OGH 6Ob200/23i

OGH6Ob200/23i20.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. C*, 2. F*, vertreten durch Ghendler Ruvinskij Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Wien, wider die beklagte Partei F* S.p.A., *, Italien, vertreten durch bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 23.100 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Juni 2023, GZ 1 R 70/23f‑24, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 31. Jänner 2023, GZ 30 Cg 14/22h‑18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00200.23I.1120.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 1.551,68 EUR (darin 258,68 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Kläger erwarben am 25. 10. 2016 ein Wohnmobil des Typs Fiat Nexxo Time T690G um 77.000 EUR. Die Beklagte ist die Herstellerin des Basisfahrzeugs der Marke Fiat Ducato.

[2] Das Fahrzeug fällt in den Anwendungsbereich der VO 715/2007/EG . Es ist mit einem Dieselmotor der Abgasklasse Euro 6b ausgestattet und wurde am 13. 7. 2017 erstmals zum Verkehr zugelassen.

[3] Im Auto ist eine Abschalteinrichtung verbaut, die die Abgasrückführung nach einer Fahr‑ und Betriebszeit des Motors von 22 Minuten reduziert, sodass der tatsächliche Emissionswert des Fahrzeugs im normalen Straßenverkehr stark erhöht und den nach Euro 6b zulässigen Schadstoffgrenzwert deutlich übersteigt. Die zeitbasierte Abschalteinrichtung dient vor allem der Umgehung des Prüfstands und ist nicht ausschließlich notwendig, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigungen oder eines Unfalls zu vermeiden. Die Verwendung einer Software, die dafür sorgt, dass im normalen Straßenverkehr ein deutlich höherer NOx‑Ausstoß erfolgt als im Prüfstand, wurde der zuständigen Typengenehmigungsbehörde gegenüber nicht offen gelegt.

[4] Wären die Kläger bei Kauf in Kenntnis über die Funktionsweise der Abschalteinrichtung oder die „tatsächlichen Abgaswerte“ gewesen, hätten sie das Fahrzeug nur zu einem geringeren Preis erworben.

[5] Das Berufungsgericht gab der gegen das überwiegend klagestattgebende Urteil erhobenen Berufung der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[6] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision nicht zulässig, was nur einer kurzen Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO):

[7] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[8] 2. Die Beklagte zieht – auf Basis des in dritter Instanz bindend festgestellten Sachverhalts – die Qualifikation der im Fahrzeug verbauten Abschalteinrichtung als eine nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene nicht mehr in Zweifel, sodass darauf schon deshalb nicht mehr einzugehen ist (RS0043352 [T30]).

[9] 3. Der Umstand, dass bisher (noch) eine aufrechte Typengenehmigung vorliegt, steht dem Schadenersatzanspruch der Kläger nicht entgegen:

[10] Im Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinn des Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs liegt das – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend einen Schaden im Sinn des § 1293 ABGB bildende – geringere rechtliche Interesse eines Käufers in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 [Rz 22]; 10 Ob 27/23b [Rz 25]). Die Behauptung, es wäre im konkreten Fall dennoch ein Schadenseintritt zu verneinen, weil das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug konkret dem Willen der Kläger entsprochen habe, stellt die Beklagte (richtigerweise) nicht auf.

[11] 4. Die vom Berufungsgericht als erheblich im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO angesehene Frage, wie die in den Entscheidungen zu 10 Ob 2/23a (vom 25. 4. 2023) und 10 Ob 16/23k dargestellten Grundsätze auf den vorliegenden Fall (der Geltendmachung eines Differenzschadens bei Behalt des Fahrzeugs) anzuwenden seien, ist mit der Entscheidung zu 10 Ob 27/23b beantwortet:

[12] Dass ein Geschädigter Geldersatz in Form der Zug-um-Zug-Abwicklung (Zahlung eines Betrags in Höhe des Kaufpreises unter Anrechnung des [Nutzungs-]Vorteils bei Herausgabe des Fahrzeugs) vom Hersteller eines mit unzulässiger Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs – jedenfalls in dem Fall, dass eine (geeignete) Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtung durch Reparatur des Fahrzeugs nicht angeboten wird – verlangen kann, schließt ein Begehren auf Ausgleich des Schadens (wie hier auch gewählt) in Form von Geldersatz im Ausmaß des Minderwerts des Fahrzeugs (bei dessen Behalt) nicht aus (10 Ob 27/23b [Rz 15 f]).

[13] 5. Die Behauptungs- und Beweislast, dass das Schutzgesetz von ihr unverschuldet übertreten worden war, traf die Beklagte als Schädigerin (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 [Rz 31]; 10 Ob 27/23b [Rz 32]). Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung der – auch hier, wie im Regelfall, nicht revisiblen (RS0042828; RS0044273) – Auslegung ihres (dazu eben fehlenden) Parteivorbringens kann die Beklagte nicht aufzeigen. Sie bestritt in den Tatsacheninstanzen bis zuletzt (als „völlig aus der Luft gegriffen und falsch“), dass im Fahrzeug „eine zeitbasierte Emissionsstrategie zur Anwendung“ gelange, und behauptete sogar ausdrücklich gegenteilig – was aber nicht zutrifft –, dass die Abgasnachbehandlung nach 22 Minuten nicht abgeschaltet oder moduliert werde (sondern durchgehend „gleich“ arbeite). Hinsichtlich des Verhaltens der zuständigen Behörde brachte sie im Verfahren erster Instanz – und auf Basis ihrer Sachverhaltsannahme – nur vor, dass dem zuständigen Ministerium „die – bestrittenen und unrichtigen – Vorwürfe ebenfalls seit mehr als 5 Jahren bekannt“ seien und dieses bestätigt habe, dass es sich um keine unzulässige Abschalteinrichtung handle, ohne dabei auch nur ansatzweise darzulegen, dass oder warum sich daraus ihr mangelndes Verschulden (bei von ihr zeitgleich als falsch abgetanen Vorwürfen) ableiten ließe.

[14] 6. Die Kostenentscheidung gründet auf § 41 iVm § 50 ZPO. Die Kläger haben auf die fehlende Zulässigkeit und die fehlende Berechtigung der Revision hingewiesen. Trotz der Belehrung schon im Verfahren zweiter Instanz wurden die Kosten allerdings erneut auf Basis einer zu hohen Bemessungsgrundlage verzeichnet; insofern hatte wiederum eine Korrektur zu erfolgen.

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