OGH 9ObA67/23b

OGH9ObA67/23b27.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Karl Reiff (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Stepanowsky (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Rechtssacheder klagenden Partei A*, vertreten durch Haider Obereder Pilz RechtsanwältInnen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei G*, vertreten durch Dr. Alice Gao‑Galler, Rechtsanwältin in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Bestands des Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteigegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Juni 2023, GZ 7 Ra 50/23h‑17, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00067.23B.0927.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger war seit 1. September 1999 als Vertragsbediensteter bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis kommt die Vertragsbedienstetenordnung 1995 (VBO) zur Anwendung.

[2] Am 19. Juli 2022 meldete sich der Kläger krank. Die behandelnde Ärztin legte keine (gemeint: Beschränkungen der) Ausgehzeiten fest und verordnete auch keine Bettruhe und gab dem Kläger keine Anweisungen für das Verhalten im Krankenstand.

[3] Am 6. August 2022 nahm der Kläger nachts an der 35‑Jahr‑Feier seines Motorradclubs teil. Sein Aufenthalt beschränkte sich nicht auf bloß 30 bis 40 Minuten. Er konnte nicht davon ausgehen, dass die Teilnahme an einer nächtlichen Feier gemeinsam mit Mitgliedern seines Motorradclubs seinen Krankheitsverlauf positiv beeinflussen würde. Er konnte nicht ausschließen, dass durch eine solche Teilnahme der Heilungsverlauf gefährdet würde.

[4] Der Kläger gab am 22. August 2022 telefonisch gegenüber seiner Vorgesetzten an, dass er einen in Aussicht gestellten Termin nicht wahrnehmen könne, weil seine Ärztin ihm davon abgeraten hätte. In Wahrheit hatte weder die Ärztin, noch die Psychotherapeutin eine Empfehlung gegeben, dass der Kläger ein solches Gespräch nicht wahrnehmen könne. Der Kläger wollte das Gespräch allerdings vermeiden, weil er sich dabei nicht wohlgefühlt hätte.

[5] Das Dienstverhältnis des Klägers wurde mit Schreiben der Beklagten vom 23. August 2022, dem Kläger zugegangen am 24. August 2022, gemäß § 45 Abs 2 Z 2 VBO vorzeitig aufgelöst.

[6] Der Kläger begehrt die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 24. August 2022 hinaus.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, änderte die Entscheidung in eine Stattgabe des Klagebegehrens ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Außer der vom Erstgericht implizit angenommenen und von der Beklagten nicht bestrittenen Depression sei kein konkretes Krankheitsbild festgestellt worden, bei dem der Besuch einer privaten Veranstaltung geeignet wäre, den Heilungsverlauf hintanzuhalten. Eine Vertrauensunwürdigkeit liege somit nicht vor. Der subjektive Eindruck den Vorgesetzten des Klägers aufgrund der Postings bzw Fotos aus dem YouTube‑Video gehabt hätten, sei nicht geeignet zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zu führen.

[8] In ihrer außerordentlichen Revision beantragt die Beklagte, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision der Beklagten ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblicher Bedeutung nicht zulässig.

[10] 1. Die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Entlassungsgrund verwirklicht wurde, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblicher Bedeutung dar (RS0106298 [insb T22]; RS0044088 [T31]).

[11] 1.2. Aus dem Arbeitsvertrag besteht für den Arbeitnehmer die Verpflichtung, sich im Fall einer Krankheit und einer dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit so zu verhalten, dass die Arbeitsfähigkeit möglichst bald wiederhergestellt wird (RS0060869). Schon die Eignung des Verhaltens, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen oder den Heilungsprozess zu verzögern, kann den Entlassungsgrund verwirklichen (RS0029337; RS0126831). Ein Dienstnehmer darf ärztlichen Anordnungen jedenfalls nicht schwerwiegend bzw betont und im erheblichen Maß zuwiderhandeln und die nach der allgemeinen Lebenserfahrung allgemein üblichen Verhaltensweisen im Krankenstand nicht betont und offenkundig verletzen (RS0060869).

[12] 1.3. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung diese höchstgerichtliche Rechtsprechung zugrunde gelegt und sie überschreitet den ihm danach zukommenden Beurteilungsspielraum nicht.

[13] Die Beklagte behauptet nicht, dass der Kläger ärztlichen Anordnungen zuwider gehandelt hätte. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sich dem festgestellten Sachverhalt eine objektive Eignung, den Heilungsverlauf der beim Kläger bestehenden Depression zu gefährden, nicht entnehmen lasse, ist nicht korrekturbedürftig. Dass der Kläger – wie das Erstgericht feststellte – „nicht ausschließen“ konnte, dass der Heilungsverlauf durch sein Verhalten gefährdet würde, betrifft eine allfällige subjektive Vorwerfbarkeit gegenüber dem Kläger, worauf es aber nicht ankommt, weil schon ein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten auf Basis des festgestellten Sachverhalts nicht ersichtlich ist. Entgegen der Ansicht der Beklagten besteht kein (von der speziellen Erkrankung unabhängiger) Erfahrungssatz dahin, dass „kranke“ Personen (generell) nachts (besonderer) Ruhe bedürfen und eine Störung der Nachtruhe den Heilungsverlauf (jedenfalls) gefährdet. Im vorliegenden Fall steht auch nur fest, dass der Kläger nachts an einer Feier teilnahm und sich diese Teilnahme nicht auf bloß 30 bis 40 Minuten beschränkte. Daraus lässt sich schon nicht ableiten, dass der Kläger wegen seines Verhaltens nicht ausreichend Schlaf gefunden hätte. Im Übrigen legt die Beklagte nicht dar, aus welchen Gründen die Teilnahme des Klägers an der Feier geeignet gewesen wäre, die bei ihm vorliegende psychische Erkrankung zu prolongieren, also die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu verzögern, zumal weder die Ausgehzeiten des Klägers beschränkt waren, noch ihm Bettruhe verordnet wurde und ihm Spaziergänge (mit dem Hund) sowie Treffen mit Arbeitskollegen empfohlen waren.

[14] 1.4. Bei der Beurteilung, ob der Dienstnehmer den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit gesetzt hat, ist nicht auf das subjektive Empfinden des Dienstgebers abzustellen, sondern es ist stets eine objektive Wertung des Verhaltens des Dienstnehmers vorzunehmen (RS0029733; RS0029833). Dieser Bewertung ist somit das konkret gesetzte Verhalten des Klägers zugrunde zu legen. Von dieser Rechtsprechung weicht die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht ab. Von welchem Verhalten die Beklagte oder ihre Beschäftigten aufgrund von Facebook-Kommentaren, Fotos oder Videos ausgingen oder ausgehen hätten können, ist demgegenüber ohne Bedeutung. Darauf, dass das festgestellte Verhalten geeignet sei, die Arbeitsmoral der übrigen Beschäftigten zu senken, hat sich die Beklagte im Verfahren erster Instanz nicht berufen.

[15] 2. Soweit die Beklagte in der Revision meint, der Kläger sei für seine Behauptung beweispflichtig, dass er an einer Depression leide, zu deren Behandlung das Pflegen von Sozialkontakten samt Besuch einer nächtlichen Feier förderlich sei, zeigt sie eine aufzugreifende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht nicht auf.

[16] 2.1. Grundsätzlich hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0109832; RS0037797 [T8, T16]). Daraus folgt, dass der Dienstgeber das Vorliegen eines Entlassungsgrundes zu behaupten und zu beweisen hat (RS0029127). Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens eines Entlassungsgrundes gehen daher zu Lasten der Beklagten. Dies betrifft auch die Frage, ob ein Verhalten im Krankenstand geeignet sein kann, den Heilungsverlauf zu gefährden.

[17] 2.2. Die Beweislastverteilung kommt aber erst und nur dann zum Tragen, wenn ein Beweis für die strittige, entscheidungswesentliche Tatsache nicht erbracht werden kann (RS0039875).

[18] Entgegen der Behauptung der Beklagten in der Revision war der Grund für die Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht strittig. Der Kläger brachte in erster Instanz vielmehr ausdrücklich vor, sich aufgrund einer Depression im andauernden Krankenstand befunden zu haben, was von der Beklagten im Verfahren erster Instanz weder bestritten noch sonst wie thematisiert wurde. Die der Revision zugrunde liegende Annahme, der Kläger hätte Feststellungen zu seinem konkreten Krankheitsbild vereitelt, weicht somit von der Aktenlage ab und zeigt schon deswegen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[19] Da es nach der Rechtsprechung im hier vorliegenden Zusammenhang auf dem Heilungsverlauf abträgliche Verhaltensweisen des Arbeitnehmers im Krankenstand ankommt, ist die Frage, ob ein Verhalten für die Behandlung einer Krankheit (sogar) förderlich wäre (wie der Kläger behauptete) bzw ob er davon ausgehen konnte, seinen Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen (wie das Erstgericht feststellte), nicht entscheidungswesentlich.

[20] 3. Die Beklagte hat die Entlassung im Verfahren erster Instanz nicht darauf gestützt, dass der Kläger den in Aussicht genommenen Gesprächstermin (während des Krankenstandes) nicht wahrgenommen oder über den Grund dafür unwahre Angaben gemacht habe. Die diesbezüglichen Revisionsausführungen sind daher wegen des Verstoßes gegen das Neuerungsverbot unbeachtlich. Die vom Erstgericht dazu getroffenen Feststellungen sind insofern überschießend und wären nur dann zu berücksichtigen, wenn sie sich – was hier nicht der Fall ist – im Rahmen der Einwendungen der Beklagten hielten (RS0037972 [T1, T13]).

[21] 4. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass das Verhalten des Klägers auch keinen Kündigungsgrund im Sinn des § 42 Abs 2 VBO erfüllt (vgl § 45 Abs 5 VBO), wird in der Revision nicht bekämpft.

[22] 5. Mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision somit zurückzuweisen.

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