OGH 4Ob130/23f

OGH4Ob130/23f25.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*-Aktiengesellschaft, *, vertreten durch die Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei H* GmbH, *, Deutschland, vertreten durch Dr. Wolfgang Berger und andere Rechtsanwälte in Salzburg, sowie die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. A* GmbH *, Deutschland, vertreten durch Mag. Ulrich Nemec, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, 2. DI H*, vertreten durch die Lederer Hoff & Apfelbacher Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen (eingeschränkt) 5.584.383,21 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 14. März 2023, GZ 3 R 211/22g‑348, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 1. Juli 2022, GZ 29 Cg 99/11v‑339, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00130.23F.0125.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 6.438,96 EUR (darin enthalten 1.073,16 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist Halterin einer Hängebrücke, deren Generalsanierung sie beabsichtigte. Sie beauftragte eine Ziviltechnikergesellschaft mit der Planung und eine andere Gesellschaft mit der Statik. Als während des Ablegens der Fahrbahnplatten die tatsächlich festgestellten von den vorher berechneten Verformungen abwichen, beauftragte die Klägerin im Dezember 2005 die Beklagte damit, die Plausibilität der Planleistungen zu prüfen, ohne ihr aber eine selbstständige (zeit- und kostenaufwändige) Vergleichsrechnung aufzutragen. Die Beklagte ließ sich von den Planern 52 Fragen beantworten und vermerkte in der Folge, dass die Fragen zufriedenstellend beantwortet worden seien. Nach Fertigstellung der Sanierungsarbeiten wurden jedoch gravierende Mängel der Pläne festgestellt.

[2] Die Klägerin begehrt in dem Ende 2010 eingeleiteten Prozess (eingeschränkt) 5.584.383,21 EUR an Schadenersatz. Ihr sei durch den Fehler der Beklagten ein Schaden in Höhe der Differenz zwischen den angefallenen Sanierungskosten und jenen Kosten entstanden, die bei richtiger Planung aufzuwenden gewesen wären. Das Gutachten der Beklagten sei nämlich falsch gewesen, weil die von ihr zu überprüfende Planung massive Fehler aufgewiesen habe, die Beklagte aber diese als stimmig erachtet habe. Hätte die Beklagte ihren Auftrag erfüllt, hätte die Klägerin rechtzeitig die Arbeiten gestoppt und die dann anfallenden Abriss- und neuerlichen Sanierungskosten vermeiden können. Die Beklagte hafte solidarisch mit den anderen Schädigern, nämlich den Planern und den Bauausführenden.

[3] Die Beklagte wendete ein, sie habe bereits im Angebotsschreiben darauf hingewiesen, dass das Ergebnis der ihr aufgetragenen Durchsicht keine endgültigen Aussagen zu Sicherheitsreserven des Systems sowie zur Größe von Verformungen enthalten könne, denn dazu wäre eine umfangreiche Vergleichsrechnung erforderlich gewesen. Nach vorgenommener Durchsicht habe die Beklagte auch darauf hingewiesen, dass wegen fehlender Unterlagen keine abschließenden Aussagen zur Vollständigkeit der statischen Berechnung getroffen werden könnten. Die Klägerin habe daher nicht davon ausgehen können, dass keine Bedenken gegen die Statik bestünden und die weiteren Arbeiten beauftragt werden könnten. Überdies habe die Klägerin erst am 29. 3. 2006 den Auftrag bestätigt, als der behauptete Schaden bereits eingetreten gewesen sei.

[4] Das Erstgericht gab der Klage mit 1.368.591,47 EUR Folge und wies das Mehrbegehren ab. Die Beklagte habe den ihr erteilten Prüfauftrag unvollständig und nicht fach- und sachgerecht erfüllt. Sie habe nämlich nicht darauf hingewiesen, dass der Ausführungsplan für eine Richtungsfahrbahn keinen Höhenausgleich vorgesehen habe. Auch habe sie einige der 52 Fragen nicht ausreichend abgeklärt und keinen Abschlussbericht geliefert. Die Klägerin habe aufgrund des Prüfungsergebnisses der Beklagten von einer mangelfreien Planung ausgehen und die Bauarbeiten fortsetzen dürfen. Tatsächlich sei die Planung mangelhaft gewesen, was die Klägerin erst nach einem lauten Knall während der Überfahrt eines Schwer-Lkw über die Brücke im Oktober 2006 und dem dann von ihr beauftragten Gutachten erfahren habe. Die Beklagte habe die volle Zeitverzögerung des Projekts vom 31. 7. 2008 bis zum 29. 6. 2011, sohin für rund 35 Monate zu verantworten. Der Gesamtschaden betrage 12.441.740,67 EUR, wovon die Beklagte einen Anteil von 11 % zu tragen habe (1.368.591,47 EUR), und zwar neben dem Planer (4 %), dem Amt der Landesregierung (Projektleitung, 62 %) und der ARGE (23 %).

[5] Das Berufungsgericht hob dieses Urteil, das im Umfang der Klagsabweisung von 3.682.345,04 EUR als unangefochten unberührt blieb, auf, verwies die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Urteilsfällung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof wegen des Fehlens von Rechtsprechung zur Zurechnung eines Mitverschuldens des Bauherrn, der selbst die örtliche Bauaufsicht übernommen habe, für zulässig. Weiters fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung für die Lösung des Konflikts, ob der Schaden noch dem mit einer Plausibilitätsprüfung beauftragten Auftragnehmer zugerechnet werden könne, wenn der Auftraggeber zunächst die Bauarbeiten fortsetzt, dann aber aufgrund einer Entscheidung, die nicht mehr auf dem einstigen Gutachten (Plausibilitätsprüfung), sondern auf eigenen Fehlern und Fehlern Dritter beruht, die Arbeiten am Werk fortsetzt und so den Schaden vergrößert. Das Ersturteil lasse nicht erkennen, ob die Haftung der Beklagten bereits auf der Ebene der Kausalität auf einen bestimmten Schadensanteil festgemacht werden könne, oder ob sie deshalb solidarisch mit allen anderen Schädigern für den gesamten Schaden haften müsse, weil sich ihr Anteil am Schaden nicht bestimmen lasse. Im Übrigen ließen die vom Erstgericht angenommenen Schadensanteile keinen Raum für einen der Klägerin zuzurechnenden Mitverschuldensanteil. Die Sache sei somit noch nicht spruchreif. Das Erstgericht werde im weiteren Verfahren festzustellen haben, welcher anteilige Schaden wegen der nicht rechtzeitigen Warnung durch die Beklagte entstanden sei, wobei ab der Datenlage ab 18. 1. 2006 die Klägerin (sowie die anderen Fachleute) nicht mehr vorbehaltlos auf die Stellungnahme der Beklagten vertrauen hätten dürfen, denn zu augenfällig habe die Beklagte die Unsicherheit ihrer Aussagen und die Vorbehalte in Bezug auf künftige Geschehnisse verdeutlicht. So fänden sich in den Schreiben vom 3. 12. und vom 16. 12. 2005 ganz deutliche Hinweise dafür, dass die Beklagte ihre Plausibilitätsprüfung nicht ungeachtet einer später veränderten, verbesserten oder erweiterten Datenlage habe gelten lassen wollen. Zur Zuordnung des Schadens bedürfe es Zusatzfeststellungen zur genauen Aufgabenverteilung der am Bauablauf beteiligten Personen sowie ob sich die Klägerin tatsächlich zum Baustopp entschieden hätte, wenn die Beklagte die ihr aufgetragene Plausibilitätsprüfung vertragskonform geleistet hätte.

[6] Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, die Klage zur Gänze abzuweisen. Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, der Klage im gesamten noch streitgegenständlichen Ausmaß von 1.902.038,10 EUR stattzugeben, in eventu den Rekurs zurückzuweisen oder ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Rekurs ist, ungeachtet des berufungsgerichtlichen – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[8] 1. Insoweit der Rekurs die Zulässigkeit auf Fragen der Beweislast stützt, blendet er aus, dass das Rekursgericht Feststellungen vermisste, damit die Voraussetzungen eines Schadenersatzes umfassend geprüft werden können. Fragen der Beweislast sind aber immer erst dann relevant, wenn ein Sachverhalt unaufklärbar bleibt (non liquet; RS0039872). Damit erweisen sich die zur Beweislast aufgeworfenen Fragen im jetzigen Stadium als nicht relevant.

[9] 2. Wenn die Rekurswerberin als aufzugreifende Fehlbeurteilung releviert, dass unrichtigerweise eine Holschuld des Gutachters hinsichtlich erforderlicher Messergebnisse und Planunterlagen angenommen worden sei, so ist dieser Einwand, der sich gegen eine (nicht tragende) Hilfsbegründung des Berufungsgerichts richtet, nicht präjudiziell (vgl RS0042736), zumal es nicht um das Misslingen eines Werks wegen Beistellung eines untauglichen Stoffes durch den Auftraggeber geht, sondern die Beklagte mit der Plausibilisierung der statischen Berechnung beauftragt war.

[10] 3. Sofern die Rekurswerberin moniert, dass das Berufungsgericht die von ihr geforderten präziseren Ersatzfeststellungen nicht getroffen habe, obwohl es selbst wiederholt Mängel des Ersturteils im Sinne ungenauer, unpräziser oder sprachlich unvollständiger Feststellungen eingeräumt habe, berührt dies mangels Konkretisierung, gegen welche Feststellungen sich die Rekurswerberin richtet, nur hypothetische Fragen und somit keine erheblichen Rechtsfragen (RS0111271). Im Übrigen zeigt die Rekurswerberin damit selbst auf, dass die Aufhebung und Zurückverweisung an das Erstgericht gerechtfertigt sind.

[11] 4. Auch zur Frage der Schadensteilung werfen die Ausführungen des Berufungsgerichts keine erhebliche Rechtsfrage auf. Zunächst wird zu prüfen sein, ob der Anteil der klagsgegenständlichen Plausibilitätsprüfung der Beklagten an der Schadenszufügung bestimmbar ist, das heißt, ob die Beklagte nur einen bestimmten Teil des Gesamtschadens verursacht hat (RS0026615). Diesfalls würde sich nach § 1302 ABGB ihre Haftung auf diesen Teil beschränken. Mangels Bestimmbarkeit des Schadensanteils der Beklagten ergäbe sich ihre solidarische Haftung mit den Mitschädigern (RS0026597 [T6]).

[12] 5. Auf die vom Berufungsgericht als erheblich qualifizierten Rechtsfragen hinsichtlich des Mitverschuldens geht der Rekurs nicht ein. Selbst wenn das Berufungsgericht zu Recht ausgesprochen hat, der Rekurs sei zulässig, ist dieser zurückzuweisen, wenn das Rekursvorbringen die erforderliche Anwendung der vom Berufungsgericht als erheblich bezeichneten Rechtsfrage auf den konkret zu beurteilenden Fall vermissen lässt (RS0102059).

[13] 6. Hält das Berufungsgericht, (wie hier) ausgehend von einer richtigen Rechtsansicht, die erstgerichtlichen Feststellungen für unzureichend und weitere Feststellungen für erforderlich, so kann der Oberste Gerichtshof, der nicht auch Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten (RS0043414 [T8]). Es bedarf daher keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung, wenn dem Erstgericht vom Berufungsgericht aufgetragen wurde, Feststellungen zu den behaupteten Schäden nachzutragen.

[14] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.

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