OGH 12Os118/23d

OGH12Os118/23d23.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. November 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Besic in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 24. August 2023, GZ 36 Hv 48/23p‑34, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00118.23D.1123.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgerichts Linz zu.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er im Sommer 2022 auf der Bahnstrecke zwischen N* und Z* * Sc* dadurch, dass er diese gepackt, auf seinen Schoß gesetzt und intensiv an ihren bekleideten Brüsten und ihrer Vagina betastete, außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die unterlassene Anwendung des § 39 Abs 1 StGB wendet.

[4] Die rechtsfehlerfreie Annahme oder Verneinung gemäß § 39 Abs 1 StGB erweiterter Strafbefugnis erfordert Tatsachenfeststellungen, auf deren Grundlage die dort genannten Voraussetzungen erfüllt oder zu verneinen sind (vgl RIS-Justiz RS0134000; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB Update 2020 § 39 Rz 19; vgl allgemein Ratz, WK-StPO § 281 Rz 669). Diesen Anforderungen genügt (allein) der hier in den Feststellungen übernommene Strafregisterauszug nicht. Denn dieser weist als letzte (für sich betrachtet) innerhalb der Rückfallsverjährung des § 39 Abs 2 StGB liegende Verurteilung einen Schuldspruch des Bezirksgerichts Zell am See vom 9. März 2017 (AZ 30 U 6/17z) wegen § 125 StGB aus (US 6). Zwar kann eine Sachbeschädigung in Relation zur geschlechtlichen Nötigung (als Gewaltdelikt) auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen, weil sich darin unter Umständen gleichermaßen der Charaktermangel ungehemmter Aggressionsbereitschaft manifestiert (9 Os 5/87; RIS-Justiz RS0091417), doch ist die Frage der gleichen schädlichen Neigung stets im Einzelfall aufgrund des den strafbaren Handlungen zugrunde liegenden Verhaltens des Täters und seiner dabei zum Ausdruck kommenden Gesinnung zu prüfen (RIS-Justiz RS0092107, RS0092047 und RS0092151).

[5] Grundsätzlich zutreffend reklamiert die Beschwerdeführerin daher nähere Feststellungen zur Vorverurteilung nach § 125 StGB. Die prozessordnungsgemäße Geltendmachung eines Feststellungsmangels erfordert jedoch die auf Basis des Urteilssachverhalts vorzunehmende Argumentation, dass sich aus einem nicht durch Feststellungen geklärten, aber durch in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweise indizierten Sachverhalt eine vom Erstgericht nicht gezogene rechtliche Konsequenz ergebe, weil das Gericht ein Tatbestandsmerkmal, einen Ausnahmesatz oder eine andere rechtliche Unterstellung bei der rechtlichen Beurteilung nicht in Anschlag gebracht hat (RIS-Justiz RS0118580 [insbesondere T15]). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde mit dem Hinweis auf die nicht in der Hauptverhandlung vorgekommene (insbesondere nicht von der Vorsitzenden des Schöffengerichts gemäß § 252 Abs 2 StPO verlesene oder gemäß § 252 Abs 2a StPO vorgetragene) sondern (bloß) in der Verfahrensautomation Justiz einsehbareAusfertigung des Urteils des Bezirksgerichts Zell am See vom 9. März 2017, AZ 30 U 6/17z, nicht gerecht.

[6] Es hätte demnach der Geltendmachung darauf bezogener Anträge aus Z 4 bedurft (11 Os 82/22a mwN).

[7] Fehlende Sachverhaltsermittlung im Strafzumessungsbereich kann jedoch – ohne Einschränkung durch das Neuerungsverbot – mit Berufung eingefordert werden (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 680; vgl auch RIS-Justiz RS0120232 [T2, T3]).

[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[9] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

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