OGH 14Os107/23a

OGH14Os107/23a28.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. November 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Sekljic in der Strafsache gegen * V* wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB, AZ 7 U 85/20p des Bezirksgerichts Landeck, über den Antrag des Generalprokurators auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00107.23A.1128.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

In Stattgebung des Antrags des Generalprokurators wird im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen * V* wegen § 127 StGB, AZ 7 U 85/20p des Bezirksgerichts Landeck, verfügt, das Abwesenheitsurteil dieses Gerichts vom 13. Jänner 2021, GZ 7 U 85/20p‑15, aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Landeck verwiesen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

[1] Im Verfahren AZ 7 U 85/20p des Bezirksgerichts  Landeck legte die Staatsanwaltschaft Innsbruck * V* mit Strafantrag vom 30. September 2020 (ON 3) ein dem Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB subsumiertes Verhalten zur Last.

[2] Zu diesem Vorwurf war der Angeklagte im Ermittlungsverfahren förmlich als Beschuldigter vernommen worden (ON 2 S 19 ff).

[3] Das Bezirksgericht Landeck beraumte die Hauptverhandlung für den 13. Jänner 2021 an (ON 1 S 2), wobei die – im Wege der Rechtshilfe vorgenommene (ON 6) – Ladung zu dieser ebenso wie der Strafantrag (jeweils samt Übersetzung in die slowakische Sprache) von dem in der Slowakei lebenden Angeklagten am 16. November 2020 eigenhändig übernommen wurde (vgl die Empfangsbescheinigung ON 9 S 3; zum in der slowakischen Sprache – und damit nicht in der Gerichtssprache [Art 8 Abs 1 B‑VG, § 53 Abs 1 Geo] – abgefassten Schreiben der Bezirksstaatsanwaltschaft Dunajská Streda vom 25. November 2020 zur Erledigung des Rechtshilfeersuchens [ON 9 S 1] vgl die [erst am 16. November 2022 durch das Landesgericht Innsbruck als Berufungsgericht verfügte] Übersetzung im Akt AZ 21 Bl 250/21d des genannten Landesgerichts).

[4] Nachdem V* der Hauptverhandlung am 13. Jänner 2021 fern blieb, wurde die Verhandlung in dessen Abwesenheit durchgeführt (ON 14 S 1). Mit Abwesenheitsurteil vom selben Tag, GZ 7 U 85/20p‑15, wurde er des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt (ON 14 S 3).

[5] Dieses Urteil samt Rechtsmittelbelehrung (jeweils mit Übersetzung in die slowakische Sprache) wurde dem Angeklagten (erstmals) am 23. August 2021 zugestellt (ON 15 S 4 f). Es erwuchs in Rechtskraft, weil V* weder innerhalb der Frist des § 478 Abs 1 StPO Einspruch erhoben noch innerhalb der dreitägigen Frist des § 466 Abs 2 StPO Berufung angemeldet hatte.

[6] Mit als „Beschwerde“ bezeichneter Eingabe vom 12. Oktober 2021 erhob der Angeklagte (der Sache nach) Einspruch und Berufung gegen das Abwesenheitsurteil und führte zusammengefasst aus, dass er sich seit 2. November 2020 im Strafvollzug befunden habe, weshalb er an der Hauptverhandlung nicht habe teilnehmen können (ON 19 und ON 19a [Übersetzung]).

[7] Aus einem Schreiben der slowakischen Bezirksstaatsanwaltschaft Trnava vom 22. Februar 2022 geht hervor, dass sich V* von 2. November 2020 bis 2. November 2021 in der Justiz- und Haftvollzugsanstalt in Leopoldov (Slowakei) in Haft befunden hat (ON 30 und ON 30a [Übersetzung]).

[8] Mit (rechtskräftigem) Beschluss vom 4. Juli 2022 wies das Bezirksgericht Landeck den Einspruch des Genannten vom 12. Oktober 2021 gegen das Abwesenheitsurteil als verspätet zurück (ON 37); über die (gleichzeitige) Berufung wurde bislang nicht entschieden (ON 45).

[9] Wie im Antrag auf außerordentliche Wiederaufnahme zutreffend aufgezeigt, ergeben sich erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Landeck zugrunde gelegten Tatsachenannahmen, wonach V* nicht durch ein unabweisbares Hindernis abgehalten wurde, in der Hauptverhandlung zu erscheinen (vgl US 4).

[10] Die Durchführung einer Hauptverhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit des Angeklagten ist (unter anderem) dann nicht zulässig, wenn für das Gerichtersichtlich ist, dass der Beschuldigte durch ein unabwendbares Hindernis vom Erscheinen abgehalten wurde (vgl § 427 Abs 3 dritter Satz [iVm § 447] StPO; RIS‑Justiz RS0101569; Bauer, WK‑StPO § 427 Rz 14). Die Anhaltung des Angeklagten in Haft stellt ein derartiges unabwendbares Hindernis dar (zuletzt 15 Os 111/19s mwN). Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte der Verhandlung in Abwesenheit zugestimmt hätte (vgl insoweit RIS‑Justiz RS0115797; Bauer, WK‑StPO § 427 Rz 15), liegen im Übrigen nicht vor.

[11] Ausgehend von der Aktenlage im Zeitpunkt der Hauptverhandlung und Urteilsfällung am 13. Jänner 2021 ist die Annahme des Bezirksgerichts Landeck, dass der ordnungsgemäß geladene Angeklagte nicht durch ein unabweisbares Hindernis vom Erscheinen bei Gericht abgehalten worden war und sämtliche Voraussetzungen für das Abwesenheitsverfahren gemäß § 427 (iVm § 447) StPO vorlagen, rechtlich nicht zu beanstanden.

[12] Allerdings bestehen gegen die Richtigkeit der zugrunde liegenden Tatsachenannahmen aufgrund derEingabe des V* vom 12. Oktober 2021 und der Auskunft der Bezirksstaatsanwaltschaft Trnava vom 22. Februar 2022, wonach sich V* am 13. Jänner 2021 in Haft befunden hat, erhebliche Bedenken im Sinn des § 362 Abs 1 Z 2 StPO (analog).

[13] Da somit eine rechtskräftige (vgl RIS‑Justiz RS0131086 [T1]) Entscheidung eines Strafgerichts auf einer in tatsächlicher Hinsicht objektiv falschen Verfahrensgrundlage ergangen ist, ohne dass dem betreffenden Gericht ein Rechtsfehler anzulasten wäre, und die so entstandene Benachteiligung des Angeklagten auf anderem Weg nicht behoben werden kann, war – in Stattgebung des Antrags des Generalprokurators – wie aus dem Spruch ersichtlich die außerordentliche Wiederaufnahme gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO (analog) zu verfügen (RIS‑Justiz RS0117416, RS0117312).

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