OGH 14Os15/24y

OGH14Os15/24y16.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. April 2024 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Weißmann in der Strafsache gegen P* M* wegen des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB, AZ 3 U 13/23f des Bezirksgerichts Braunau, über den Antrag der Genannten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140OS00015.24Y.0416.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Grundrechte

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil vom 9. August 2023 sprach das Bezirksgericht BraunauP* M* des (richtig: der) Vergehen(s) der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB schuldig und verurteilte sie zu einer Geldstrafe (ON 16).

[2] Danach hat sie am 16. Oktober 2022 in O* fahrlässig eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit von C* und E* M* sowie W* A* herbeigeführt, indem sie als Lenkerin eines Fahrzeugs unter Außerachtlassung der im Straßenverkehr gebotenen Aufmerksamkeit und Sorgfalt im Zuge eines Überholmanövers eine Kollision mit dem von A* gelenkten Fahrzeug verursachte, nachdem sie sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand (Blutalkoholgehalt von 1,48 Promille) versetzte, obwohl sie vorhergesehen hatte, dass ihr mit dem Lenken eines Kraftfahrzeugs eine Tätigkeit bevorstand, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet war.

[3] In der dagegen erhobenen Berufung machte die Angeklagte (unter anderem) den Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b (iVm § 468 Abs 1 Z 4) StPO geltend. Dazu führte sie aus, dass das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 23. März 2023, mit welchem das gegen sie geführte verwaltungsbehördliche Strafverfahren eingestellt worden sei, Sperrwirkung entfalte, sodass einer Verurteilung im justiziellen Strafverfahren das Verbot wiederholter Strafverfolgung entgegenstehe.

[4] Das Landesgericht Ried im Innkreis gab der Berufung der Angeklagten mit Urteil vom 18. Dezember 2023 keine Folge. Dem Einwand wiederholter Strafverfolgung hielt es entgegen, dass das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich der Sache nach eine „verwaltungsstrafrechtliche Unzuständigkeitsentscheidung“ darstellte und deshalb der Verurteilung im justiziellen Strafverfahren nicht entgegenstünde (ON 22).

[5] Soweit nachfolgend relevant ging das Berufungsgericht von folgenden (vom Erneuerungsantrag nicht bekämpften) Sachverhaltsannahmen aus (ON 22 S 2 f; vgl zum Bezugspunkt des Erneuerungsantrags RS0125393 [T1]):

[6] Am 17. Oktober 2022 erstattete die PI B* gegen die Erneuerungswerberin Anzeige an die Bezirkshauptmannschaft B* wegen des hier in Rede stehenden Verkehrsunfalls. Nach Durchführung eines verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens verhängte die Bezirkshauptmannschaft B* über die Erneuerungswerberin mit Straferkenntnis vom 14. Dezember 2022 wegen „§§ 99 Abs 1a iVm 5 Abs 1 StVO“ (idF BGBl I 2021/154) eine Geldstrafe von 1.400 Euro, weil sie am 16. Oktober 2022 in B* einen PKW in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt hatte. Der dagegen erhobenen Beschwerde der Angeklagten gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich nach Durchführung eines Beweisverfahrens mit Erkenntnis vom 2. März 2023 statt, hob das angefochtene Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft B* auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gegen die Erneuerungswerberin ein. Das Landesverwaltungsgericht stützte diese Entscheidung auf § 99 Abs 6 lit c StVO und § 22 Abs 1 VStG, weil die Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirkliche. In der Folge erstattete das Landesverwaltungsgericht Anzeige an die Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis.

Rechtliche Beurteilung

[7] Dagegen richtet sich der eine Verletzung des Art 4 Abs 1 des 7. ZPMRK behauptende, nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützte Antrag der Verurteilten auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO (vgl zur Zulässigkeit RIS‑Justiz RS0122228).

[8] Den Einwand, dass bereits die dem justiziellen Strafverfahren vorausgegangene Durchführung eines verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens für sich, also ohne Rücksicht auf die dieses Verfahren (endgültig) beendende Entscheidung, Bezugspunkt der Prüfung einer Verletzung des Art 4 Abs 1 des 7. ZPMRK und schon daraus ein Verstoß gegen das Doppelverfolgungsverbot abzuleiten sei, erschließt die Erneuerungswerberin nicht methodengerecht aus diesem Grundrecht (vgl aber RIS‑Justiz RS0128393). Auch die Berufung auf Entscheidungen des EGMR entspricht diesem Erfordernis nicht, weil sich diese mit der aufgeworfenen Rechtsfrage gar nicht auseinandersetzen (vgl RIS‑Justiz RS0118429 [T7]).

[9] Ebenso wenig wird klar, weshalb der Umstand, dass das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich den Sachverhalt bei der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis zur Anzeige brachte, Bedeutung für einen Verstoß gegen Art 4 Abs 1 des 7. ZPMRK haben soll. Das dazu ins Treffen geführte Urteil des EGMR gibt darüber keinen Aufschluss. Denn Grund für die dort bejahte Grundrechtsverletzung waren zwei Verurteilungen zum einen zu (steuerrechtlichen) Säumniszuschlägen und zum anderen zu einer Strafe wegen „Steuerbetrugs“ (EGMR 10. 2. 2015, 53197/13, Österlund/Finnland).

[10] Im Übrigen beurteilt der EGMR die Frage, ob eine bestimmte Entscheidung einen Freispruch oder eine Verurteilung iSd Art 4 Abs 1 des 7. ZPMRK darstellt, nach deren Inhalt und den Auswirkungen auf die Person, gegen die sie sich richtet. Eine Entscheidung in der Sache liegt dann vor, wenn eine dazu kompetente Behörde über die strafrechtliche Verantwortlichkeit abspricht, mit anderen Worten Schuld oder Unschuld beurteilt (EGMR 8. 7. 2019 [GK], 54012/10, Mihalache/Rumänien; vgl auch 12. 11. 2019, 57849/12, Smoković/Kroatien [Freispruch wegen Verjährung ist keine „Prüfung in der Sache“]; vgl Nordmeyer, WK‑StPO § 190 Rz 28). Daher stellt die Einstellung des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens wegen verneinter Befugnis zur inhaltlichen Prüfung des Vorwurfs der Gefährdung der körperlichen Sicherheit (§ 89 StGB) mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 23. März 2023 keine Entscheidung in der Sache dar (vgl RIS‑Justiz RS0122567 [T7]; 15 Os 144/14m).

[11] Der Erneuerungsantrag war somit bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

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