OGH 3Ob216/23w

OGH3Ob216/23w22.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E* H*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 16.700 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 27. September 2023, GZ 2 R 118/23w‑51, mit dem das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 31. Mai 2023, GZ 1 Cg 20/20v‑47, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00216.23W.0122.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.410,90 EUR (darin enthalten 235,15 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge, sprach aus, dass die Klagsforderung mit 10.227,20 EUR zu Recht, die eingewendete Gegenforderung hingegen nicht zu Recht bestehe, und erkannte die beklagte Fahrzeugherstellerin daher schuldig, der Klägerin den genannten Betrag samt Zinsen Zug um Zug gegen die Übergabe des Fahrzeugs zu zahlen. Ein Mehrbegehren wies es ab.

[2] Der von der Klägerin (als Käuferin eines Gebrauchtfahrzeugs) geltend gemachte Schadenersatzanspruch auf Naturalersatz (Zug um Zug-Rückabwicklung) stehe ihr zu, weil eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege und der Beklagten eine schuldhafte (unionsrechtliche) Schutzgesetzverletzung anzulasten sei. Als Vorteilsausgleich müsse sich die Klägerin ein – auf Basis einer zeitanteiligen linearen Wertminderung ausgemitteltes – Benützungsentgelt anrechnen lassen. Die geltend gemachten Ansprüche seien auch nicht verjährt. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Frage, welche Temperaturen für die Prüfung der vom EuGH zur ausnahmsweisen Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen beurteilten Gegenausnahme maßgebend seien, in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht geklärt sei.

Rechtliche Beurteilung

[3] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision nicht zulässig.

[4] 1. Die vom Berufungsgericht formulierte Zulassungsfrage wird in der Revision nicht aufgegriffen.

[5] 2. Die Beklagte erblickt eine erhebliche Rechtsfrage aber darin, dass das Berufungsgericht die Verjährung der geltend gemachten Ansprüche zu Unrecht verneint habe. Dazu zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[6] Die von der Beklagten ins Treffen geführte „Offenlegung der Abgasthematik ab Herbst 2015“ (Pressemeldung und ad hoc-Mitteilung) bezog sich auf die ursprüngliche Umschaltlogik und nicht auf das ebenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung bildende Thermofenster. Für die Fahrzeugkäufer war zunächst nicht erkennbar, dass mit dem Software-Update eine andere Art einer unzulässigen Abschalteinrichtung implementiert wurde.

[7] Warum die Fahrzeugkäufer aus der Vornahme des Software-Updates als „Nacharbeit“ (Ende 2016) Kenntnis vom Schaden erlangt haben sollen, vermag die Beklagte nicht plausibel zu begründen, sollte doch mit dieser Maßnahme nach dem seinerzeitigen Standpunkt der Beklagten gerade die Beseitigung des ursprünglichen Mangels (Umschaltlogik) bewirkt werden. Der für die Beurteilung maßgebende Umstand, dass auch das mit dem Software-Update eingespielte Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist, wurde somit – entgegen den insofern kryptischen Behauptungen der Beklagten – nicht durch die „Berichterstattung bis Ende 2016 medial publik“ (siehe dazu auch 9 Ob 33/23b [Pkt 7 ff]).

[8] 3. Weiters wirft die Beklagte dem Berufungsgericht eine Verkennung der Rechtsprechungsgrundsätze zur Beurteilung ihres Verschuldens vor. Dies gelte sowohl für die Beurteilung des Verschuldens im Hinblick auf die Umschaltlogik als auch im Hinblick auf das Thermofenster. Ein entschuldbarer Rechtsirrtum liege jedenfalls dann vor, wenn ein deckungsgleicher Rechtsirrtum einer Behörde bestehe. Sie habe auf die behördliche Freigabe des Software-Updates durch das KBA (Freigabebescheid vom 3. 6. 2016) vertrauen dürfen.

[9] 3.1. Entgegen den Ausführungen der Beklagten kommt es im gegebenen Zusammenhang weder auf die Beurteilung des Verschuldens im Hinblick auf die ursprüngliche Umschaltlogik noch auf das Vorliegen eines Täuschungsvorsatzes an, weil die schadensrelevante unzulässige Abschalteinrichtung im nachträglich implementierten Thermofenster besteht. Insofern beruht der vom Berufungsgericht der Klägerin zuerkannte Schadenersatzanspruch auf einer unionsrechtlichen Schutzgesetzverletzung (auf Basis der unionsrechtlichen Abgasnormen) und nicht auf einer vorsätzlichen Schädigung (§ 1295 Abs 2 ABGB) oder einer listigen Irreführung (§ 874 ABGB).

[10] 3.2. Zur Schutzgesetzverletzung durch Implementierung des Thermofensters hat das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum beurteilt, dass die Beweislast dafür, dass ein Schutzgesetz unverschuldet übertreten wurde, den Schädiger trifft und insoweit eine Beweislastumkehr eintritt (RS0026351 [T6 und T7; 10 Ob 27/23b Rn 32; 3 Ob 121/23z Rn 23 f; vgl auch 6 Ob 155/22w). Die Frage, ob die Beklagte dazu im erstinstanzlichen Verfahren ein ausreichendes Tatsachenvorbringen erstattet hat, was vom Berufungsgericht verneint wurde, betrifft typisch den Einzelfall und begründet in der Regel – so wie auch hier – keine erhebliche Rechtsfrage.

[11] 3.3. Allenfalls könnte ein entschuldbarer Rechtsirrtum im gegebenen Zusammenhang dann in Betracht kommen, wenn die Funktions- und Wirkungsweise der Abgasrückführung gegenüber dem KBA im Jahr 2016 vollständig und wahrheitsgemäß offen gelegt worden wäre (vgl 10 Ob 27/23b [Rn 34 ff]), was von der Beklagten in erster Instanz weder konkret behauptet noch vom Erstgericht festgestellt wurde.

[12] 4. Insgesamt gelingt es der Beklagten mit ihren Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die Revision war daher zurückzuweisen.

[13] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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