OGH 7Ob27/24g

OGH7Ob27/24g6.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei P* R*, vertreten durch die Doshi Akman & Partner Rechtsanwälte OG in Feldkirch, gegen den Gegner der gefährdeten Partei G* R*, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382b, § 382c und § 382 Z 8 lit b EO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 11. Jänner 2024, GZ 3 R 1/24f‑14, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00027.24G.0306.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurswird gemäß §§ 402 Abs 4, 78 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind miteinander verheiratet. Der Ehe entstammen die Kinder J*, A*, mj. K* und mj. Y* R*. Die Ehe wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Feldkirch vom 9. Oktober 2023 gemäß § 49 EheG aus dem gleichteiligen Verschulden der Streitteile geschieden. Der Antragsgegner gab einen Rechtsmittelverzicht ab, die Antragstellerin stellte innerhalb der Rechtsmittelfrist einen Verfahrenshilfeantrag, über den im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz noch nicht entschieden war.

[2] Die Antragstellerin beantragte im Februar 2022 gemeinsam mit den Kindern die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382b EO (in der Folge Vorverfahren). Das Verfahren endete mit einem gerichtlichen Vergleich, in dem sich der Antragsgegner zum Auszug aus dem ehelichen Haus und weiters verpflichtete, dieses – mit Ausnahme außergerichtlich vereinbarter oder gerichtlich angeordneter Befundaufnahmen – bis zur rechtskräftigen Beendigung des Scheidungsverfahrens nicht zu betreten. Ende April/Anfang Mai 2022 zog er aus. Der Sicherungsantrag wurde von den Antragstellern zurückgezogen.

[3] Vor dem Auszug des Antragsgegners kam es fast täglich zu psychischer Gewalt durch den Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin und den gemeinsamen Kindern, insbesondere zu Beschimpfungen. Darüber hinaus gab er den Kindern auch Kopfnüsse und Boxer gegen den Oberarm. Seit dem Auszug des Antragsgegners kam es zu keinem Vorfall, bei dem er psychische oder physische Gewalt gegen die Antragstellerin ausübte.

[4] Vor Ablauf der Rechtsmittelfrist im Scheidungsverfahren fragte die Rechtsvertreterin der Antragstellerin den Antragsgegner, ob er einverstanden sei, die Liegenschaft bzw das eheliche Haus auch nach Rechtskraft der Scheidung nicht mehr zu betreten. Der Antragsgegner antwortete, dass das Betretungsverbot nach der Scheidung nicht mehr gelte und kündigte an, er werde die Liegenschaft betreten, um seine Holzvorräte zu nutzen und Arbeiten auf dem Grundstück zu verrichten. Im November 2023 begab sich der Antragsgegner einmal an die Grundstücksgrenze der Liegenschaft.

[5] Die Antragstellerin beantragt, gestützt auf § 382b, § 382c und § 382 Z 8 lit b EO, dem Antragsgegner die Rückkehr auf die eheliche Liegenschaft für die Dauer von sechs Monaten zu verbieten, in eventu, ihr das Alleinbenützungsrecht an der Liegenschaft für die Dauer von sechs Monaten zuzuweisen sowie die Verlängerung der Verfügung für den Fall, dass ein Aufteilungsverfahren eingeleitet werde.

[6] Das Erstgerichtwies den Sicherungsantrag ab, das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.

[7] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

[9] 1. Die Antragstellerin stützt ihren Sicherungsantrag zunächst auf § 382b und § 382c EO.

[10] 1.1. Die Unzumutbarkeit des Zusammentreffens in § 382c EO beurteilt sich nach denselben Maßstäben wie die Unzumutbarkeit des Zusammenlebens in § 382b EO (RS0110446 [T16]; 7 Ob 7/17f).

[11] 1.2. Für die Beurteilung der Unzumutbarkeit des Zusammenlebens nach § 382b EO maßgeblich sind Ausmaß, Häufigkeit und Intensität der bereits – auch schon länger zurückliegenden – angedrohten oder gar verwirklichten Angriffe sowie bei – ernst gemeinten und als solche verstandenen – Drohungen die Wahrscheinlichkeit deren Ausführung (RS0110446 [T14]). Nach ständiger Rechtsprechung entspricht jeder körperliche Angriff und jede ernsthafte und substanzielle Drohung mit einem solchen dem Unzumutbarkeitserfordernis (RS0110446 [T5]). Die Ausübung von „Psychoterror“ rechtfertigt die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO dann, wenn dadurch die psychische Gesundheit der gefährdeten Partei erheblich beeinträchtigt wird (RS0121302 [T1]). Ob ausgehend von diesen Grundsätzen ein bestimmtes Verhalten einer Person gegenüber unzumutbar ist, stellt als Einzelfallentscheidung grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn der §§ 402 Abs 4, 78 EO iVm § 528 Abs 1 ZPO dar (RS0110446 [T7]).

[12] 1.3. Die Vorfälle vor dem Auszug des Antragsgegners im Mai 2022 rechtfertigen ohne Zweifel die Erlassung einer Gewaltschutzverfügung. Es ist aber zu bedenken, dass der Antragsgegner damals einem Betretungsverbot des ehelichen Hauses bis zum rechtskräftigen Abschluss des Scheidungsverfahrens zustimmte. Diese Verpflichtung hielt er über mehr als 1,5 Jahre ein, es kam seither auch zu keinem (physischen oder psychischen) Übergriff gegen die Antragstellerin. Es mag durchaus richtig sein, dass die Verhaltensänderung des Antragsgegners (auch) dem Exekutionstitel geschuldet war, es gibt aber im Sachverhalt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er sein unzumutbares Verhalten wieder aufnimmt. Angesichts dieser Umstände bedarf die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die Voraussetzungen der § 382b und § 382c EO lägen nicht vor, keiner Korrektur.

[13] 2. Ihren Eventualsicherungsantrag stützt die Antragstellerin auf § 382 Z 8 lit b erster Fall EO und zielt damit auf eine einstweilige Regelung der (Allein‑)Benützung des ehelichen Gebrauchsvermögens (des ehelichen Hauses) ab.

[14] 2.1. Eine solche Regelung kann im Zusammenhang mit einem Verfahren auf Scheidung oder Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens erfolgen; sie bedarf zwar keiner besonderen Gefahrenbescheinigung im Sinn des § 381 EO (RS0006039 [T8]), setzt aber ein Regelungsbedürfnis voraus (RS0006043). Ein solches ist etwa zu bejahen, wenn ein Ehepartner dem anderen das Zusammenleben in der ehelichen Wohnung unzumutbar oder unerträglich macht (RS0111240; RS0006043 [T5]). Die einstweilige Verfügung darf nur dann erlassen werden, wenn das Ergebnis einer Abwägung der einander widerstreitenden Interessen der Ehegatten den Standpunkt der gefährdeten Partei stützt (vgl RS0006053 [T3]). Die erforderliche Interessenabwägung ist dabei anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen und wirft regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0006039 [T3]; RS0006053 [T3]).

[15] 2.2. Zu 1 Ob 305/03i sah der Oberste Gerichtshof den Zweck der Provisorialmaßnahme nach (damals) § 382 Abs 1 Z 8 lit c erster Fall EO in der Hintanhaltung eines mit der Auflösung der bisher verbundenen Lebensbereiche im partnerschaftlichen Sinn offenbar unvereinbaren Zustands. Sicherungsgegenstand ist demnach der Anspruch der Ehegatten auf wechselseitige Wahrung persönlichkeitsbezogener Interessen bei Trennung ihrer einst verbundenen Lebensbereiche (vgl auch die im Revisionsrekurs zitierte Entscheidung 9 Ob 124/01b). Der Fachsenat hatte in der genannten Entscheidung keine Bedenken gegen die Verneinung eines Regelungsbedürfnisses in einem Fall, in dem der längst aus dem Haus mit der ehelichen Wohnung ausgezogene Ehegatte nicht beabsichtigte, dieses dauernd mitzubenützen, sondern nur weiterhin Zutritt zum ehelichen Haus haben wollte, „um auch eine gewisse Kontrolle ausüben zu können bzw sich dort befindliche persönliche Gegenstände abzuholen“. Dass bei dieser Sachlage keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Antragsgegnerin „in rechtsmissbräuchlicher oder einer für den Sicherungswerber unzumutbaren Weise“ von einer Möglichkeit des Zutritts zum ehelichen Wohnhaus Gebrauch machen würde, lasse keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung erkennen (vgl auch 1 Ob 128/20k).

[16] 2.3. Auch hier lassen sich dem Sachverhalt keine Anhaltspunkte entnehmen, dass der Antragsgegner von der Möglichkeit eines Zutritts zur ehelichen Liegenschaft in einer für die Antragstellerin unzumutbaren Weise Gebrauch machen würde, beabsichtigt er nach den Feststellungen doch nicht, das eheliche Haus dauernd mitzubenützen, sondern die Liegenschaft zu betreten, um die Holzvorräte zu nutzen und dort Arbeiten zu verrichten. Dass die Vorinstanzen ohne Korrekturbedarf verneint haben, dass der Antragsgegner der Antragstellerin damit das weitere Zusammenleben unzumutbar oder sogar unerträglich mache, wurde bereits zu Punkt 1.3. der Entscheidung dargelegt. Die Antragstellerin zeigt somit auch im Hinblick auf § 382 Z 8 lit b EO keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung der Entscheidungen der Vorinstanzen auf.

[17] 3. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die im Revisionsrekurs weiters aufgeworfenen Rechtsfragen, sodass es einer weiteren Begründung nicht bedarf (§§ 402 Abs 4, 78 EO iVm §§ 528a und 510 Abs 3 ZPO).

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