OGH 8Ob97/22f

OGH8Ob97/22f19.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch die Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, wider die beklagten Parteien 1. B* GmbH, *, und 2. V* AG, *, beide vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 19.192,29 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei und die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 30. Dezember 2020, GZ 2 R 108/20x‑62, mit welchem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 31. August 2020, GZ 3 Cg 98/18g‑56, teilweise abgeändert wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00097.22F.1019.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Das mit Beschluss vom 29. April 2021 zu 8 Ob 33/21t unterbrochene Revisionsverfahren wird fortgesetzt.

Der Revision der beklagten Parteien wird nicht Folge gegeben.

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass es lautet:

„1. Der zwischen der klagenden Partei und der erstbeklagten Partei abgeschlossene Kaufvertrag vom 24. 3. 2014 über das Fahrzeug Seat Altea XL ChiliTech TDI CR DSG (5P51U5T5), FahrgestellNr: *, wird ex tunc aufgehoben.

2.1. Die Klagsforderung besteht mit 19.192,29 EUR zu Recht.

2.2. Die Gegenforderung besteht mit 2.586,45 EUR zu Recht.

2.3. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 16.605,84 EUR sowie die erstbeklagte Partei 4 % Zinsen aus 23.630 EUR seit 28. 5. 2014 und die zweitbeklagte Partei 4 % Zinsen aus 16.605,84 EUR seit Klagseinbringung Zug um Zug gegen Rückgabe des in Punkt 1. genannten Fahrzeugs zu zahlen.

2.4. Das Mehrbegehren, die beklagten Parteien seien schuldig, der klagenden Partei weitere 2.586,45 EUR samt Zinsen zu bezahlen, wird abgewiesen.

3. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 8.929,24 EUR (darin 1.110,56 EUR USt und 2.265,90 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 3.787,84 EUR (darin 421,76 EUR USt und 1.257,30 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 2.594,86 EUR (darin 301,39 EUR USt und 786,50 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin erwarb am 24. 3. 2014 von der Erstbeklagten einen Seat Altea XL ChiliTech TDI zum Preis von 23.630 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem von der Zweitbeklagten hergestellten Dieselmotor „EA 189“ ausgestattet und damit vom sogenannten „Abgasskandal“ betroffen. In der ursprünglichen Motorsteuerung war eine „Umschaltlogik“ enthalten, die dazu führte, dass das Fahrzeug einen Prüfstandlauf erkannte und daraufhin die Abgase reduzierte. Am 16. 8. 2017 wurde am Fahrzeug ein Software‑Update durchgeführt, wodurch diese Umschaltlogik beseitigt, aber ein „Thermofenster“ implementiert wurde, sodass die zur Einhaltung der Emissionsgrenzwerte eingebaute Abgasrückführung nur bei Temperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll funktionsfähig ist. Es konnte nicht festgestellt werden, dass dieses Thermofenster zum Schutz des Motors erforderlich ist. Die Klägerin hat mit dem Fahrzeug 74.314 km zurückgelegt. Die Gesamtlaufleistung beträgt 250.000 km. Ein den Zulassungsvorschriften nicht entsprechendes Fahrzeug hätte die Klägerin bei Kenntnis dieses Umstands nicht erworben.

[2] Die Klägerin begehrt von der Erstbeklagten die Aufhebung des Kaufvertrags sowie von beiden Beklagten 19.192,29 EUR sA Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs. Die Zweitbeklagte habe die EG‑Typengenehmigung mithilfe einer manipulierten Motorsteuerung erwirkt. Das nachgerüstete Software-Update habe keinen rechtskonformen Zustand herstellen können, weil darin ein unzulässiges „Thermofenster“ enthalten sei. Die Klägerin habe deshalb Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags, wobei sie sich ein Benützungsentgelt von 4.437,71 EUR für 46.950 gefahrene Kilometer anrechnen lasse.

[3] Die Beklagten wendeten ein, dass eine aufrechte EG-Typgenehmigung vorliege und mit dem Software-Update ein rechtskonformer Zustand hergestellt worden sei. Im Fall der Rückabwicklung schulde die Klägerin ein Benützungsentgelt von 15.895 EUR, das dem Klagebegehren aufrechungsweise entgegengehalten werde.

[4] Das Erstgericht gab dem Aufhebungsbegehren statt und stellte fest, dass die Klagsforderung mit 19.192,29 EUR sowie die Gegenforderung mit 10.721,29 EUR zu Recht bestehe, sodass es die Beklagten unter Abweisung des Mehrbegehrens zur Zahlung von 8.471 EUR sA Zug um Zug gegen die Rückgabe des Fahrzeugs verpflichtete. Der gemeinschaftliche Irrtum der Vertragsparteien über das Vorliegen einer nicht rechtsbeständigen EG-Typgenehmigung führe zur Vertragsaufhebung. Das Software-Update sei wegen der fortdauernden Ungewissheit über die Zulässigkeit des darin enthaltenen „Thermofensters“ keine hinreichende Klaglosstellung. Die Zweitbeklagte hafte aus einer vorsätzlichen und sittenwidrigen Schädigung. Die Klägerin schulde ein Benützungsentgelt, das sich aus der Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem Händlereinkaufspreis im Zeitpunkt der Vertragsaufhebung errechne und sohin 15.159 EUR betrage.

[5] Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung dahin ab, dass die Gegenforderung nur mit 5.721,29 EUR als zu Recht bestehend festgestellt wurde und die Beklagten dementsprechend zur Zahlung von 13.471 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs verpflichtet wurden. Da der Klägerin der Neuwertverlust des Fahrzeugs nicht zur Last fallen dürfe und die Klägerin beim Verkauf an eine Privatperson einen höheren Erlös erzielen könne, sei das vom Erstgericht ermittelte Benützungsentgelt nach § 273 ZPO um 5.000 EUR zu vermindern. Im Übrigen bestätigte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichts und ließ die ordentliche Revision im Hinblick auf die Frage der Irrtumsanfechtung und der Haftung des Herstellers in den Abgasskandal-Fällen zu.

[6] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie den Zuspruch weiterer 5.721,29 EUR anstrebt, sowie die Revision der Beklagten, mit der sie die Abänderung des Urteils im klagsabweisenden Sinn beantragen; in eventu werden Aufhebungsanträge gestellt.

[7] Die Parteien beantragen wechselseitig, die Revision der jeweiligen Gegenseite zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

[8] Das Revisionsverfahren wurde mit Beschluss vom 29. 4. 2021 zu 8 Ob 33/21t bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über den vom Obersten Gerichtshof am 17. 3. 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen und ist nunmehr aufgrund des Vorliegens der Entscheidung des EuGH vom 14. 7. 2022, C-145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, fortzusetzen.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revisionen sind zulässig, weil das Berufungsgericht bei der Bemessung des Benützungsentgelts von der nunmehr ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Die Revision der Klägerin ist dementsprechend auch berechtigt. Die Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.

1. Allgemein anerkannt ist, dass der Vertragspartner des Irrenden den Vertrag aufrecht erhalten kann, indem er rechtzeitig dem Irrenden das gewährt, was dieser infolge seines Irrtums zu erhalten erwartet hatte (RIS‑Justiz RS0016244). Die Beklagten machen geltend, dass die Klägerin klaglos gestellt worden sei. Das Fahrzeug entspreche nach dem Software-Update den geltenden Zulassungsvorschriften, zumal das damit verbundene Thermofenster zum Schutz des Motors erforderlich sei.

[10] 2. Aus der Entscheidung des EuGH zu C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, ergibt sich, dass es sich beim sogenannten Thermofenster um eine Abschalteinrichtung handelt, die nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, dass nachgewiesen wird, dass diese Einrichtung notwendig ist, um eine Beschädigung des Motors oder Unfälle zu vermeiden. Dies konnte im vorliegenden Fall aber gerade nicht festgestellt werden.

[11] 3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs trifft den Übergeber die Beweislast dafür, dass durch das Software-Update ein den Zulassungsvorschriften entsprechender Zustand hergestellt wurde (8 Ob 91/22y; 10 Ob 2/23a). Ist im Fahrzeug ein Thermofenster verbaut, muss der Übergeber deshalb auch beweisen, dass diese Abschalteinrichtung unter die Ausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG fällt, sodass verbleibende Unklarheiten zu seinen Lasten gehen (1 Ob 149/22a). Da den Beklagten dieser Beweis nicht gelungen ist, können sie sich nicht auf eine Klaglosstellung der Klägerin durch das Software-Update berufen, selbst wenn sie damals noch von der Zulässigkeit eines solchen Thermofensters ausgegangen sein sollten.

[12] 4. Die Rechtsansicht der Beklagten, wonach die Zulassungsvorschriften für Kraftfahrzeuge nur dem Schutz der Umwelt dienten und ein allfälliger Schaden der Klägerin deshalb nicht vom Schutzzweck erfasst sei, wurde mittlerweile durch die Entscheidung des EuGH zu C‑100/21 , QB gegen Mercedes Benz Group AG, widerlegt, wonach die Zulassungsvorschriften in Art 18, 26 und 46 der Richtlinie 2007/46/EG neben den allgemeinen Rechtsgütern auch die Interessen des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Hersteller schützen, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist.

[13] 5. Soweit die Beklagten meinen, dass die Rückabwicklung des Vertrags nur gegenüber dem Vertragspartner, nicht aber gegenüber dem Hersteller verlangt werden könne, ist ihnen entgegenzuhalten, dass der Schadenersatzanspruch nach § 1323 ABGB primär auf Naturalersatz gerichtet ist. Der Geschädigte ist demnach so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde (RS0030228 [T7]). Der Oberste Gerichtshof hat deshalb zu 10 Ob 2/23a ausgesprochen, dass der Käufer, der das Fahrzeug bei Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht erworben hätte, im Wege des Schadenersatzes auch vom Hersteller die Erstattung des Kaufpreises gegen Übergabe des Fahrzeugs verlangen kann, wenn auch die nachträgliche Herstellung eines rechtskonformen Zustands nicht gelingt.

[14] 6. Sowohl die Klägerin als auch die Beklagten richten sich gegen die Bemessung des Benützungsentgelts durch das Berufungsgericht. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist der vom Käufer eines Kraftfahrzeugs, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, zu ersetzende Gebrauchsnutzen „linear“ anhand jenes Anteils am Kaufpreis zu berechnen, der dem Verhältnis der zurückgelegten Kilometer zur zu erwartenden Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs entspricht (RS0134263). Dies ergibt im vorliegenden Fall ein Benützungsentgelt von 7.024,16 EUR, das sich die Klägerin auf ihren Kaufpreisrückzahlungsanspruch anrechnen lassen muss.

[15] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 1 und § 50 ZPO. Im erstinstanzlichen Verfahren ist das teilweise Unterliegen der Klägerin bei der Bemessung des Benützungsentgelts darauf zurückzuführen, dass sie mit dem Fahrzeug mehr Kilometer zurückgelegt hat, als sie dies noch in der Klage angegeben hatte, ohne dass die Klage später eingeschränkt worden wäre, sodass das Kostenprivileg des § 43 Abs 2 ZPO nicht anwendbar ist. Die Klägerin hat sohin Anspruch auf Ersatz ihrer Vertretungskosten und Barauslagen aufgrund einer Obsiegensquote von 86,5 %, wobei die gegen ihr Kostenverzeichnis erhobenen Einwendungen dahin berechtigt sind, dass die Vertagungsbitte in der Sphäre der Klägerin gelegen ist und die Schriftsätze vom 1. 10. 2018 und 8. 8. 2019 als Urkundenvorlagen nur nach TP1 zu honorieren sind, und der anteilige Barauslagenersatzanspruch der Beklagten anspruchsmindernd zu berücksichtigen war. Nachdem die Klägerin die Abweisung eines Teilbetrags von 2.586,45 EUR nicht bekämpft hat, ist sie im Berufungs- und Revisionsverfahren zur Gänze durchgedrungen, sodass ihr insoweit voller Kostenersatz gebührt. Die Berufungsbeantwortung der Klägerin war aber nur aufgrund einer Bemessungsgrundlage von 8.471 EUR zu honorieren. Mangels eingehender rechtlicher Begründung der Anregung auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens war weder für die Berufung noch für die Revision ein Erhöhungsbetrag nach Anm 5 zu TP3 zuzusprechen.

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