European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00048.23T.0920.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * F* mehrerer Verbrechen nach § 3g VG schuldig erkannt.
[2] Danach hat er sich in W* und andernorts auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er
(I) vom 29. Jänner 2021 bis zum 6. Dezember 2021 an zwei im Urteil näher bezeichneten Fahrzeugen jeweils zwei Aufkleber anbrachte, und zwar einen das sogenannte Eiserne Kreuz zeigend sowie einen weiteren mit dem NS-Reichsadler, bei dem das Hakenkreuz des Reichsadlers durch einen Mercedes-Stern ersetzt wurde, und die Fahrzeuge dergestalt am öffentlichen Verkehr teilnahmen, wodurch in Zusammenschau gezielt NS-Symbolik präsentiert und propagandistisch verwendet wurde, sowie
(II) vom Jahr 2019 bis zum Jahr 2022 beim Anblick nachangeführter Personen gegenüber M* H* und Z* H* den nationalsozialistischen Völkermord propagierte, und zwar
A) bei zwei Jugendlichen ausländischer Herkunft durch die Äußerung, diese „gehören in den Zug und den ersten nehmen wir gleich als Brennmaterial“, und
B) wiederholt bei ausländischen Personen durch die sinngemäße Äußerung, diese würden in den Zug gesteckt oder vergast gehören, „die“ müssten in den Zug.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6, 10a und 11 (richtig) lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Die Fragenrüge (Z 6) macht unter dem Aspekt des § 312 Abs 1 StPO mit dem Vorbringen, die Tatumstände seien „nahezu ident“ und hinsichtlich der Tatzeiten „völlig unbestimmt“, nicht klar, weshalb die in den Hauptfragen 2 und 3 (Schuldspruch II) enthaltenen Sachverhaltsschilderungen zur Abgrenzung der jeweils zu beurteilenden Tat von anderen Sachverhalten (Individualisierung) sowie zur rechtsrichtigen Subsumtion und deren Überprüfbarkeit (Konkretisierung) nicht ausreichen sollten (RIS‑Justiz RS0119082 und RS0100780; Lässig,WK‑StPO § 312 Rz 18 ff) und es – unter diesem Blickwinkel – der Aufnahme weiterer Zusätze in die Hauptfragen bedurft hätte.
[5] Indem die Beschwerde in Bezug auf die Betätigung im nationalsozialistischen Sinn eine Zusatzfrage (§ 313 StPO) nach dem Vorliegen eines Verbotsirrtums (§ 9 StGB) zur Hauptfrage 1 vermisst, entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung, weil sie nicht darlegt, warum das angesprochene deliktische Element – entgegen dem Wortlaut des § 3g VG – nicht auf der Tatbestandsebene angesiedelt sein soll. Hinzugefügt sei, dass der Rechtsbegriff der Betätigung im nationalsozialistischen Sinn als Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des § 9 StGB gerade deshalb nicht in Betracht kommt, weil er als normatives Tatbestandsmerkmal vom Tätervorsatz umfasst sein muss, ein diesbezüglicher Irrtum demnach (schon) die Tatbestandsmäßigkeit des Täterverhaltens ausschließt (Lässig in WK2 Vor VG Rz 2 und VG § 3g Rz 10). Ein Irrtum über diesen Begriff ist somit ein Tatbildirrtum und als solcher nicht Gegenstand einer Zusatzfrage (RIS‑Justiz RS0088950 und RS0124171; Lässig,WK‑StPO § 313 Rz 18).
[6] Mit dem Hinweis auf Auszüge aus einem Onlinelexikon (ON 25, Beilage I) und die Gestaltung eines Werbeplakats (ON 25, Beilage III) weckt die gegen den Schuldspruch I gerichtete Tatsachenrüge (Z 10a) beim Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken (dazu RIS‑Justiz RS0119583 [T7]) gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage 1 getroffenen Feststellungen zum Bedeutungsinhalt des dieser zugrunde liegenden Verhaltens (zum Umfang der Eingriffsbefugnisse des Höchstgerichts siehe RIS‑Justiz RS0118780 [T13, T16 und T17]).
[7] Vielmehr übt die Rüge, indem sie aus diesen Verfahrensergebnissen anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Angeklagten günstige Schlüsse ableitet, bloß unzulässig Kritik an der Beweiswürdigung der Geschworenen (§ 258 Abs 2 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) nach Art einer im geschworenengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (§ 283 Abs 1 StPO iVm § 344 StPO).
[8] Indem sie zum Schuldspruch II mit einer eigenständigen historischen Betrachtung den zu den Hauptfragen 2 und 3 festgestellten Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerungen bekämpft, versäumt sie es, ihren Einwand – prozessförmig – aus den Akten zu entwickeln (RIS‑Justiz RS0117446 und RS0119310 [T5]).
[9] Die Geltendmachung materiell-rechtlicher Nichtigkeit im geschworenengerichtlichen Verfahren verlangt den Vergleich der im Wahrspruch der Geschworenen (§§ 330 bis 333 StPO) festgestellten Tatsachen mit der im Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO iVm § 302 StPO) vorgenommenen Subsumtion. Der Rechtsirrtum muss aus dem Wahrspruch selbst unter Zugrundelegung der in diesem von den Geschworenen festgestellten Tatsachen abgeleitet werden (RIS‑Justiz RS0101148, RS0101013, RS0101403 und RS0101527 [T1]).
[10] Diesen Anfechtungsrahmen verlässt die Rechtsrüge (Z 11 lit a), die behauptet, der vom Schuldspruch II/A erfasste Sachverhalt sei in jenem zu II/B „mitenthalten“, dabei aber nicht Maß an den im Wahrspruch der Geschworenen diesbezüglich festgestellten Tatsachen nimmt.
[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß §§ 344, 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[12] Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§§ 344, 285i StPO).
[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)