuginnen J* W*, J* M* und D* D* sowie des Zeugen CI H* zu derenWahrnehmungenvon Alkoholisierungsmerkmalen und Einschätzungen (vgl jedoch RIS‑Justiz RS0097540) zum Zustand der Angeklagten sowie den Ausschnitt des toxikologischen Gutachtens zur wahrscheinlichen Blutalkoholkonzentration im Tatzeitpunkt von 2,76 Promille und zum Nachweis der Wirkstoffe Sertralin und Trazodon in ihrem Blut ins Treffen.
[14] Unberücksichtigt bleiben allerdings die Ausführungen des toxikologischen Sachverständigen, wonach Trazodon in so geringer Menge vorhanden war, dass nur Alkohol und Sertralin gemeinsam gewirkt hätten (ON 86, 3), sowie die Expertise der psychiatrischen Sachverständigen, wonach aus medizinischer Sicht zu den Tatzeitpunkten auch unter Berücksichtigung dieser kombinierten Faktoren Zurechnungsfähigkeit gegeben war (ON 30.3, 4; ON 77, 19 ff).
[15] Solcherartberücksichtigt die Rüge weder die aufdie vermisste Frage bezogenen Beweisergebnisse in ihrer Gesamtheit, sondern greift nur solche Teile heraus, die ihrem Standpunkt entsprechen (vgl RIS‑Justiz RS0120766 [T4]; Lässig, WK‑StPO § 313 Rz 8), noch zeigt sie mit diesem Vorbringen in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse auf, die die begehrte Fragestellung nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ernsthaft indiziert hätten (erneut RIS‑Justiz RS0100527 [insb T1]), womit sie nicht prozessförmig zur Ausführung gelangte (vgl RIS‑Justiz RS0117447).
[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO). Die Entscheidung über die Berufung und die (implizite) Beschwerde kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 344, 285i, 498 Abs 3 StPO).
[17] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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