European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050NC00022.23I.1102.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Als örtlich zuständiges Gericht wird das Bezirksgericht Schwechat bestimmt.
Begründung:
[1] Die in Österreich wohnhaften Kläger erhoben gegen ein Luftfahrtunternehmen mit Sitz in Großbritannien Klage auf Zahlung von insgesamt 1.481,14 EUR, die sich aus Ausgleichszahlungen von je 250 EUR sowie Kosten für neue Flugtickets, Sicherheitscheck, Taxi und Essen in der Lounge abzüglich der von der Beklagten geleisteten Zahlungen von 309 EUR zusammensetzen. Sie stützen diesen Anspruch auf die Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 11. 2. 2004 über eine gemeinsame Regelung über Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (idF: „EU‑Fluggast‑VO“). Den von den Klägern bei der Beklagten gebuchten Flug von Wien‑Schwechat nach London‑Heathrow habe sie annulliert und nur einen Ersatzflug über Helsinki angeboten. Die internationale Zuständigkeit Österreichs und die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Bezirksgerichts Schwechat stützten die Kläger auf Art 7 Abs 1 EuGVVO, weil Erfüllungsort des Beförderungsvertrags der Flughafen Schwechat sei.
[2] Das Bezirksgericht Schwechat sprach seine internationale Unzuständigkeit aus und wies die Klage zurück. Dem Rekurs der Kläger dagegen gab das Landesgericht Korneuburg keine Folge.
[3] Bereits im Rekurs beantragten die Kläger hilfsweise die Ordination nach § 28 JN mit der Begründung, die Rechtsverfolgung im Ausland sei infolge des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU für sie unzumutbar und der Oberste Gerichtshof habe eine Ordination in gleichgelagerten Fällen bereits bewilligt.
Rechtliche Beurteilung
[4] Der Ordinationsantrag ist berechtigt.
[5] 1. An die rechtskräftige Verneinung der internationalen Zuständigkeit des von den Klägern angerufenen Bezirksgerichts Schwechat ist der Oberste Gerichtshof gebunden (RIS‑Justiz RS0046568 [T5]).
[6] 2. Für den Fall, dass für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind, bestimmt § 28 Abs 1 Z 2 JN, dass der Oberste Gerichtshof aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen hat, welches für die fragliche Rechtsache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder den Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre.
[7] 3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in mehreren Entscheidungen Ordinationsanträgen stattgegeben, wenn Ansprüche nach der EU‑Fluggast‑VO sonst in einem Drittstaat einzuklagen gewesen wären und zwischen diesem Drittstaat und Österreich kein Vollstreckungsübereinkommen besteht (RS0132702). Auch im Verhältnis zu dem seit 1. 1. 2021 als Drittstaat anzusehenden Vereinigten Königreich (vgl Art 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl 2020/29, 7) liegt eine vergleichbare Situation vor. Entscheidungen eines britischen Gerichts, die in nach dem 31. 12. 2020 eingeleiteten gerichtlichen Verfahren ergehen, können nicht mehr nach den Regeln der EuGVVO vollstreckt werden (8 Nc 51/22z mwN).
[8] 4. Nach dem Vertrag zwischen der Republik Österreich und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (BGBl 1962/224) werden grundsätzlich nur Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen eines „oberen“ Gerichts nach einem Exequaturverfahren anerkannt und vollstreckt. Trotz der in Art II Abs 2 dieses Abkommens vorgesehenen grundsätzlichen Möglichkeit zur Vollstreckung auch von Entscheidungen „unterer“ Gerichte kommt eine Vollstreckung der Entscheidung eines britischen „unteren“ Gerichts in Österreich mangels qualifizierter Gegenseitigkeit (§ 406 EO) nicht in Betracht (5 Nc 5/22p; 8 Nc 51/22z; RS0002320 [T2]).
[9] 5. Da den Klägern im Hinblick auf die geringe Höhe ihrer Forderung die Erlangung einer Entscheidung eines britischen „oberen“ Gerichts kaum möglich sein wird, ist von einer faktischen Unmöglichkeit der Exekutionsführung aufgrund eines in Großbritannien erlangten Titels auszugehen (5 Nc 5/22p). Die Voraussetzungen für die Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN sind damit erfüllt.
[10] 6. Bei der Auswahl des zu bestimmenden Gerichts ist auf die Kriterien der Sach‑ und Parteinähe sowie der Zweckmäßigkeit Bedacht zu nehmen (RS0106680 [T13]). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist das Bezirksgericht Schwechat zu bestimmen, das mit dieser Rechtssache auch bereits befasst war.
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