OGH 12Os24/24g

OGH12Os24/24g21.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. März 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Weißmann in der Strafsache gegen * R* wegen des Vergehens der unbefugten Bildaufnahmen nach § 120a Abs 1 StGB, AZ 10 U 12/23v des Bezirksgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 21. März 2023, GZ 10 U 12/23v‑10, und einen Vorgang in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Ramusch LL.M., LL.M., zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0120OS00024.24G.0321.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Im Verfahren AZ 10 U 12/23v des Bezirksgerichts Innsbruck verletzen

1. die Unterlassung der Verfahrenseinstellung trotz Fehlens der zur Verfolgung der angeklagten Straftat nach der Aktenlage erforderlichen Ermächtigung zur Strafverfolgung § 451 Abs 2 StPO;

2. das Urteil dieses Gerichts vom 21. März 2023 (ON 10) im Schuldspruch § 120a Abs 3 StGB.

Das Urteil wird aufgehoben und * R* von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe von 19. bis zum 26. Oktober 2022 in I* absichtlich Bild‑ sowie Videoaufnahmen von nackten Jugendlichen, unter anderem * L*, beim Duschen, beim Toilettengang sowie beim Umziehen ohne deren Einwilligung mittels „Spy-Cam“ hergestellt, indem er in seiner Funktion als Nachwuchsbetreuer im Kabinenbereich in der Steckdose unbemerkt eine Kamera installierte, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Die Privatbeteiligte L* wird gemäß § 366 Abs 1 StPO mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

 

Gründe:

[1] Im Verfahren der Staatsanwaltschaft Innsbruck zum AZ 58 BAZ 20/23h erteilte * L* am 2. November 2022 im zu diesem Zeitpunkt noch gegen unbekannte Täter geführten Ermittlungsverfahren (vgl ON 2.2 S 3 f) ihre Ermächtigung zur Strafverfolgung (ON 2.12; ON 2.17).

[2] Mit Strafantrag vom 13. Jänner 2023 legte die Staatsanwaltschaft Innsbruck * R* das Vergehen der unbefugten Bildaufnahmen nach § 120a Abs 1 StGB zur Last (ON 4).

[3] Am 14. März 2023, somit nach Einbringung des Strafantrags, erklärte L*, sich dem Strafverfahren gegen R* als Privatbeteiligte anzuschließen (ON 6 S 4).

[4] Mit Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 21. März 2023, GZ 10 U 12/23v‑10, wurde der Angeklagte (anklagekonform) des Vergehens der unbefugten Bildaufnahmen nach § 120a Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[5] Danach hat er von 19. bis zum 26. Oktober 2022 in I* absichtlich Bild‑ sowie Videoaufnahmen von nackten Jugendlichen, unter anderem L*, beim Duschen, beim Toilettengang sowie beim Umziehen ohne deren Einwilligung mittels „Spy-Cam“ hergestellt, indem er in seiner Funktion als Nachwuchsbetreuer im Kabinenbereich in der Steckdose unbemerkt eine Kamera installierte.

[6] Das Urteil erwuchs infolge Zurückziehung der Berufung des Angeklagten (ON 11) mit Schreiben vom 11. Jänner 2024 (unjournalisiert) in Rechtskraft.

Rechtliche Beurteilung

[7] Wie die Generalprokuratur in der erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, stehen das Vorgehen des Bezirksgerichts Innsbruck und der Schuldspruch mit dem Gesetz nicht im Einklang.

[8] Nach § 120a Abs 3 StGB ist derjenige, der unbefugte Bildaufnahmen nach Abs 1 leg cit herstellt, nur mit Ermächtigung der verletzten Person zu verfolgen.

[9] Diese Ermächtigung oder eine als Ermächtigung geltende Erklärung des in seinen Rechten Verletzten, als Privatbeteiligter am Verfahren mitzuwirken (§ 92 Abs 2 dritter Satz StPO; RIS‑Justiz RS0096091), muss sich auf eine bestimmte Person wegen einer bestimmten Tat beziehen und – soweit hier relevant – spätestens bei Einbringung der Anklage vorliegen (§ 92 Abs 2 erster Satz StPO; Vogl, WK‑StPO § 92 Rz 5/1, 16; Kirchbacher, StPO15 § 92 Rz 5 f).

[10] Die Einleitung und Durchführung des Hauptverfahrens setzt daher in einem Fall wie hier nicht nur eine Anklage, sondern auch eine Ermächtigung des Berechtigten zur Verfolgung voraus (§ 4 Abs 2 StPO). Ein nach der Aktenlage ohne Vorliegen der erforderlichen Ermächtigung angeklagtes Ermächtigungsdelikt muss noch vor Anberaumung der Hauptverhandlung zur Verfahrenseinstellung führen, wenn die Akten nur Indizien enthalten, die die Subsumtion des angeklagten historischen Sachverhalts als derart vorgegebenen Prozessgegenstand lediglich unter das in Frage kommende Ermächtigungsdelikt ermöglichen (RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0126520&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False; Vogl, WK-StPO § 92 Rz 17; Bauer, WK‑StPO § 451 Rz 5).

[11] Bis zum Zeitpunkt der Einbringung des Strafantrags hatte das Opfer L* – und auch kein anderes Opfer – weder eine Ermächtigung zur Strafverfolgung des R* erteilt, noch erklärt, am Verfahren gegen diesen als Privatbeteiligte mitzuwirken. Die im Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Täter erteilte Ermächtigung ist prozessual unwirksam (Vogl, WK-StPO § 92 Rz 10); ebenso wie die erst nach Einbringung des Strafantrags erfolgte Erklärung des Opfers, sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte anzuschließen.

[12] Solcherart hätte im Umfang des Anklagevorwurfs nicht die Anberaumung der Hauptverhandlung, sondern die beschlussmäßige Verfahrenseinstellung erfolgen müssen (§ 451 Abs 2 StPO), da sich der angeklagte Sachverhalt nach der Aktenlage nur unter das Ermächtigungsdelikt der unbefugten Bildaufnahmen nach § 120a Abs 1 StGB subsumieren lässt. Die Unterlassung der Verfahrenseinstellung trotz Fehlens der erforderlichen Ermächtigung zur Strafverfolgung verletzt § 451 Abs 2 StPO.

[13] Der Schuldspruch des Angeklagten wegen des Vergehens nach § 120a Abs 1 StGB verletzt das Gesetz in Abs 3 dieser Bestimmung.

[14] Da sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Angeklagten auswirken, war deren Feststellung mit der aus dem Spruch ersichtlichen konkreten Wirkung zu versehen (§ 292 letzter Satz StPO), das Urteil aufzuheben und mit Freispruch vorzugehen (vgl dazu RIS‑Justiz RS0100332 [T1]).

[15] Die Privatbeteiligte war als Folge des Freispruchs mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg zu verweisen (§ 366 Abs 1 StPO; vgl 12 Os 98/16b, 11 Os 141/19y, 13 Os 94/20b).

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