European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00235.23G.1214.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Die 2022 verstorbene Erblasserin hinterlässt mehrere letztwillige Verfügungen, in denen sie unter anderem ihre „Ziehtochter“ zur (Allein‑)Erbin einsetzte.
[2] Mit Beschluss vom 6. 4. 2023 bestellte das Erstgericht den ehemaligen Rechtsvertreter der Erblasserin mit dessen und der Zustimmung eines weiteren präsumtiven Testamentserben zum Verlassenschaftskurator.
[3] Am 17. 4. 2023 langte beim Erstgericht ein Schreiben der „Ziehtochter“ ein, in dem sie „als Alleinerbin“ eine bedingte Erbantrittserklärung abgab und gleichzeitig vier Testamente der Erblasserin übermittelte.
[4] Eine Zustellung des Kuratorbestellungsbeschlusses an die „Ziehtochter“ erfolgte nicht.
[5] Das Rekursgericht wies ihren am 30. 5. 2023 beim Erstgericht überreichten Rekurs als verspätet zurück. Die Rekurswerberin sei zum Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz mangels abgegebener Erbantrittserklärung noch nicht Partei des Verlassenschaftsverfahrens gewesen. Sie könne daher als nicht aktenkundige Partei gemäß § 46 Abs 2 AußStrG nur solange Rekurs erheben als eine aktenkundige Partei Rekurs erheben oder Rekursbeantwortung erstatten könne. Gegenüber dem Verlassenschaftskurator als zum Zeitpunkt der Beschlussfassung einzig aktenkundigen Partei im Bestellungsverfahren sei die Rekursfrist aber am 21. 4. 2023 abgelaufen.
Rechtliche Beurteilung
[6] Der dagegen gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der „Ziehtochter“ wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, ist zulässig, weil dem Rekursgericht bei Anwendung des § 46 AußStrG eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Er ist im Ergebnis aber nicht berechtigt.
[7] 1. Das Revisionsrekursverfahren gegen die Zurückweisung eines Rekurses im Außerstreitverfahren ist einseitig (2 Ob 133/22f Rz 6; RS0120614).
[8] 2. Nach ständiger Rechtsprechung haben Parteien im Verlassenschaftsverfahren grundsätzlich erst dann Parteistellung, wenn sie eine Erbantrittserklärung abgegeben haben (RS0007926; RS0106608); vorher sind sie von jeder Einflussnahme auf den Gang der Abhandlung ausgeschlossen (RS0006398). Eine Ausnahme von dieser grundsätzlichen Regel wird in besonders gelagerten Fällen für zulässig erachtet, vor allem, wenn der potenzielle Erbe bereits aktiv sein Interesse am Erbantritt bekundet hat und das Fehlen einer förmlichen Erbantrittserklärung auf einem Fehler im Verfahren beruht (2 Ob 53/18k mwN; RS0006544 [T13]). Auch die Abgabe einer Erbantrittserklärung ohne die erforderliche (vgl § 799 ABGB, § 159 Abs 1 Z 2 AußStrG) Berufung auf einen bestimmten Erbrechtstitel vermittelt jedenfalls dann Parteistellung, wenn – wie im vorliegenden Fall – mangels entsprechenden Auftrags noch kein Anlass bestanden hat, diese zu verbessern oder zu ergänzen (vgl 2 Ob 133/22f Rz 13).
[9] Die „Ziehtochter“ erlangte daher erst aufgrund der am 17. 4. 2023 beim Erstgericht eingelangten, wenn auch (noch) fehlerhaften Erbantrittserklärung die Stellung als aktenkundige Partei.
[10] 3. Gemäß § 46 Abs 1 AußStrG beträgt die Rekursfrist 14 Tage; sie beginnt mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Beschlusses zu laufen.
[11] Gemäß § 46 Abs 2 AußStrG kann eine nicht aktenkundige Partei, der der Beschluss nicht zugestellt worden ist, einen Rekurs bis zu jenem Zeitpunkt erheben, bis zu dem eine aktenkundige Partei einen Rekurs erheben oder eine Rekursbeantwortung erstatten kann.
[12] 3.1 Bezüglich aktenkundiger Parteien beginnt die Rechtsmittelfrist daher gemäß § 46 Abs 1 AußStrG erst mit Zustellung. Mangels Zustellung wird der Fristenlauf bei der aktenkundigen Partei nicht in Gang gesetzt; diese kann – muss aber nicht – jederzeit einen Antrag auf Zustellung stellen. Die Rekursfrist wird nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 46 Abs 1 AußStrG jedenfalls nur durch Zustellung, nicht auch durch sonstige Kenntnis der Entscheidung ausgelöst (RS0129752 [T4]).
[13] 3.2 Für nicht aktenkundige Parteien hat der Gesetzgeber des AußStrG 2003 sich dazu bekannt, diesen (nur) solange eine Rekursmöglichkeit einzuräumen, als eine aktenkundige Partei noch einen Rekurs erheben oder eine Rekursbeantwortung anbringen kann. Ist sowohl die Rekursfrist als auch die Rekursbeantwortungsfrist abgelaufen, das Verfahren jedoch infolge Rekurserhebung durch eine andere Partei noch im Rechtsmittelstadium anhängig, kann die übergangene Partei Rechtsmittel im Verfahren an die dritte Instanz erheben (ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 47).
[14] Tritt bereits mit Beschlusserlassung sofort formelle Rechtskraft ein, führt dies gemäß dem nicht nach Gründen differenzierenden § 46 Abs 2 AußStrG auch zum (sofortigen) Ablauf der Rekursfrist für nicht aktenkundige Parteien (vgl RS0124995 = 5 Ob 74/09g).
[15] 3.3 Die formelle Rechtskraft tritt ein, wenn es gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel (mehr) gibt (Zustellung einer unanfechtbaren Entscheidung), die Rechtsmittelfrist ungenützt abgelaufen ist, ein Rechtsmittelverzicht abgegeben oder ein eingelegtes Rechtsmittel zurückgenommen wurde (Thunhart in Schneider/Verweijen, AußStrG [2019] § 42 Rz 2; Deixler‑Hübner in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 42 Rz 2; vgl auch Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, ZPO5 Vor § 390 Rz 23). Auch die Erhebung eines – etwa mangels Beschwer – unzulässigen Rechtsmittels hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft nicht (Deixler‑Hübner aaO Rz 6; Pimmer in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 466 ZPO Rz 2; RS0041838; 3 Ob 5/04p Pkt 2.1.).
[16] 3.4 Im vorliegenden Fall haben der Verlassenschaftskurator sowie ein weiterer präsumtiver Testamenstserbe der Kuratorbestellung ausdrücklich zugestimmt, sodass sie durch diese nicht beschwert sind (vgl G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 45 Rz 53 mwN). Ein von ihnen erhobener Rekurs wäre daher schon deshalb mangels Beschwer als unzulässig zurückzuweisen (RS0006598 [T38]) und könnte den Eintritt der formellen Rechtskraft nicht hindern. Der Kuratorbestellungsbeschluss wurde daher – entgegen der Ansicht des Rekursgerichts – für die aktenkundigen Parteien schon mit Erlassung formell rechtskräftig. Mangels ihnen offenstehender Rekursfrist war daher auch für die „Ziehtochter“ gemäß § 46 Abs 2 AußStrG die Rechtsmittelfrist (schon mit Erlassung des Beschlusses) abgelaufen.
[17] Die Zurückweisung ihres Rekurses als verspätet erweist sich daher im Ergebnis als rechtsrichtig.
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