OGH 11Os155/23p

OGH11Os155/23p12.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. März 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Drach als Schriftführerin in der Rechtshilfesache betreffend * A* und andere Betroffene, AZ 64 HSt 6/22x der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA), über den Antrag des * D* auf Erneuerung des Strafverfahrens betreffend den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 24. November 2023, AZ 22 Bs 275/23m, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00155.23P.0312.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Nachdem die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) in dem von ihr zu AZ 64 HSt 6/22x aufgrund eines Ersuchens des Generalstaatsanwalts Seiner Majestät für den Amtsbezirk Jersey vom 24. November 2022, AZ 401.20220023 (ON 2; Übersetzung ON 5.2), geführten Rechtshilfeverfahren, dem Ermittlungen wegen Geldwäscherei und Verstößen gegen die Rechtsvorschriften über Wirtschaftssanktionen zugrunde liegen, am 16. Mai 2023 die Akteneinsicht beschränkt hatte (ON 1.9), erhob * D* Einspruch wegen Rechtsverletzung (ON 30).

[2] Mit Beschluss vom 16. Oktober 2023, GZ 317 HR 136/23m‑43, wies das Landesgericht für Strafsachen Wien diesen Einspruch ab, weil die Beschränkung bzw Verweigerung der Akteneinsicht im Rechtshilfeverfahren in Betracht komme, wenn der ersuchende Staat eine Gefährdung des Zwecks der Ermittlungen im Sinne des § 51 Abs 2 StPO dartue und die daraus resultierende Verweigerung der Akteneinsicht nachvollziehbar begründe. Es stelle keinen Begründungsmangel dar, wenn in der Entscheidung über die Verweigerung der Akteneinsicht die nach § 51 Abs 2 StPO erforderliche präzise Umschreibung der Verweigerungsgründe unterbleibe, weil dies den Zweck der Geheimhaltung konterkarieren würde.

[3] Einer dagegen erhobenen Beschwerde des * D* gab das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht mit Beschluss vom 24. November 2023, AZ 22 Bs 275/23m, nicht Folge.

[4] Auch das Beschwerdegericht ging davon aus, dass der ersuchende Staat fallkonkret die Gefährdung des Ermittlungszwecks (im ersuchenden Staat) bei vorzeitiger Kenntnisnahme des Akteninhalts durch den Betroffenen hinreichend dargelegt habe (ON 25, 35) und dass das formelle Prüfungsprinzip auch insoweit gelte. Dabei verwies es einerseits auf eine Kommentarstelle (Martetschläger in WK² ARHG § 9 Rz 2/1) und andererseits auf mehrere (nach dem Vorbringen des Antragstellers) unveröffentlichte Entscheidungen des Oberlandesgerichts Wien. Es stelle keinen Begründungsmangel dar, wenn in der Entscheidung über die Verweigerung der Akteneinsicht die präzise Umschreibung der für die Annahme einer Gefährdung sprechenden Sachverhaltselemente unterbleibe, weil dies den Zweck der Geheimhaltung konterkarieren würde. Demzufolge vermochte das Beschwerdegericht in der Verweigerung der Akteneinsicht weder einen Verstoß gegen das Willkürverbot noch eine unsachliche oder diskriminierende Entscheidung erblicken. Ebenso wenig konnte es im Unterbleiben der Übermittlung von im Beschluss des Erstgerichts zitierten Entscheidungen des Oberlandesgerichts einen Gesetzesverstoß erkennen. Auf weiters behauptete Rechtsverletzungen, die aus Sicht des Beschwerdegerichts nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem reklamierten Recht auf Akteneinsicht stehen, ging es nicht ein.

Rechtliche Beurteilung

[5] Mit seinem nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gestützten Antrag begehrt * D* die Erneuerung des Strafverfahrens betreffend die erwähnte Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien, wobei er eine Verletzung von Art 6 Abs 1 MRK iVm Art 6 Abs 3 lit ab und c MRK sowie von Art 6 MRK iVm Art 14 MRK reklamiert (Verweigerung der Akteneinsicht, Begründungspflicht, Entscheidung über den Antrag auf Akteneinsicht innerhalb angemessener Frist, diskriminierende bzw unsachliche Begründung).

[6] Ein Erneuerungsantrag im (wie hier) erweiterten Anwendungsbereich des § 363a StPO (vgl RIS‑Justiz RS0122228) hat – weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein (Grabenwarter/Pabel EMRK7 § 13 Rz 16) – eine Grundrechtsverletzung deutlich und bestimmt darzulegen (RIS‑Justiz RS0122737 [T17]) und sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0124359).

[7] Verfahren über die Rechtshilfe (im ersuchten Staat) betreffen als solche nicht die Prüfung einer strafrechtlichen Anklage und liegen somit außerhalb des Schutzbereichs des Art 6 MRK (vgl RIS‑Justiz RS0120049; Meyer‑Ladewig/Nettesheim/von Raumer HK‑EMRK/ Harrendorf/König/Voigt Art 6 Rn 29). Das Rechtshilfeverfahren ist seinem Wesen nach nämlich ein verwaltungsrechtliches Verfahren, in dem Schuld oder Nichtschuld des Betroffenen in der Regel nicht geprüft werden. Daraus folgt, dass in Erneuerungsanträgen eine Berufung auf Art 6 MRK nur in bestimmten Fallkonstellationen ausnahmsweise auch in Rechtshilfesachen möglich ist (RIS‑Justiz RS0132638; vgl instruktiv 11 Os 28/19f, 29/19b, 30/19z, 31/19x, 55/19a).

[8] Der Erneuerungswerber stützt sich ausschließlich auf die in Art 6 MRK normierten Garantien und einfachgesetzliche Bestimmungen (§§ 6, 51 StPO iVm § 9 ARHG), ohne dazulegen, welche besonderen Umstände füreine ausnahmsweise Geltung des in Rede stehenden Grundrechts auch im Rechtshilfeverfahrenvorliegen sollen.

[9] Dies umso mehr, als der ersuchende Staat um Beschränkung der Akteneinsicht ersucht hat und die Verfahrensgarantien des Art 6 MRK im ersuchenden Staat geltend gemacht werden können.

[10] Da auch keine fundamentalen Verletzungen der Verfahrensgarantien des Art 6 MRK im Verfahren des ersuchenden Staates (substantiiert) behauptet werden (vgl 14 Os 135/21s, 136/21p [Rz 6]), konnte seinem Begehren kein Erfolg beschieden sein.

[11] Aus der bloßen Umsetzung von Grundsätzen des Art 6 MRK in §§ 6, 51 StPO iVm § 9 ARHG lässt sich nichts für einen Art 6 MRK umfassenden Prüfungsumfang gewinnen, weil ein Erneuerungsantrag keine detaillierte Überprüfung („Feinprüfung“) auf einfachgesetzlicher Ebene ermöglicht (vgl erneut 11 Os 28/19f ua Pkt 3.2. mwN).

[12] Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem zu Art 14 MRK erstatteten Vorbringen erübrigt sich, weil es sich dabei bloß um ein akzessorisches Grundrecht handelt, dessen Anwendung voraussetzt, dass der einer möglichen Diskriminierung zugrunde liegende Sachverhalt in den Regelungsbereich eines Konventionsrechts fällt (RIS‑Justiz RS0133373; 14 Os 91/20v).

[13] Der Erneuerungsantrag war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

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