European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00115.23K.0919.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
1. Die Wiederaufnahmsklage wird, soweit sie auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 4 ZPO gegründet wird, zurückgewiesen.
2. Der Verfahrenshilfeantrag der klagenden Partei wird, soweit er sich auf die in Punkt 1 genannte Wiederaufnahmsklage bezieht, abgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Der unvertretene, für seine Wiederaufnahmsklage Verfahrenshilfe beantragende Wiederaufnahmskläger bringt zum (hier nur mehr gegenständlichen) Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 4 ZPO vor, die Verfahrensführung des Erstrichters im Verfahren zu 6 Cg 144/13f des Landesgerichts Krems an der Donau sei evident parteilich und ausschließlich auf Geheiß des Rechtsmittelsenats des Oberlandesgerichts Wien erfolgt und deshalb nicht mit den Prinzipien der objektiven Verfahrensführung, der Unparteilichkeit und der untadeligen Amtsführung eines Richters vereinbar. Der Erstrichter habe mit seinen Beschlüssen vom 31. 3. 2014 und vom 1. 4. 2014 zunächst den Rechtsstandpunkt der dort Erstbeklagten bestätigt, jedoch nach Vorliegen der Rekursentscheidungen des Oberlandesgerichts Wien vom 21. 8. 2014, ohne Beweisverfahren seine Rechtsmeinung komplett ins Gegenteil verkehrt und ab diesem Zeitpunkt nur noch die Interessen des Klägers (Wiederaufnahmebeklagten) gestärkt. Erhabe die Straftatbestände der Begünstigung nach § 299 StGB und des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 StGB gesetzt.
[2] 2. Gemäß § 530 Abs 1 Z 4 ZPO kann ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist, auf Antrag einer Partei wieder aufgenommen werden, wenn sich der Richter bei der Erlassung der Entscheidung oder einer der Entscheidung zugrunde liegenden früheren Entscheidung in Beziehung auf den Rechtsstreit zum Nachteil der Partei einer nach dem Strafgesetzbuch zu ahndenden Verletzung seiner Amtspflicht schuldig gemacht hat.
[3] 3. Nach § 532 Abs 1 ZPO ist für die nach § 530 Abs 1 Z 4 ZPO erhobene Wiederaufnahmsklage das Gericht, von welchem die durch die Klage angefochtene Entscheidung gefällt wurde, wenn aber in der Klage mehrere in demselben Rechtsstreit von Gerichten verschiedener Instanzen gefällte Entscheidungen angefochten werden, das höchste unter diesen Gerichten ausschließlich zuständig. Liegt bereits vor Bekanntwerden des Wiederaufnahmegrundes des § 530 Abs 1 Z 4 ZPO eine Entscheidung höherer Instanz vor, ist die Wiederaufnahmeklage beim Gericht höherer Instanz einzubringen, da auch die Beseitigung seiner Endentscheidung begehrt wird (Jelinek in Fasching/Konecny IV/1³ § 532 ZPO Rz 16). Zur Entscheidung über eine auf den Wiederaufnahmegrund des § 530 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Wiederaufnahmeklage kann auch der Oberste Gerichtshof berufen sein (4 Ob 305/84 = RS0044612; vgl RS0044317). Nach der jüngeren Rechtsprechung ist der Oberste Gerichtshof auch dann zuständig, wenn er – wie hier – die außerordentliche Revision gemäß § 508a Abs 2 ZPO als unzulässig zurückgewiesen hat (10 Ob 28/22y; zur Nichtigkeitsklage: 2 Ob 6/03a, 5 Ob 208/06h).
[4] 4. Der Sachverhalt, der den Anfechtungsgrund herstellt, muss auch bei einer auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 4 ZPO gestützten Klage vorgebracht werden. Hat dies der Wiederaufnahmskläger unterlassen und damit die Klage nicht auf einen gesetzlichen Anfechtungsgrund gestützt, ist seine Klage gemäß § 538 Abs 1 ZPO zurückzuweisen (RS0044604). Das Gericht hat daher die Schlüssigkeit der Wiederaufnahmsklage zu prüfen (RS0044631). Das Wiederaufnahmsverfahren ist nur dann nach § 539 Abs 1 ZPO zur Einleitung einer strafrechtlichen Ermittlung zu unterbrechen, wenn der Wiederaufnahmskläger seinen Vorwurf gegen den oder die Richter des Hauptverfahrens ausreichend konkretisiert, somit gerade kein Fall des § 538 ZPO vorliegt, sondern – wäre ein anderer Wiederaufnahmsgrund geltend gemacht worden – eine Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen wäre (vgl RS0103696).
[5] 5. Die Schlüssigkeit derauf § 530 Abs 1 Z 4 ZPO gestützten Wiederaufnahmsklage ist zu verneinen: Dass sich der Erstrichter möglicherweise entgegen seiner ursprünglichen Rechtsansicht nach der vom Kläger zitierten abändernden Entscheidung des Rekursgerichts vom 21. 8. 2014 im Provisorialverfahren der Rechtsansicht des Rekursgerichts angeschlossen hat, begründet kein dem Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 4 ZPO zu unterstellendes Verhalten. Der Wiederaufnahmskläger macht lediglich eine Befangenheit des Erstrichters geltend, wenn er ihm vorwirft, dass andere als rein sachliche Motive für seine Entscheidung eine Rolle gespielt hätten. Befangenheit als solche ist aber kein Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmegrund (Jelinek in Fasching/Konecny IV/1³ § 530 ZPO Rz 90; RS0041972 [T4], vgl RS0042070). Die Wiederaufnahme nach § 530 Abs 1 Z 4 ZPO setzt vielmehr voraus, dass die Befangenheit im konkreten Verfahren zu einer strafbaren Amtspflichtverletzung geführt hat (RS0103696 [T3, T4]; 4 Ob 14/11d). Dass der Erstrichter seine Befugnis im konkreten Fall wissentlich (§ 302 StGB) in einer bestimmten Weise missbraucht hätte, wird vom Wiederaufnahmskläger in seiner Klage nicht ausreichend konkretisiert. Die Klage ist somit hinsichtlich des Wiederaufnahmsgrundes nach § 530 Abs 1 Z 4 ZPO daher als unschlüssig anzusehen.
[6] 6. Da der Oberste Gerichtshof zur Entscheidung über die Wiederaufnahmeklage zuständig ist, soweit der Wiederaufnahmegrund des § 530 Abs 1 Z 4 ZPO geltend gemacht wird, ist er auch zuständig, über den Verfahrenshilfeantrag in diesem Umfang zu entscheiden (§ 65 Abs 2 ZPO; RS0036094). Gemäß § 63 Abs 1 ZPO ist die Verfahrenshilfe dann zu versagen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Offenbar aussichtslos ist eine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Abwehrmittel als erfolglos erkannt werden kann (Bydlinski in Fasching/Konecny 2 § 63 ZPO Rz 20 mwN; RS0116448). Dies ist hier aufgrund der Unschlüssigkeit der Fall.
[7] 7. Für eine Wiederaufnahmsklage, die infolge Geltendmachung strafbarer Handlungen des Erstrichters (§ 530 Abs 1 Z 4 ZPO) gemäß § 532 Abs 1 ZPO beim Obersten Gerichtshof einzubringen ist, besteht gemäß § 27 Abs 1 ZPO iVm § 533 ZPO absolute Anwaltspflicht (RS0121427). Der Formmangel des Fehlens der Unterschrift auf einer beim Obersten Gerichtshof eingebrachten Wiederaufnahmsklage ist ohne wesentliche Bedeutung, wenn das Rechtsmittel jedenfalls (als unzulässig) zurückzuweisen ist (vgl RS0005946 [T7]). Dasselbe gilt auch für eine unzulässige Wiederaufnahmsklage, die – wie hier – nach § 538 Abs 1 ZPO bereits im Vorprüfungsverfahren als unschlüssig zurückzuweisen ist (vgl 10 Ob 28/22y).
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