European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00191.23H.0130.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erwachsenenschutzrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Für die 1971 geborene Betroffene ist der Verein VertretungsNetz zum Erwachsenenvertreter für alle Angelegenheiten bestellt. Sie wird seit mehr als zehn Jahren stationär in einer Einrichtung für psychisch kranke Menschen betreut. Bis Ende des Jahres 2022 zahlte sie 80 % ihres Einkommens einschließlich der erhöhten Familienbeihilfe an das Land Kärnten als Kostenbeitrag für die stationäre Betreuung.
[2] Zu 6 Ob 192/22m sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass das Kärntner Mindestsicherungsgesetz (K‑MSG) bei verfassungskonformer Auslegung so zu verstehen ist, dass die erhöhte Familienbeihilfe nur dann zu berücksichtigen ist, wenn der Lebensunterhalt einer stationär betreuten Person einschließlich der besonderen Bedürfnisse, die diese Person aufgrund von Einschränkungen hat, durch diese Art der Betreuung vollends gesichert ist. Aufgrund dieser Entscheidung wird die erhöhte Familienbeihilfe der Betroffenen seit Jänner 2023 nicht mehr an das Land Kärnten abgeführt, sondern verbleibt ihr zur Gänze.
[3] Das Land Kärnten bot der Betroffenen an, die erhöhte Familienbeihilfe für die Jahre 2020 bis einschließlich 2022 (in Höhe von insgesamt 12.578,40 EUR) zurückzuzahlen, wenn sie einen Antrag mit folgendem Inhalt unterzeichnet:
„Ich ..., vertreten durch den/die Erwachsenenvertreter/in beantrage die Rückzahlung der erhöhten Familienbeihilfe für den Zeitraum 1. 1. 2020 bis 31. 12. 2022 auf folgendes Konto ... Ich bestätige, dass mein Lebensbedarf während der stationären Unterbringung in folgenden Einrichtung/en ... nicht vollends gedeckt war. Durch meine Unterschrift bestätige ich, dass durch die Rückzahlung des beantragten Anteils der erhöhten Familienbeihilfe sämtliche Ansprüche auf Rückzahlung der erhöhten Familienbeihilfe gegen das Land Kärnten abgegolten sind.“
[4] Die Erwachsenenvertretung beantragte die Ermächtigung zur Entgegennahme der Rückzahlung an Familienbeihilfe von 12.578,40 EUR sowie die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Abgabe einer Verzichtserklärung gegenüber dem Land Kärnten hinsichtlich der Ansprüche auf Rückzahlung für vor 2020 geleistete Zahlungen. Von einem Anspruch der Betroffenen auf Rückzahlung sei auszugehen. Das Land Kärnten sei zur Zahlung nur unter der Bedingung bereit, dass gleichzeitig ein Verzicht abgegeben werde.
[5] Das Erstgericht ermächtigte den Erwachsenenvertreter zur Entgegennahme der Zahlungen und wies den Antrag auf Genehmigung der Abgabe einer Verzichtserklärung für darüber hinausgehende Ansprüche auf Rückzahlung ab. Von einer Verjährung dieser Rückzahlungsansprüche sei nicht zwingend auszugehen, der Verzicht entspreche nicht dem Wohl der Betroffenen.
[6] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Eine Schlechterstellung der Betroffenen durch die Abgabe einer Verzichtserklärung sei nicht auszuschließen, weil der Ausgang eines Zivilprozesses über ein Rückzahlungsbegehren betreffend diese Zahlungen unklar sei. Wenn auch Bereicherungsansprüche nach § 1431 ABGB grundsätzlich der 30‑jährigen Verjährungsfrist unterlägen, sei nach jüngerer Rechtsprechung die Verjährung von Kondiktionsansprüchen analog zu § 1486 Z 1 ABGB nach der Art des Anspruchs zu beurteilen, an dessen Stelle die Kondition trete. Eine analoge Anwendung der dreijährigen Verjährungsfrist auf Bereicherungsansprüche auf Rückforderung zu Unrecht eingehobener periodischer Leistungen sei erwägenswert. Nach einigen höchstgerichtlichen Entscheidungen seien die Leistungen des Sozialhilfeträgers in den sozialrechtlichen Vorschriften allerdings abschließend geregelt, inwieweit Verjährungsvorschriften des ABGB auch im öffentlichen Recht überhaupt anzuwenden seien, sei ungewiss. Die Abgabe der Verzichtserklärung sei daher nicht zu genehmigen.
[7] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, weil seine Auffassung, die Verjährungsfrage sei zweifelhaft, im Widerspruch zur Judikatur des Obersten Gerichtshofs stehen könnte.
[8] In ihrem durch die Erwachsenenvertretung eingebrachten Revisionsrekurs beantragt die Betroffene, die angefochtenen Beschlüsse dahin abzuändern, dass auch der Antrag auf Abgabe der beabsichtigten Verzichtserklärung pflegschaftsbehördlich genehmigt werde, hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Die Betroffene persönlich hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der Revisionsrekurs ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruchs des Rekursgerichts nicht zulässig, er zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[10] 1.1. Ein Rechtsgeschäft darf durch das Pflegschaftsgericht nur genehmigt werden, wenn der Abschluss im Interesse des Pflegebefohlenen liegt und somit seinem Wohl entspricht. Dies ist der Fall, wenn das Vermögen des Pflegebefohlenen vermehrt wird. Die genannte Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn eine Verminderung des Vermögens des Pflegebefohlenen nicht ausgeschlossen werden kann (RIS‑Justiz RS0048176). Ob die Voraussetzungen für eine pflegschaftsbehördliche Genehmigung vorliegen, kann immer nur anhand des konkreten Einzelfalls beurteilt werden (RS0048176 [T2]; vgl auch RS0112025; RS0048207; RS0048142). Bei dieser Prüfung ist daher in der Regel keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen (RS0048176 [T6]).
[11] 1.2. Bei der Prüfung der Genehmigungsfähigkeit einer Klage ist nicht unter Vorwegnahme des Zivilprozesses zu untersuchen, ob der Anspruch besteht, vielmehr ist unter Einbeziehung aller Eventualitäten lediglich das Prozessrisiko abzuwägen. Abzustellen ist darauf, ob in vergleichbaren Fällen ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter den Klageweg beschreiten würde (RS0108029 [T1]). Dem Pflegschaftsgericht obliegt dabei die Prüfung, ob eine beabsichtigte Klage im wohlverstandenen Interesse des Pflegebefohlenen liegt oder daraus mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Vermögensnachteil droht, etwa durch eine Belastung mit Prozesskosten (RS0108029 [T8]; RS0048142 [T6]). Eine abschließende Beurteilung der Tat‑ und Rechtsfrage ist nicht vorgesehen (RS0108029 [T9]). Ob ein Vergleich dem bei dessen pflegschaftsbehördlicher Genehmigung stets zu beachtenden Wohl des Pflegebefohlenen entspricht, hängt auch von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0112025) und wirft keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf.
[12] 2.1. Die Revisionsrekurswerberin geht in ihrem Rechtsmittel – unter Hinweis auf die Entscheidung 2 Ob 126/22a – selbst davon aus, dass die Verjährungsfrage im Genehmigungsverfahren nicht zu beurteilen ist und eine Vermögensverminderung im Hinblick auf eine allenfalls maßgebliche 30‑jährige Verjährungsfrist im konkreten Fall nicht auszuschließen ist. Die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts zieht sieinsoweit nicht in Zweifel. Dass die Rekursentscheidung mit höchstgerichtlicher Rechtsprechung in Widerspruch stünde, wird im Revisionsrekurs nicht behauptet. Ein näheres Eingehen auf die dies in den Raum stellende Zulassungsbegründung des Rekursgerichts erübrigt sich daher (vgl RS0102059).
[13] 2.2. Als einziges Argument führt der Revisionsrekurs ins Treffen, die Genehmigung der Verzichtserklärung entspreche hier ausnahmsweise dem Wohl der Betroffenen, weil sie bei Abgabe dieser Erklärung zeitnah und ohne gerichtliche Auseinandersetzung die Rückzahlung der erhöhten Familienbeihilfe vom Land Kärnten für die Jahre 2020, 2021 und 2022 erhalten würde, während sie bei Versagen dieser Genehmigung die geleistete Familienbeihilfe ab Beginn der Heimunterbringung einklagen müsste, was mit erheblichem Prozesskostenrisiko verbunden wäre. Eine erhebliche Rechtsfrage zeigt die Revisionsrekurswerberin damit nicht auf.
[14] 2.3. Im Rahmen der gebotenen bloßen Grobprüfung, ob die Genehmigung der Zustimmung zum „Antragsformular“ des Landes Kärnten dem Wohl der Betroffenen entspricht, weil sie zwar auf (erhebliche) Ansprüche verzichtet, die Rückzahlung der zu viel geleisteten Beträge der letzten drei Jahre aber unverzüglich erhält, ist zu bedenken, dass ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter bei Ablehnung des verlangten Verzichts nicht dazu gezwungen wäre, die zu viel geleisteten erhöhten Familienbeihilfebeträge für sämtliche Jahre ab der Unterbringung der Betroffenen zur Gänze einzuklagen; sollte das Land Kärnten die Auszahlung der erhöhten Familienbeihilfebeträge für die Jahre 2020 bis 2022 tatsächlich auch bei Ablehnung der Verzichtserklärung verweigern, könnten diese – auf Basis der höchstgerichtlichen Entscheidung 6 Ob 192/22m mit guten Erfolgsaussichten (und daher mit wahrscheinlichem Kostenersatz) – eingeklagt werden. Dass die Vorinstanzen die Genehmigung für die Verzichtserklärung versagten, ist daher keine vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung.
[15] 3. Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG).
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