OGH 6Ob206/23x

OGH6Ob206/23x20.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. G*, vertreten durch Mag. Georg Lampl, Rechtsanwalt in Vorchdorf, gegen die beklagte Partei Liste V*, vertreten durch Mag. Percy Hirsch, Rechtsanwalt in Wels, wegen Löschung, Unterlassung und 500 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 20. September 2023, GZ 2 R 121/23m‑15, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00206.23X.1220.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Datenschutzrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist Angestellter der Gemeinde V* (Leiter der Bauabteilung und Stellvertreter der Amtsleiterin des Gemeindeamts). Außerdem ist er in seiner Wohnsitzgemeinde R* Gemeinderat, Fraktionsobmann und Gemeindevorstand für die politische Partei S*.

[2] Die Beklagte ist eine politische Partei und im Gemeinderat der Gemeinde V* vertreten. Es ist ihr ein Anliegen, die Sitzungen des Gemeinderats zu streamen und zu veröffentlichen, um diese einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Am 5. 7. 2022 streamte und veröffentlichte die Beklagte eine Gemeinderatssitzung über die Videoplattform YouTube, an der der Kläger als Vertreter der Amtsleiterin teilnahm.

[3] Die Beklagte betreibt auf der Socialmedia‑Plattform Facebook eine Seite mit dem Titel „Liste V*“, die für jedermann ohne besondere Berechtigung einsehbar ist. Am 17. 8. 2022 veröffentlichte die Beklagte auf dieser Seite einen Beitrag mit der Überschrift „Fixe Zinsen oder variable Zinsen. Gemeinderat entscheidet knapp für variable Zinsen“. Am 27. 9. 2022 veröffentlichte die Beklagte auf derselben Seite einen Beitrag mit der Überschrift „Live Stream der Gemeinderatssitzung am Dienstag, 27. 09. 2022 um 19.30 Uhr“. Als Hintergrund der Beiträge („Postings“) verwendete die Beklagte jeweils ein Standbild der Videoaufnahme der Gemeinderatssitzung vom 5. 7. 2022. Der Kläger ist auf diesen Standbildern als eine von acht Personen in der Mitte des Bildes erkennbar. Einer Verbreitung oder Veröffentlichung seiner Aufnahme hatte der Kläger nicht zugestimmt.

[4] Aufgrund der Facebook-Postings der Beklagten sprachen der Vizebürgermeister der Gemeinde V*, der Parteiobmann der politischen Partei S* R* und einige Fraktionskollegen in R* den Kläger an, weil für sie durch die Abbildung der Eindruck entstanden war, der Kläger wäre Parteimitglied der Beklagten. Weil er sich mehrmals rechtfertigen musste, warum sein Bild in den Facebook-Postings der Beklagten aufscheint, ist der Kläger „massiv genervt“; er war deshalb auch schon im Krankenstand.

[5] Die Vorinstanzen gaben dem auf Löschung, Unterlassung und Zahlung von 500 EUR gerichteten Klagebegehren statt.

Rechtliche Beurteilung

[6] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten.

[7] 1.1. Die Verarbeitung personenbezogener Daten – dazu gehört auch das äußere Erscheinungsbild einer Person (vgl RS0132655) – ist gemäß Art 6 Abs 1 DSGVO nur unter bestimmten Voraussetzungen rechtmäßig. Die Beklagte hat sich in erster Instanz auf die Rechtfertigungsgründe gemäß Art 6 Abs 1 lit e und lit f DSGVO berufen:

[8] 1.2. Der Zulässigkeitstatbestandnach Art 6 Abs 1 lit e DSGVO setzt voraus, dass die Verarbeitung für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die entweder im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. Warum dieser Tatbestand bei der Veröffentlichung desStandbilds einer Gemeinderatssitzung auf der Facebook-Seite einer politischen Partei vorliegen soll, kann die Beklagte nicht schlüssig darlegen.

[9] 1.3.1. Nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten unter drei kumulativen Voraussetzungen zulässig. Erstens muss von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von einem Dritten ein berechtigtes Interesse wahrgenommen werden, zweitens muss die Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses erforderlich sein und drittens dürfen die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der Person, deren Daten geschützt werden sollen, nicht überwiegen (RS0133919).

[10] 1.3.2. Die konkrete Datenverarbeitung ist nur dann zur Wahrung der berechtigten Interessen erforderlich, wenn kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung steht, um diese Interessen zu erreichen (6 Ob 129/21w; vgl auch EuGH C‑13/16 , Valsts policijas, Rn 30: „Zur Voraussetzung der Erforderlichkeit der Verarbeitung der Daten ist festzustellen, dass sich die Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf den Schutz der personenbezogenen Daten auf das absolut Notwendige beschränken müssen.“).

[11] 1.3.3. Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung von Daten im Sinn des Art 6 Abs 1 lit f DSGVO handelt es sich um eine Frage, die – von krassen Fehlbeurteilungen abgesehen – in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage darstellt (6 Ob 87/21v; 6 ObA 1/22y).

[12] 1.3.4. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die Beklagte habe nicht darlegen können, weshalb die Verwendung eines Standbilds aus der Sitzung vom 5. 7. 2022 mit einer Abbildung des Klägers (der dort nicht Gemeinderat ist) erforderlich im Sinn des Art 6 Abs 1 lit f DSGVOsei, um auf den Live‑Stream einer anderen Sitzung hinzuweisen oder um über ein in der Sitzung erzieltes Ergebnis einer Abstimmung über die Wahl eines fixen oder eines variablen Zinssatzes für eine Finanzierung informieren zu können, ist nicht korrekturbedürftig. Wenn die Beklagte meint, die symbolhafte Unterstützung von Ankündigungen sei gerade im „Internet“ üblich und zur Erzielung einer „maximalen Wirkung“ erforderlich, so ist ihr entgegenzuhalten, dass sie nicht nur eine Verlinkung ohne Lichtbild, sondern auch ein Beispielbild ohne Verarbeitung personenbezogener Daten des Klägers als datenminimierendes Mittel einsetzen hätte können, ohne dass für die Öffentlichkeit relevante Informationen verloren gegangen wären. Im Übrigen hält die Beklagte dem Kläger vor, er hätte sich in einen nicht von der Kamera erfassten Bereich setzen können. Warum (auch) vor diesem Hintergrund die Verwendung der von der Beklagten verwendeten Standbilder mit einer Abbildung des Klägers unbedingt notwendig war und kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung stand, um die (behaupteten) berechtigten Interessen (Information der Öffentlichkeit) zu erreichen, erschließt sich dem Senat nicht.

[13] 2.1. Nach § 9 Abs 1 DSG finden die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes sowie näher bezeichnete Kapitel der DSGVO auf die Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch Medieninhaber, Herausgeber, Medienmitarbeiter und Arbeitnehmer eines Medienunternehmens oder Mediendienstes im Sinn des Mediengesetzes zu journalistischen Zwecken des Medienunternehmens oder Mediendienstes keine Anwendung (vgl auch Art 85 Abs 1 DSGVO).

[14] 2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat § 9 Abs 1 DSG als verfassungswidrig aufgehoben. Das Grundrecht auf Datenschutz erlaube es nicht, dass der Gesetzgeber im Anwendungsbereich des Medienprivilegs kategorisch, das heißt, für die erfasste Tätigkeit zu journalistischen Zwecken schlechthin, der Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit den Vorrang vor dem Schutz personenbezogener Daten einräume, indem er die Anwendbarkeit sämtlicher datenschutzrechtlicher Regelungen inhaltlicher und verfahrensrechtlicher Natur nach der DSGVO und dem Datenschutzgesetz im gesamten Umfang ausschließe (VfGH G 287/2022; BGBl I Nr 2/2023). Die Aufhebung tritt jedoch erst mit Ablauf des 30. 6. 2024 in Kraft, sodass die Bestimmung auf den vorliegenden Fall (noch) anzuwenden ist.

[15] 2.3. Der Begriff „zu journalistischen Zwecken“ ist weit auszulegen. Journalistische Tätigkeiten sind Tätigkeiten, die zum Zweck haben, Informationen, Meinungen oder Ideen, mit welchem Übertragungsmittel auch immer, in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Allerdings ist nicht jegliche im Internet veröffentlichte Information, die sich auf personenbezogene Daten bezieht, unter den Begriff der „journalistischen Tätigkeiten“ zu subsumieren. Vielmehr bedarf die Privilegierung von Datenverarbeitungen zu journalistischen Zwecken eines gewissen Maßes an journalistischer Bearbeitung und meinungsbildender Wirkung für die Allgemeinheit, weil ansonsten der Schutz der personenbezogenen Daten Betroffener allzu einfach ausgehöhlt würde (6 Ob 129/21w; vgl auch RS0133920).

[16] 2.4. Die Beklagte brachte in erster Instanz vor, ihre Facebook-Seite diene der „Information der Öffentlichkeit“ und erfülle „journalistische Aufgaben im Sinne der medialen Berichterstattung“. Damit behauptet sie keine über die bloße Information hinausgehende journalistische Bearbeitung, die zumindest eine gewisse meinungsbildende Wirkung verfolgt, sodass die Beurteilung des Berufungsgerichts, bei den Beiträgen sei keine journalistische Zielsetzung erkennbar, nicht korrekturbedürftig ist. Die in der Revision in diesem Zusammenhang erwähnte Entscheidung 15 Os 14/15w ist nicht einschlägig.

[17] 2.5. Warum das Wissenschafts- und Kunstprivileg (§ 9 Abs 2 DSG) im vorliegenden Fall einschlägig sein soll, ist nicht nachvollziehbar.

[18] 3. § 53 der Oberösterreichischen Gemeindeordnung (Oö GemO) regelt den Grundsatz der Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen. § 53 Abs 1a Oö GemO erlaubt die Übertragung einer Sitzung durch die Gemeinde selbst, sofern die Zuhörer nicht visuell erfasst werden. Darüber hinaus erklärt § 53 Abs 4 Oö GemO eine visuelle oder akustische Aufzeichnung der Sitzung grundsätzlich für zulässig. Warumaus diesen Bestimmungen ein Recht einer im Gemeinderat vertretenen politischen Partei auf Verbreitung bzw Veröffentlichung von visuell aufgezeichneten Gemeinderatssitzungen ableitbar sein soll, kann die Beklagte in ihrer Revision nicht schlüssig darlegen.

[19] 4.1. Nach Art 82 Abs 1 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.

[20] 4.2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, es stehe dem Kläger ein immaterieller Schadenersatzanspruch von 500 EUR zu, ist vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Rs C-300/21 , UI/Post AG) und des Fachsenats (6 Ob 56/21k) sowie unter Zugrundelegung der Feststellungen, dass der Kläger wegen Anfragen von Personen, die ihn aufgrund der Postings der Beklagten mit dieser in Verbindung bringen, „massiv genervt“ ist und sich deshalb auch schon im Krankenstand befand, nicht korrekturbedürftig.

[21] 4.3. Die Ausführungen der Beklagten zur fehlenden Adäquanz verstoßen gegen das Neuerungsverbot. Im Übrigen ist ein Schaden schon dann adäquat herbeigeführt, wenn seine Ursache – wie hier – ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines derartigen Erfolgs nicht als völlig ungeeignet erscheinen muss und nicht nur infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen zu einer Bedingung des Schadens wurde (vgl RS0022906).

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