OGH 11Os117/23z

OGH11Os117/23z14.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. November 2023 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gindl als Schriftführerin in der Strafsache gegen * E* wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2a zweiter Fall SMG, AZ 63 Hv 150/19t des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 14. Februar 2023 (ON 77) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0110OS00117.23Z.1114.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Suchtgiftdelikte

 

Spruch:

 

In der Strafsache AZ 63 Hv 150/19t des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt der Beschluss dieses Gerichts vom 14. Februar 2023 (ON 77) § 495 Abs 3 StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird dem Landesgericht für Strafsachen Wien die neuerliche Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vom 8. Februar 2023 auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht aufgetragen.

 

Gründe:

[1] Mit unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem, gekürzt ausgefertigtem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. Oktober 2019, GZ 63 Hv 150/19t‑9a, wurde * E* des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2a zweiter Fall SMG schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.

[2] Nach Absolvierung einer gesundheitsbezogenen Maßnahme während eines dem Verurteilten gewährten Strafaufschubs (§ 39 SMG) wurde diese Freiheitsstrafe mit Beschluss vom 11. Oktober 2021 (ON 63) gemäß § 40 Abs 1 SMG unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Gemäß § 40 Abs 1 SMG iVm §§ 50 Abs 1, 51 Abs 3 StGB wurde * E* – mit dessen Zustimmung (ON 62 S 3) – unter einem die Weisung erteilt, sich weiterhin einer (hinreichend konkret benannten) gesundheitsbezogenen Maßnahme zu unterziehen und dem Gericht im Abstand von vier Monaten Bestätigungen über deren Verlauf vorzulegen.

[3] Nachdem die Therapieeinrichtung dem Gericht mit Schreiben vom 14. November 2022 über den Abbruch der Therapie durch den Verurteilten berichtet (ON 73) und dieser trotz schriftlicher Aufforderung dazu keine weiteren Bestätigungen vorgelegt hatte, erließ der zuständige Richter am 15. Dezember 2022 eine (schriftliche) förmliche Mahnung gemäß § 53 Abs 2 StGB. Diese wurde * E* eigenhändig zugestellt (ON 74). Am 8. Februar 2023 beantragte die Staatsanwaltschaft den Widerruf der bedingten Strafnachsicht.

[4] Mit Beschluss vom 14. Februar 2023, GZ 63 Hv 150/19t‑77, widerrief das Landesgericht für Strafsachen Wien – nach Einholung einer (eine unverändert aufrechte Meldeadresse im Inland ausweisenden) Auskunft aus dem Zentralen Melderegister (ON 75) sowie einer Abfrage aus dem VJ‑Register (ON 76) – die mit Beschluss vom 11. Oktober 2021 gewährte bedingte Nachsicht.

[5] Über eine dagegen von * E*– verspätet (vgl Zustellnachweis bei ON 77) – erhobene Beschwerde (ON 83) hat das Oberlandesgericht Wien bislang nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

[6] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 14. Februar 2023 (ON 77) mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[7] Gemäß § 495 Abs 3 erster Satz StPO hat das Gericht vor der Entscheidung über den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht den Ankläger, den Verurteilten und den Bewährungshelfer zu hören sowie eine Strafregisterauskunft einzuholen. Diese Verpflichtung ist eine Minimalbedingung, deren Beachtung ein dem Gebot der Fairness entsprechendes Verfahren sicherstellen soll. Da der Entscheidung nach § 495 StPO – anders als bei § 494a StPO – keine Hauptverhandlung vorausgeht, kann sich insbesondere aufgrund von Angaben der Anhörungsberechtigten die Notwendigkeit weiterer Erhebungen ergeben. Ziel des Verfahrens ist die Schaffung einer zur verlässlichen Beurteilung der Widerrufsfrage hinreichenden Tatsachengrundlage (Jerabek/Ropper, WK‑StPO § 495 Rz 4).

[8] Die im zweiten Satz des § 495 Abs 3 StPO normierte Einschränkung, wonach von der Anhörung des Verurteilten abgesehen werden kann, wenn die Durchführung unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde, ist als Ausnahmebestimmung restriktiv auszulegen (Jerabek/Ropper, WK‑StPO § 495 Rz 6).

[9] Die hier vorgenommene förmliche Mahnung bildet zwar eine materielle Voraussetzung für den Widerruf der bedingten Strafnachsicht wegen Nichtbefolgung einer Weisung (Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 53 Rz 10), ersetzt aber nicht die nach § 495 Abs 3 erster Satz StPO gebotene Anhörung zur Widerrufsfrage (13 Os 90/19p; 11 Os 70/23p).

[10] Da das Landesgericht für Strafsachen Wien die bedingte Strafnachsicht mit Beschluss widerrief, ohne zuvor den Verurteilten – trotz aktenkundiger inländischer Wohnadresse (vgl ON 75 und später ON 80) – diesbezüglich anzuhören, verletzte es § 495 Abs 3 StPO (RIS‑Justiz RS0101849).

[11] Da nicht auszuschließen ist, dass die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Verurteilten wirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof dazu bestimmt, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

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