European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00168.23H.0925.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Zurückweisung der Klage wird bestätigt, soweit die klagende Partei ihr Begehren auf ungerechtfertigte Bereicherung stützt.
Im Übrigen – soweit die klagende Partei ihre Ansprüche auf den Rechtsgrund des deliktischen Schadenersatzes stützt – werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben. Dem Erstgericht wird insoweit die Einleitung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Begründung:
[1] Die Beklagte ist ein Unternehmen mit Sitz in Malta und bietet im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit über die Website www.l*.com unter anderem in Österreich die Teilnahme an Online‑Glücksspielen an. Eine Konzession nach dem Österreichischen Glücksspielgesetz hat die Beklagte nicht. Sie verfügt über eine Konzession in Malta. Bei der Registrierung eines Online-Accounts gibt die Beklagte in der Länderauswahl unter anderem auch Österreich an.
[2] Der im Sprengel des Erstgerichts wohnhafte Verbraucher M* S* (im Folgenden: der Spieler) meldete sich auf der Website der Beklagten an. Im Zuge der Registrierung akzeptierte der Spieler die AGB der Beklagten, die auszugsweise wie folgt lauten:
- [Die Beklagte] handelt nach den in Malta geltenden Gesetzen und Vorschriften. Sie erklären sich damit einverstanden, dass Sie sich bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Ihnen und [der Beklagten] ausschließlich der Rechtsprechung maltesischer Gerichte in Bezug auf die vorliegenden AGB unterziehen.“
[3] Der Spieler verlor im Zeitraum vom 19. 2. 2019 bis 9. 3. 2019 bei diversen Online-Glücksspielen der Beklagten insgesamt den Klagsbetrag. Er zahlte von Österreich aus im Spielzeitraum 19. 2. bis 9. 3. 2019 auf ein bei der Beklagten eingerichtetes Spielerkonto insgesamt 9.718 EUR ein und erhielt Auszahlungen von 700 EUR. Die Spielgelder wurden auf einem Sammelanderkonto bei einer maltesischen Bank verwaltet.
[4] Am 17. 2. 2022 schloss der Spieler einen Abtretungsvertrag mit der Klägerin, mit dem er sämtliche Erstattungsansprüche und Schadenersatzansprüche, die im Zusammenhang mit seiner Nutzung des Glücksspielangebots der Beklagten stehen, an die Klägerin abtrat.
[5] Die Klägerin begehrt die Rückzahlung der vom Spieler erlittenen Verluste von 9.018 EUR. Der Rückersatzanspruch stütze sich auf Bereicherung und Schadenersatz. Das von der Beklagten in Österreich angebotene Glücksspiel sei verboten, weshalb die Spielverluste daraus rückforderbar seien.
[6] Zur internationalen Zuständigkeit beruft sich die Klägerin – soweit für das Revisionsrekursverfahren noch von Bedeutung – auf den Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012 sowie auf den Deliktsgerichtsstand nach Art 7 Nr 2. Zum Verbrauchergerichtsstand nach Art 17 enthielt schon der Rekurs keine Ausführungen mehr.
[7] Die Beklagte erhob den Einwand der internationalen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts. Beim zugrunde liegenden Vertrag handle es sich um einen Dienstleistungsvertrag, dessen Erfüllungsort in Malta liege. Auch der Deliktsgerichtsstand nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 führe nicht zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, weil weder der Handlungsort noch der Erfolgsort in Österreich lägen. Auf die behauptete Gerichtsstandsvereinbarung mit dem Spieler (nicht aber mit der Klägerin) geht die Beklagte im Revisionsrekursverfahren argumentativ nicht mehr näher ein.
[8] Das Erstgericht sprach seine internationale Unzuständigkeit aus und wies die Klage zurück. Die Klägerin könne sich nicht auf den Gerichtsstand des Erfüllungsorts berufen, weil es im Anlassfall nicht auf eine Vertragsauslegung, sondern auf einen Verstoß der Beklagten gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften ankomme. Auch der Deliktsgerichtsstand stehe der Klägerin nicht zur Verfügung, weil sich dem Vorbringen der Klägerin weder rechtsverletzende Handlungen der Beklagten im Inland entnehmen ließen noch der Erstschaden in Österreich eingetreten sei.
[9] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Gerichtsstandsvereinbarung zwischen dem Spieler/Verbraucher und der Beklagten sei mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art 19 EuGVVO 2012 unwirksam. Für die Beurteilung der Frage, ob der zwischen dem Spieler und der Beklagten geschlossene Vertrag wegen Verstoßes gegen das österreichische Glücksspielmonopol unwirksam und nichtig sei, komme es nicht auf die Vertragsauslegung, sondern auf den Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Ordnungsvorschriften an, sodass nur der Deliktsgerichtsstand des Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 zu prüfen sei. Allein der selbstschädigende Zahlungsfluss am Bankkonto des Spielers reiche nicht aus, um den Erfolgsort im Inland zu identifizieren. Auch ein Handlungsort der Beklagten in Österreich lasse sich dem Vorbringen der Klägerin nicht entnehmen.
[10] Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, weil sich der Oberste Gerichtshof zur Zuständigkeit österreichischer Gerichte für Verfahren, denen von inländischen Verbrauchern an ausländische Nichtverbraucher verkaufte Forderungen aus mit ebenfalls ausländischen Glücksspielunternehmen geschlossenen Glücksspielverträgen zugrunde liegen, bisher noch nicht geäußert habe. Dies betreffe insbesondere die Anwendbarkeit des Gerichtsstands des Erfolgsorts nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 auf die nach dem Klagsvorbringen im Inland erfolgten Vorgänge.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der gegen die Entscheidung des Rekursgerichts gerichtete Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig; er ist auch teilweise berechtigt.
[12] 1. Die Anwendbarkeit der EuGVVO 2012 auf den Anlassfall steht nicht in Frage. Die Klägerin beruft sich im Revisionsrekurs nur mehr auf den Deliktsgerichtsstand nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012.
[13] 2. Zutreffend ist das Rekursgericht davon ausgegangen, dass die Gerichtsstandsvereinbarung zwischen dem Spieler/Verbraucher und der Beklagten in Punkt 12. der AGB mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art 19 EuGVVO 2012 unwirksam ist (vgl 8 Ob 172/22k Rz 17; 10 Ob 56/22s [ErwGr 3.4. f]). Das wird von den Parteien im Revisionsrekursverfahren auch nicht mehr bezweifelt.
[14] 3.1. Die Klägerin macht mit ihrer Klage in erster Linie bereicherungsrechtliche Rückforderungsansprüche aus nichtigen Glücksspielverträgen (§ 1174 iVm § 1431 ABGB) geltend.
[15] 3.2. Die Begriffe „Vertrag“ und „Ansprüche aus einem Vertrag“ sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) autonom auszulegen. Danach liegt ein vertraglicher Anspruch vor, wenn eine Person gegenüber einer anderen Person freiwillig eine rechtliche Verpflichtung eingegangen ist (EuGH C‑548/12 , Brogsitter [Rn 18]), die verletzt wurde. Diese Voraussetzung ist dann gegeben, wenn das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann, wie sie sich anhand des Vertragsgegenstands ermitteln lassen. Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn eine Auslegung des Vertrags zwischen den Parteien unerlässlich erscheint, um zu klären, ob das dem Beklagten vom Kläger vorgeworfene Verhalten widerrechtlich ist. Zu den Verpflichtungen aus einem Vertrag gehören demnach nicht nur die unmittelbaren vertraglichen Pflichten wie etwa Leistungs-, Zahlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflichten, sondern auch die Verpflichtungen, die an die Stelle einer nicht erfüllten vertraglichen Verbindlichkeit treten (sogenannte Sekundärverpflichtungen), also vor allem Schadenersatz- und Rückersatzansprüche, und zwar auch dann, wenn sie (erst) aus dem Gesetz folgen. Dies gilt somit auch für bereicherungsrechtliche Rückforderungsansprüche, die ihren Ursprung in der Verletzung einer sich aus dem Vertrag ergebenden Pflicht haben und demnach etwa aus einem nichtigen Vertrag resultieren (4 Ob 140/18v; 4 Ob 212/18g).
[16] Dies gilt auch für die hier geltend gemachten bereicherungsrechtlichen Rückersatzansprüche, weil diese aus der Nichtigkeit des zugrunde liegenden Glücksspielvertrags resultieren (8 Ob 172/22k [ErwGr 2.2.]; 10 Ob 56/22s [ErwGr 4.3.]).
[17] 3.3. Dass für diese Ansprüche der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012 (lit b zweiter Gedankenstrich: Glücksspielvertrag als Dienstleistungsvertrag; vgl EuGH C‑307/19 , Obala i lucice [Rn 93 f]; 4 Ob 140/18v) nicht zur Zuständigkeit des Erstgerichts führt, stellt die Klägerin im Revisionsrekurs zutreffend nicht mehr in Frage. Nach dieser Bestimmung ist bei der Prüfung des Erfüllungsorts auf die charakteristische Leistung abzustellen (EuGH C‑19/09 , Wood Floor Solutions [Rn 34]). Das Kriterium des Erfüllungsorts ist dabei autonom nach Möglichkeit aus dem Vertrag zu bestimmen. Im Zweifel ist am Sitz des Dienstleistungserbringers anzuknüpfen, der im Anlassfall in Malta liegt (vgl 8 Ob 172/22k Rz 25; 10 Ob 56/22s [ErwGr 4.8.]; 4 Ob 140/18v).
[18] Insoweit war die Zurückweisung der Klage daher zu bestätigen.
[19] 4.1. Die Klägerin stützt die von ihr verfolgten Ansprüche allerdings auch auf deliktischen Schadenersatz, weil die Beklagte in Österreich konzessionslos nach dem Gesetz verbotenes Glücksspiel anbiete. Die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts stützt sie in dieser Hinsicht auf den Deliktsgerichtsstand des Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012.
[20] 4.2. Nach dieser Bestimmung kann dann, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, eine Person mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat vor dem Gericht des Orts geklagt werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Der EuGH definiert Klagen aus „unerlaubten Handlungen“ als Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag iSd Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012 anknüpfen (vgl RS0115357). Beruft sich der Kläger auf die Regeln über die Haftung aus einer unerlaubten Handlung und damit auf einen Verstoß gegen eine gesetzliche Verpflichtung, besteht diese Verpflichtung unabhängig von einem Vertrag und erscheint es daher erlässlich, den Inhalt des geschlossenen Vertrags zu prüfen, so gelangt Art 7 Nr 2 EuGVVO zur Anwendung (EuGH C‑548/12 , Brogsitter [Rn 25]; C‑59/19 , Wikingerhof [Rn 33]).
[21] 4.3. Für die hier in Rede stehenden deliktischen Schadenersatzansprüche ist die internationale Zuständigkeit nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 zu prüfen. Auf der Grundlage dieses Tatbestands kann bei Distanzdelikten sowohl am Handlungsort als auch am Erfolgsort geklagt werden. Als Erfolgsort kommt aber nur jener Ort in Betracht, an dem sich die Schädigung zuerst auswirkt (Primärschaden). Folgewirkungen auf Person oder Vermögen des Geschädigten lassen dessen (Wohn-)Sitz auch dann nicht zum Erfolgsort werden, wenn sie gleichzeitig verwirklicht werden (vgl RS0119142; 4 Ob 185/18m EvBl 2019/75, 513 [Brenn/ Frauenberger/Pfeiler]).
[22] Nach der Rechtsprechung des EuGH ist im gegebenen Zusammenhang die Zuständigkeitszuweisung zum Wohnsitz des Geschädigten gerechtfertigt, soweit der Wohnsitz des Klägers tatsächlich der Ort des ursächlichen Geschehens oder der Verwirklichung des Schadenserfolgs ist (EuGH C‑375/13 , Kolassa[Rn 50 ff]). Die Anknüpfung an den Erfolgsort darf jedoch nicht so weit ausgelegt werden, dass sie jeden Ort erfasst, an dem die nachteiligen Folgen eines Umstands spürbar sind, der bereits einen tatsächlich an einem anderen Ort (primär) entstandenen Schaden verursacht hat. Sie bezieht sich nicht schon deshalb auf den Ort des Klägerwohnsitzes, weil dem Kläger durch den Verlust von Vermögensbestandteilen in einem anderen Mitgliedstaat ein finanzieller Schaden entstanden ist. Eine solche Zuständigkeitszuweisung ist vielmehr nur dann gerechtfertigt, wenn auch die anderen spezifischen Gegebenheiten des Falls zur Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte des Wohnsitzstaats beitragen (EuGH C‑12/15 , Universal Music). Dies ist im gegebenen Zusammenhang dann der Fall, wenn der Beklagte die zugrunde liegenden gesetzlichen Verpflichtungen im Wohnsitzstaat zu erfüllen hat und der Schaden aus der Verletzung dieser Pflichten abgeleitet wird, wenn also der Beklagte die schadensrelevante Pflichtverletzung im Wohnsitzstaat des Geschädigten begangen hat und sich als Folge dieser Pflichtverletzung der Schaden unmittelbar im Wohnsitzstaat (zB auf einem inländischen Bankkonto des Klägers) verwirklicht (EuGH C-709/19 , Vereniging van Effectenbezitters, ÖJZ [EuGH] 2021/86, 703 [Brenn]). Davon abgesehen kommt als Erfolgsort auch jener Ort in Betracht, an dem es zu einem direkten Eingriff in das Rechtsgut des Geschädigten gekommen ist (RS0109739 [T8]).
[23] 4.4. Nach dem Vorbringen der Klägerin resultiert der von ihr geltend gemachte Schadenersatzanspruch (die Rechtswidrigkeit) aus dem Verstoß gegen das österreichische Glücksspielrecht, also aus einem Verstoß gegen öffentlich-rechtliche österreichische Normen. Das vorgeworfene deliktische Verhalten der Beklagten besteht dabei nicht im Anbieten von Online-Glücksspielen an sich, sondern darin, dass dieses Angebot trotz fehlender österreichischer Konzession auch in Österreich zugänglich und nutzbar gemacht wird. Damit liegt die schadensrelevante Pflichtverletzung in Österreich, weshalb die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts für die geltend gemachten deliktischen Schadenersatzansprüche gemäß Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 zu bejahen ist (idS auch 8 Ob 172/22k [Rz 29]).
[24] Schon deshalb erweist sich der Revisionsrekurs der Klägerin daher in Ansehung dieser Ansprüche als (teilweise) berechtigt.
[25] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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