European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00014.24W.0417.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nichtFolge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.355,90 EUR (darin enthalten 392,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin hat bei der Beklagten einen aufrechten Rechtsschutzversicherungsvertrag (Firmen-rechtsschutz), beinhaltend den Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutz. Als Vertragsgrundlage sind die ARB 2012 sowie die SRB 2012 vereinbart; sie lauten auszugsweise:
„ Artikel 23 Allgemeiner Vertrags Rechtsschutz
1. Wer ist in welcher Eigenschaft versichert?
[...]
1.2. im Betriebsbereich
der Versicherungsnehmer für den versicherten Betrieb
2. Was ist versichert?
2.1. Der Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen sowie aus Reparatur‑ und sonstigen Werkverträgen des Versicherungsnehmers über unbewegliche Sachen.
Als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gilt auch die Geltendmachung und Abwehr von Ansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstehen und über das Erfüllungsinteresse hinausgehen, oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen.
[...]
2.3. Im Betriebsbereich besteht – soweit nichts anderes vereinbart ist – Versicherungsschutz nur unter folgenden Voraussetzungen
2.3.1. sofern und solange die tatsächlichen oder behaupteten Forderungen und Gegenforderungen der Vertragsparteien (Gesamtansprüche) aufgrund desselben Versicherungsfalles im Sinne des Artikel 2.3. die vertraglich vereinbarte Obergrenze unabhängig von Umfang, Form und Zeitpunkt der Geltendmachung nicht übersteigen.
[...]“
[2] Im Versicherungsvertrag ist eine Streitwertobergrenze beim Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutz für den Betriebsbereich von 150.000 EUR vereinbart.
[3] Der Versicherungsvertrag enthält weiters den Rechtsschutzbaustein:
„Insolvenzrechtsschutz (3 Streitigkeiten pro Versicherungsjahr)
Versichert gelten die Kosten der Forderungsanmeldung und Vertretung im Insolvenzverfahren bis zur Höhe der Vertretungskosten eines bevorrechteten Gläubiger schutzverbandes; für diese Leistung kommt kein Selbstbehalt zur Anwendung.
Pro Versicherungsjahr gelten drei Streitigkeiten im Zusammenhang mit Insolvenzrecht mitversichert. Der Versicherungsschutz gilt unabhängig davon, ob der Allgemeine Vertragsrechtsschutz gemäß Art 23 ARB vereinbart wurde.“
[4] Die Klägerin meldete im Insolvenzverfahren der D* GmbH im Jahr 2021 verschiedene – aus ihrer Geschäftstätigkeit mit der D* GmbH resultierende – Forderungen ua aus Lieferungen, Leistungen und geleisteten Anzahlungen an. Der Masseverwalter im Konkurs der D* GmbH brachte im Juni 2022 eine Anfechtungsklage gegen die Klägerin ein. Er begehrt von der Klägerin 312.057,33 EUR aufgrund anfechtbarer Rechtshandlungen im Sinne des § 30 Abs 1 Z 2 und § 28 Z 3 und Z 4 IO, sowiegemäß § 14 EKEG.
[5] Die Klägerin begehrt von der Beklagten – soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse – die Feststellung der Deckung für diesen Anfechtungsprozess aus dem Rechtsschutzbaustein des Insolvenzrechtsschutzes.
[6] Die Beklagtebestreitet ihre Deckungspflicht für die Rechtsverteidigung in dem gegen die Klägerin angestrengten Anfechtungsprozess. Die Abwehr von Anfechtungsklagen des Insolvenzverwalters sei grundsätzlich von Artikel 23 Allgemeiner Vertrags‑Rechtsschutz umfasst; der konkrete Prozess übersteige aber die vereinbarte Streitwert‑Obergrenze. Im Insolvenz-Rechtsschutz seien derartige Streitigkeiten nicht umfasst. § 14 EKEG sei im Übrigen nach dem Klagsvorbringen des Masseverwalters nicht als eigene Anspruchsgrundlage zu verstehen.
[7] Das Erstgerichtwies das – in dritter Instanz noch strittige – Klagebegehren auf Deckung ab. Im Rechtsschutzbaustein Insolvenzrechtsschutz seien nur insolvenzrechtliche Streitigkeiten im eigentlichen Sinn umfasst, gemeint die Beteiligung an einem Insolvenzverfahren und die Vertretung in einem Insolvenzverfahren.
[8] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung in eine klagsstattgebende ab. Ein verständiger Versicherungsnehmer könne die Umschreibung des versicherten Risikos nur so verstehen, dass neben der Vertretung im Insolvenzverfahren, zusätzlich – zahlenmäßig beschränkt – Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht und damit Streitigkeiten außerhalb des eigentlichen Insolvenzverfahrens, umfasst sein sollen. Die Streitwertobergrenze sei unmissverständlich nur für den Baustein des Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutzes, nicht hingegen für den vereinbarten Insolvenz‑Rechtsschutz vereinbart worden.
[9] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] Die Klägerin beantragt in ihrer vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.
[12] 1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt, im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).
[13] 2. Der hier gegenständliche „Insolvenzrechtsschutzbaustein“ ist Teil der allgemeinen Risikoumschreibung. Diese allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind (RS0080166 [T10]). Für das Vorliegen des Versicherungsfalls trifft nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer die Beweislast (RS0043438). Der Versicherungsnehmer, der eine Versicherungsleistung beansprucht, muss daher die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls beweisen (RS0080003).
3. Der Rechtsschutzbaustein „Insolvenzrechtsschutz“ beinhaltet zusätzlich zu der im ersten Satz beschriebenen Deckung im eigentlichen Insolvenzverfahren für die Forderungsanmeldung (erste Risikoumschreibung) auch Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht (zweite Risikoumschreibung). Das ergibt sich aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers bereits aus dem Wort „mitversichert“, das ansonsten keinen Bedeutungsgehalt hätte. Der erste Absatz spricht im Übrigen von Kosten „im Insolvenzverfahren“, während der zweite Absatz „Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht“ anführt. Daran lässt sich erkennen, dass die beiden Absätze andere Fälle vor Augen haben. Im eigentlichen Insolvenzverfahren liegt überdies nicht zwangsläufig eine „Streitigkeit“ vor, was die Beklagte in ihrer Revision selbst einräumt. Hätte die Beklagte mit dem zweiten Teil der Bestimmung eine Beschränkung auf drei Fälle pro Versicherungsjahr für das erste Risiko zum Ausdruck bringen wollen, hätte sie das ohne Weiteres in den ersten Absatz aufnehmen können. Aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers regelt dieser Baustein daher zwei verschiedene versicherte Risiken.
[14] 4. Es ist damit zu prüfen, was von dem Begriff „Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht“ aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers umfasst ist. Nach dem Wortlaut geht die Bedeutung des zweiten versicherten Risikos über das eigentliche Insolvenzverfahren hinaus. Dies entspricht auch dem Verständnis der Beklagten, die in ihrer Revision selbst davon ausgeht, dass Prüfprozesse in diesem Baustein gedeckt wären.
[15] 4.1. Eine nähere Definition des Begriffs enthält das Vertragswerk der Parteien nicht. Allerdings wird der verwandte, wenn auch engere Begriff der „Klagen, die in (engem) Zusammenhang mit Insolvenzverfahren stehen“ gesetzlich verwendet, namentlich in Art 6 EuInsVO und § 63a IO. Auch wenn es sich dabei um verfahrensrechtliche Vorschriften handelt, können sie für die Auslegung des hier interessierenden Begriffs wichtige Anhaltspunkte liefern:
[16] Art 6 der Verordnung (EU) 2015/848 vom 20. 5. 2015 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) nennt ausdrücklich die Anfechtungsklage als Beispiel für eine Klage mit – sogar – engem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren. Ähnlich hat der Fachsenat des Obersten Gerichtshofs sie in 17 Ob 12/21w (Rn 30 mwN) als „klassisches Beispiel“ für eine insolvenznahe Klage bezeichnet. Ebenso werden in der Lehre Klagen aus dem Anfechtungsrecht nach §§ 27 ff IO als „insolvenznahe“ angesehen (vgl Schumacher in Koller/Lovrek/Spitzer, IO2 § 63a IO Rz 7). Auch § 43 Abs 5 IO verweist – wie auch bereits die Vorgängerbestimmung der KO – Anfechtungsklagen des Insolvenzverwalters (Masseverwalters) in die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, was diese Sichtweise bestärkt.
[17] Es ist daher folgerichtig, dem hier verwendeten weiteren Begriff der Streitigkeiten in Zusammenhang mit– nicht nur – dem Insolvenzverfahren, sondern dem Insolvenzrecht schlechthin auch den vorliegenden Anfechtungsanspruch des Insolvenzverwalters zu unterstellen.
[18] 4.2. Dieses Ergebnis wird auch aus materiell‑rechtlicher Sicht erhärtet, ist doch der (hier auf § 30 Abs 1 Z 2 und § 28 Z 3 und Z 4 IO gestützte) Anfechtungsanspruch ein Forderungsanspruch eigener Natur, dessen Ziel nicht bloß die Wiederherstellung des Zustands der Insolvenzmasse vor der Rechtshandlung, sondern die Herstellung des Zustands ist, in dem sich die Masse befände, wenn die anfechtbare Rechtshandlung nicht vorgenommen worden wäre (RS0050372). Die Anfechtung will eine Verkürzung der Insolvenzmasse ausgleichen und bezieht sich somit nur auf das im Zeitpunkt der anfechtbaren Handlung zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen (vgl Bollenberger/Spitzer in Koller/Lovrek/Spitzer, IO2 § 27 IO Rz 16). Eine Anfechtung kann gemäß § 27 IO (nur) dazu führen, dass Rechtshandlungen den Insolvenzgläubigern gegenüber als unwirksam erklärt werden. Es besteht daher materiell‑rechtlich ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht.
[19] 5. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der gegenständliche Anfechtungsprozess als eine „Streitigkeit im Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht“ vom hier vereinbarten Rechtsschutzbaustein „Insolvenzrechtsschutz“ erfasst ist.
[20] 6. Dass ein Anfechtungsprozess auch im Rechtsschutzbaustein des Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutzes in Art 23.2.1 ARB 2012 versichert sein kann (vgl zu den gleichlautenden ARB 2008: 7 Ob 96/13p), steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Zwar ist grundsätzlich Voraussetzung für die problemfreie Nutzung des flexiblen Systems zur Produktgestaltung eine klare Abgrenzung der Deckung zwischen den einzelnen Rechtsschutz‑Bausteinen (7 Ob 91/22s Pkt 5.3.1.). Die Beklagte weist aber selbst im Rechtsschutzbaustein „Insolvenzrechtsschutz“ darauf hin, dass „der Versicherungsschutz unabhängig davon gilt, ob der Allgemeine Vertragsrechtsschutz gemäß Art 23 ARB vereinbart wurde“. Diese „Unabhängigkeit von“ kann nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers nur bedeuten, dass die Beklagte selbst die Geltung des Insolvenzrechtsschutz‑Bausteins nicht von einer allfälligen Deckung in Art 23 ARB 2012 – und damit auch der dort geltenden Streitwertobergrenze – abhängig macht. Die von der Beklagten im Rahmen der Revision vertretene Auslegung dieses Hinweises, es solle sich daraus ergeben, dass vom Insolvenzrechtsschutzbaustein nur solche Fälle erfasst wären, die nicht unter Art 23 ARB 2012 fallen würden, lässt sich dieser Beifügung gerade nicht entnehmen.
[21] 7. Die Beklagte hat der Klägerin daher für den Anfechtungsprozess – ohne Geltung der unstrittig im „Insolvenzrechtsschutz“ nicht vereinbarten Streitwertobergrenze – Deckung zu gewähren.
[22] 8. Der Revision war damit keine Folge zu geben.
[23] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.
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