OGH 4Ob52/23k

OGH4Ob52/23k12.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P* S.A.S., *, vertreten durch die Jank Weiler Operenyi Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei d* GmbH, *, vertreten durch Dr. Michael Dyck und andere Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 35.000 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei und über den Rekurs der beklagten Partei jeweils gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. November 2022, GZ 3 R 42/22a‑67, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. Dezember 2021, GZ 17 Cg 2/19d‑63, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00052.23K.0912.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Gewerblicher Rechtsschutz

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

1. Der Rekurs der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei deren mit 1.568,52 EUR (darin 261,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

2. Dem Rekurs der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist Konzerngesellschaft eines im Bereich Mode und Parfümeriewaren tätigen ausländischen Konzerns und Berechtigte von Unionsmarken und international registrierten Marken mit Schutzwirkung (auch) für Österreich. Die Beklagte ist eine österreichische Gesellschaft, die ein ausgedehntes Filialnetz im Bereich des Handels mit Drogerie‑ und Parfümwaren unterhält. Sie vertreibt unter anderem Produkte des Konzerns der Klägerin, ohne Vertragshändlerin zu sein.

[2] Die Klägerin erhob ein Unterlassungsbegehren, wonach der Beklagten verboten werde, in Österreich im geschäftlichen Verkehr ohne Zustimmung der Klägerin kosmetische Erzeugnisse, insbesondere Parfüms, die mit den Wort‑ oder Wortbildmarken der Klägerin gekennzeichnet und außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums erstmals in Verkehr gebracht worden seien, zu bewerben, zum Kauf anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen. Weiters beantragte sie die Ermächtigung zur Veröffentlichung des stattgebenden Urteils auf Kosten der Beklagten auf deren Website sowie in weiteren Medien. Der klägerische Konzern verfüge über ein selektives Vertriebssystem. Die autorisierten Vertragshändler würden ausschließlich anhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Natur ausgewählt. Ihnen sei unter anderem ein Vertrieb von einem Drittstaat außerhalb des EWR in ein EWR‑Land untersagt. Im November 2016 habe die Klägerin in Filialen der Beklagten Parfüms aus dem Markensortiment der Klägerin erworben, die von der Klägerin für den ausschließlichen Vertrieb in Uruguay bzw Russland bestimmt gewesen seien. Die Produkte seien damit außerhalb des EWR in Verkehr gebracht worden. Einem (Re‑)Import der Parfüms in den EWR habe die Klägerin nicht zugestimmt. Im Februar 2017 seien in anderen Filialen der Beklagten fünf weitere derartige Parfüms verkauft worden, die nicht für den EWR‑Raum bestimmt gewesen, sondern vielmehr in Hongkong bzw Uruguay in Verkehr gesetzt worden seien. Um zulässige von unzulässigen Parallelimporten unterscheiden zu können, bediene sich die Klägerin eines Tracking‑Systems, das eine Nachverfolgung der Produkte ermögliche.

[3] Die Beklagte wendete ein, sie vertreibe seit 2013 in beträchtlicher Anzahl Produkte der klagsgegenständlichen Marken, ohne Beanstandungen der Klägerin ausgesetzt gewesen zu sein. Sie könne nicht nachvollziehen, wo die Ware in Verkehr gebracht worden sei. Am EWR‑Markt würden Parfüms der Klägerin in beträchtlicher Menge außerhalb ihres Vertriebssystems gehandelt werden. Das selektive Vertriebssystem der Klägerin funktioniere daher innerhalb des EWR nicht in geschlossener Weise; über das Internet sei eine Vielzahl an Angeboten von Online-Händlern abrufbar, eine grenzüberschreitende Lieferung durch Vertragshändler der Klägerin sei jedoch nicht möglich. Die Klägerin diskriminiere die Beklagte, indem sie ihr Ersuchen um Aufnahme in das selektive Vertriebsnetz nicht einmal beantwortet habe. Es liege mangels Überprüfbarkeit der Tracking‑Systeme in der Willkür des Markeninhabers, Rechtsverstöße fast beliebig zu behaupten. Dies sei mit den Grundsätzen des freien Warenverkehrs in einem globalisierten Markt unvereinbar. Die Beklagte habe die Markenware von Händlern mit Sitz im EWR unter der Zusicherung erworben, dass es sich um im EWR verkehrsfähige Ware handle. Sie beziehe die gegenständlichen Waren ausschließlich von vier konkret bezeichneten Lieferanten, die diese wiederum von der Klägerin bzw ihren Vertriebspartnern bezögen. Es werde bestritten, dass die Waren erstmals außerhalb des EWR in Verkehr gebracht worden seien. Durch das Vertriebssystem der Klägerin bestehe die Gefahr der Marktabschottung, weil Querlieferungen zwar nicht verboten, aber faktisch nicht möglich seien. Die Beklagte habe keine Möglichkeit, ihr angebotene unzulässige Ware auszusortieren. Die im EWR mit Zustimmung der Klägerin in Verkehr gebrachte Ware sei vollkommen ident und ununterscheidbar von jener Ware, die außerhalb des EWR in Verkehr gebracht worden sei. Das Unterlassungsgebot sei damit zu unbestimmt. Es gehe nicht an, der Beklagten die Bewerbung der Parfüms generell zu verbieten.

[4] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang der Untersagung des Zum‑Kauf-Anbietens und/oder In-Verkehr-Bringens der gegenständlichen Markenware samt Urteilsveröffentlichung auf der Website der Beklagten, in ihrem Kundenmagazin und in einer Wochenendausgabe einer Tageszeitung statt und wies das auf die Untersagung der Bewerbung der Produkte gerichtete Begehren sowie das Urteilsveröffentlichungsmehrbegehren ab. Die Beklagte müsse bei ihrem Einwand der Erschöpfung des Markenrechts beweisen, dass die betroffenen Waren vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung im EWR auf den Markt gebracht worden seien. Dass die Klägerin versucht habe, anhand ihres Trackingsystems das Inverkehrbringen der Parfüms außerhalb des EWR zu beweisen und daran gescheitert sei, bewirke keine Änderung der Beweislast. Eine freiwillige Übernahme der Beweislast sehe die Rechtsordnung nicht vor. Lediglich für den Fall einer Marktabschottung, für die die Beklagte beweispflichtig sei, sei eine Umkehr der Beweislast zur Erschöpfung des Markenrechts vorgesehen. Die Beklagte bringe aber selbst vor, dass mehrere Millionen Stück der betreffenden Parfüms auf dem Parallelmarkt im EWR gehandelt würden, was der Annahme einer Marktabschottung entgegenstehe. Gleichzeitig habe nicht erwiesen werden können, dass der Konzern der Klägerin grenzüberschreitende Lieferungen innerhalb des EWR zwischen Vertragshändlern oder von einer nationalen Vertriebsgesellschaft an einen Vertragshändler oder von einem Vertragshändler an Verbraucher unterbinde. Die von der Beklagten vorgelegten Preisvergleiche seien nicht marktrepräsentativ. Da die Beweislast für die Abschottung der nationalen Märkte durch das selektive Vertriebssystem die Beklagte treffe, gehe die diesbezügliche Negativfeststellung zu ihren Lasten. Die Beweislast für die Erschöpfung des Markenrechts bleibe damit bei der Beklagten, was zur Folge habe, dass sich die Negativfeststellungen zum Ort des In-Verkehr-Bringens der Parfüms zu ihrem Nachteil auswirke. Die Argumentation der Beklagten, dass tatsächlich exportierte Parfüms aufgrund des in Incoterms vorgesehenen Gefahrenübergangs als noch auf dem Gebiet des EWR in Verkehr gesetzt anzusehen seien, übersehe, dass Incoterms standardisierte Vertragsklauseln insbesondere zur Verteilung von Gefahr und Kosten des Transports seien, jedoch keine Regeln für den Eigentumserwerb. Da die Klägerin nicht behauptet habe, dass die Beklagte Parfüms der Klägerin mit dem Argument beworben habe, dass diese außerhalb des EWR erstmals in Verkehr gebracht worden seien, sei das Unterlassungsbegehren zur Bewerbung der Produkte abzuweisen. Das darauf gerichtete Unterlassungsbegehren sei zu weitgehend, weil es sich nicht mehr am konkreten Verstoß orientiere.

[5] Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts über Berufung der Beklagten auf und trug ihm eine neuerliche Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens auf. Es bemaß den Wert des Entscheidungsgegenstands mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig, weil Rechtsprechung dazu fehle, ob durch Verwenden der Incoterms „CIP“ und „DAP“ ein In‑Verkehr-Bringen im Sinn des § 10b Abs 1 MSchG vorliege und ob das Bestehen von Preisunterschieden ohne Beschränkungen des Vertriebssystems innerhalb des EWR die Vermutung begründe, dass die Querlieferungen tatsächlich nicht oder nicht in nennenswertem Umfang stattfänden und allenfalls welche Auswirkungen auf die Beweislast damit einhergingen. Die Übergabe an den ersten Frachtführer qualifizierte das Berufungsgericht nicht als In‑Verkehr‑Bringen im markenrechtlichen Sinn, zumal in der Erfüllung aller Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag (noch) keine endgültige Realisierung des wirtschaftlichen Werts des Markenrechts vorliege. Es sei daher zu prüfen, ob die Beklagte die Parfüms von Lieferanten bezogen habe, die ihre Ware ausschließlich von Vertriebsorganisationen der Klägerin innerhalb des EWR bezögen. Dazu berufe sich die Beklagte auf Zeugen und auf die Einholung eines Gutachtens eines Buchsachverständigen, dem die Lieferanten, bei Einhaltung der Verschwiegenheit gegenüber den Parteien, Einsicht in ihre Geschäftspapiere zum Nachweis der Lieferkette gewähren würden. Der verfahrensrechtliche Geheimnisschutz des § 26h UWG sei aber auf Verfahren beschränkt, die den rechtswidrigen Erwerb, die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung eines Geheimnisses gemäß §§ 26c ff UWG zum Gegenstand hätten. Es sei aber in erster Instanz nicht thematisiert worden, dass die Einholung eines Gutachtens unter den Voraussetzungen des § 26h UWG nicht in Frage komme, sodass im fortgesetzten Verfahren mit der Beklagten zu erörtern sei, ob der Zeugenbeweis auf Einvernahme der vier Lieferanten der Beklagten unter diesen Voraussetzungen aufrecht erhalten werde. Überdies habe das Erstgericht dem Antrag der Beklagten auf Ergänzung des Sachverständigengutachtens zu Unrecht nicht entsprochen, zumal unklar geblieben sei, ob ein bestimmtes Parfüm körperlich am Bestimmungsort Russland angekommen und vom Empfänger übernommen worden sei, was abstrakt geeignet sei, zu einer anderen Sachverhaltsgrundlage und damit zu einem anderen Ergebnis des Verfahrens zu gelangen. Die Unterlassung der Einholung der Gutachtensergänzung bilde daher eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Zu den rechtlichen Grundsätzen im Zusammenhang mit der Gefahr der Marktabschottung verwies das Berufungsgericht im Wesentlichen auf die Entscheidung des Senats im Provisorialverfahren zu 4 Ob 154/17a.

[6] Gegen diese Entscheidung richten sich der Rekurs der Klägerin sowie der Rekurs der Beklagten, ersterer mit dem Antrag, das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen, zweiterer mit dem Antrag, die Klage abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Rekurs der Klägerin ist in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen nicht zulässig und somit zurückzuweisen, der Rekurs der Beklagten ist zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

I. Zum Rekurs der Klägerin

[8] 1.1. Der Rekurs macht geltend, dass das Berufungsgericht die unterlassene Einvernahme von vier Lieferanten der Beklagten und die unterbliebene Ergänzung des Sachverständigengutachtens zu Unrecht als Verfahrensmängel gewertet habe und verweist insbesondere darauf, dass die Beweisanträge gemäß § 179 ZPO als grob schuldhaft verspätet zurückzuweisen wären.

[9] 1.2. Es hängt allerdings ganz von den Umständen des Einzelfalls ab, ob die Voraussetzungen des § 179 Abs 1 ZPO als gegeben angesehen werden können (RS0036739 [T1]). Mit der bloßen Behauptung, die Beklagte treffe ein grobes Verschulden an der Verspätung, bringt die Klägerin jedenfalls keine erhebliche Rechtsfrage zur Darstellung (vgl RS0036739 [T2]).

[10] 2. Die Klägerin argumentiert weiters, die Beweise seien nicht einmal abstrakt dazu geeignet, einen Verfahrensmangel zu begründen, weil immer auch die Möglichkeit bestünde, dass die benannten Zeugen die verfahrensgegenständlichen Parfüms nicht direkt bei der Klägerin, sondern bei einem Zwischenhändler erworben hätten und die Einvernahme dieser Zwischenhändler nicht beantragt worden sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof nicht zu prüfen hat, ob die vom Berufungsgericht als notwendig erachtete Ergänzung des Verfahrens und der Feststellungen auf der Grundlage seiner gar nicht bekämpften Rechtsauffassung notwendig ist (RS0042179 [T19]).

[11] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

II. Zum Rekurs der Beklagten

[12] 1.1. Die Beklagte macht zunächst geltend, dass es auf vielen Ebenen zu einer Verschiebung der Beweislast zu Lasten der Klägerin zu kommen habe.

[13] 1.2. Dazu hat der Senat bereits im Provisorialverfahren zu 4 Ob 154/17a – auch unter Heranziehung der Rechtsprechung des EuGH und des BGH – umfangreich ausgeführt. Um Wiederholungen zu vermeiden sei daher zunächst auf diese Entscheidung verwiesen.

[14] 2.1. Die Beklagte beruft sich nun insbesondere auf die Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C‑175/21 des EuGH. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat jedoch in dieser Entscheidung im Wesentlichen seine – bereits der Provisorialentscheidung 4 Ob 154/17a zugrunde gelegte – bisherige Rechtsprechung aufrecht erhalten bzw bekräftigt.

[15] 2.2. In der Entscheidung C‑175/21 hat der EuGH unter anderem ausgesprochen, dass die Beweislast dafür, dass markenrechtliche Erschöpfung eingetreten ist, den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen folgt und im Regelfall dem Angegriffenen obliegt (Rn 50, 51), sowie dass Markeninhaber nicht verpflichtet sind, eine Datenbank zu führen, aus der sich ergibt, ob konkrete Waren mit Zustimmung des Markeninhabers in den EWR eingeführt wurden (Rn 53–5; vgl Gernhardt in GRUR-Prax 2023, 6).

[16] 2.3. Konkret führt der EuGH in der genannten Entscheidung zu Rn 50, 51 aus, dass die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendung der Erschöpfung grundsätzlich den Wirtschaftsteilnehmer trifft, der sich auf die Erschöpfung beruft. Diese Regel ist jedoch anzupassen, wenn sie es dem Inhaber ermöglichen könnte, die nationalen Märkte abzuschotten und damit den Fortbestand von Preisunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern (so schon in C‑291/16 , Schweppes, Rn 52 und 53 mwN).

[17] 2.4. Erneut knüpft der EuGH eine allfällige Beweislastumkehr nicht daran, ob es der Beklagten faktisch unmöglich ist, den Beweis zu erbringen, sondern er richtet sich danach, ob die Gefahr der Abschottung und des künstlichen Fortbestands von Preisunterschieden besteht. Er ist sohin wesentlich restriktiver als der Generalanwalt, der in seinen Schlussanträgen zu Rz 91 noch vermeinte, dass der Beklagte allenfalls eine „probatio diabolica“ vor sich habe, weil die tatsächlichen Umstände, die geeignet seien, die Erschöpfung des Markenrechts zu belegen, völlig außerhalb seines Einfluss‑ und Kenntnisbereichs lägen.

[18] Die von der Beklagten angeregte Befassung des EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens ist angesichts seiner gefestigten Judikatur nicht erforderlich.

[19] 3.1. Zur Frage der Marktabschottung hat der Senat bereits zu 4 Ob 154/17a und 4 Ob 166/17s ausgesprochen, dass eine solche dann vorliegt, wenn grenzüberschreitende Lieferungen im Binnenmarkt nachhaltig und erfolgreich unterbunden werden, etwa wenn in allen Ländern des EWR jeweils nur ein Alleinvertriebsberechtigter (Generalimporteur) für die Markenwaren existiert (vgl Lange, Marken- und Kennzeichenrecht2 § 7 Rz 3807), und auf diese Weise ein unterschiedliches Preisniveau zwischen den Mitgliedstaaten aufrecht erhalten werden kann. Um aber die Marktabschottung bejahen zu können, bedarf es konkreter Anhaltspunkte (vgl EuGH, C‑244/00 , van Doren, Rn 40, wo von einer tatsächlichen Gefahr der Abschottung der nationalen Märkte die Rede ist).

[20] 3.2. Folglich kann der Ausführung der Beklagten, das Vertriebssystem der Klägerin sei nach der Vertikal‑GVO nicht zulässig, nicht beigetreten werden, zumal die tatsächliche Gefahr bestehen muss, dass eine Marktabschottung auch eintreten könne.

[21] 3.3. Dasselbe gilt für das Argument, die Beklagte werde unzulässig diskriminiert, weil sie nicht in das Vertriebssystem der Klägerin aufgenommen werde. Dazu wurde zu 4 Ob 166/17s [3.5] bereits ausgeführt, dass der allfällige Ausschluss eines einzigen Händlers aus einem Absatzsystem noch nicht automatisch eine Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit bedeutet.

[22] 3.4. Soweit die Beklagte die Entscheidung des BGH I ZR 147/18 zur Begründung von Marktabschottung im konkreten Fall heranzieht, ist ihr entgegenzuhalten, dass in diesem Judikat nicht nur auf Preisunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch auf vertragliche Beschränkungen von Querlieferungen abgestellt wurde (vgl Schoene in GRUR-Prax 2021, 18; so auch Haberer/ Schmidhuber in WRP 2021, 1271, wonach das bloße Vorliegen unterschiedlicher Preisniveaus in den Mitgliedstaaten für die Begründung der Vermutung einer Marktabschottung nicht genügen könne, wenn sich nicht zugleich handelsbeschränkende Regelungen in den Vertriebsverträgen ermitteln ließen). Im hier zu beurteilenden Fall steht fest, dass keine vertraglichen Bedingungen vorliegen, welche den Handel innerhalb des EWR untersagen.

[23] 3.5. Die Klägerin hat den Beweis zum Nachweis des Orts des erstmaligen Inverkehrbringens außerhalb des EWR angetreten. Dieser Beweis oblag ihr nicht (vgl EuGH C‑175/21 Rn 50). Eine Umkehr der Beweislast wegen Verzichts kann daraus nicht abgeleitet werden, ebenso wenig wie aus der Formulierung des Klagebegehrens „außerhalb des EWR erstmals in Verkehr gebracht“. Diesbezüglich ist neuerlich auf 4 Ob 154/17a zu verweisen.

[24] 3.6. Zu der von der Beklagten geforderten analogen Anwendung der GG‑RL ist auszuführen, dass der verfahrensrechtliche Geheimnisschutz des § 26h UWG auf Verfahren beschränkt ist, die den rechtswidrigen Erwerb, die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung eines Geheimnisses gemäß §§ 26c ff UWG zum Gegenstand haben (RS0134048). Bei der Auslegung der nationalen Vorschrift haben sich die Gerichte so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie zu orientieren (RS0075866). Nach der Richtlinie ist der verfahrensrechtliche Geschäftsgeheimnisschutz nur dann zu gewähren, wenn es sich um ein Verfahren handelt, das den rechtswidrigen Erwerb, die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung eines Geheimnisses zum Gegenstand hat. Die Norm ist daher nicht anwendbar, wenn das Geschäftsgeheimnis nur beiläufig zu Tage tritt. Es werden lediglich Verfahren nach § 26c UWG erfasst, bei denen die rechtswidrige Erlangung oder Verwendung des Geschäftsgeheimnisses den Verfahrensgegenstand an sich bildet (Thiele in Wiebe/Kodek, UWG2 § 26h Rz 10; Rassi, Prozessualer Vertraulichkeitsschutz – Zur Umsetzung der Geschäftsgeheimnisrichtlinie im Verfahrensrecht, ipCompetence 2019/21, 28). Gerade in jenen Verfahren, die die Richtlinie vor Augen hat, ist es erforderlich, die Art der Information zu bewerten, die Gegenstand des Rechtsstreits ist. Inhaber von Geschäftsgeheimnissen sollen aber aufgrund der Notwendigkeit der Prüfung im Gerichtsverfahren nicht von der gerichtlichen Durchsetzung abgeschreckt werden (GG‑RL ErwGr 24 f). Eine Ausdehnung auf Verfahren, die nicht der Wahrung und Durchsetzung von Geschäftsgeheimnissen dienen, lässt sich aus diesem Normzweck daher nicht ableiten (2 Ob 68/22x, Rz 24).

[25] 4.1. Zur Frage des Ortes des erstmaligen Inverkehrbringens hält der EuGH in C‑16/03 , Peak Holding, fest (Rn 40 ff), dass es auf die Realisierung des wirtschaftlichen Werts einer Marke ankommt, sohin erst der Verkauf, nicht aber die Einfuhr, um die Ware zu verkaufen oder das Anbieten zum Verkauf ausreicht, um die Ware als in Verkehr gebracht anzusehen. Durch solche Handlungen wird nämlich das Recht, über die mit der Marke versehenen Waren zu verfügen, nicht auf Dritte übertragen. Sie erlauben dem Inhaber nicht, den wirtschaftlichen Wert der Marke zu realisieren. Selbst wenn diese Handlungen abgeschlossen sind, behält der Inhaber sein Interesse an der Aufrechterhaltung einer vollständigen Kontrolle über die mit seiner Marke versehenen Waren, um ua deren Qualität zu gewährleisten.

[26] 4.2. In C‑46/10 , Viking Gas, Rn 31, stellte der EuGH in einer Frage der markenrechtlichen Erschöpfung explizit auf das Interesse der Erwerber ab, das Eigentum in vollem Umfang zu nutzen.

[27] 4.3. In der Rs C‑129/17 , Mitsubishi/Duma, stellte der EuGH zur Frage der markenrechtlichen Erschöpfung allein auf die Kontrolle ab (Rn 30, 31).

[28] 4.4. Der BGH stellte zu I ZR 162/03, ex works, (dort der Incoterm EXW) maßgeblich auf die Verfügungsgewalt und Kontrolle über die Ware ab. Zumal der Verkäufer bei Vereinbarung des Incoterms EXW nur sicherstellen müsse, dass der Käufer Zugriff auf die Güter habe und der Käufer selbst alle restlichen Aufgaben (inkl Beladung) organisieren müsse, sei mit Übergabe an den Frachtführer im europäischen Wirtschaftsraum Erschöpfung eingetreten.

[29] 4.5. Zu I ZR 55/20, Hyundai-Grauimport, sprach der BGH aus, dass die Übergabe der Ware an eine Transportperson nur dann ein die Erschöpfung des Markenrechts auslösendes Inverkehrbringen darstelle, wenn die Verfügungsgewalt in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht auf den Käufer übergehe, nicht hingegen dann, wenn die Verfügungsgewalt beim Markeninhaber verbleibe. Der bloße Verkauf der Ware in der EU oder im EWR genüge nicht für die Annahme der Erschöpfung. Solange der Markeninhaber oder ein mit ihm wirtschaftlich verbundenes Unternehmen die Möglichkeit habe, durch Ausübung eines Weisungsrechts gegenüber der Transportperson die Auslieferung der Ware an den Käufer zu unterbinden, liege im bloßen Verkauf noch keine endgültige Realisierung des wirtschaftlichen Werts des Markenrechts.

[30] 4.6. Auch im Schrifttum wird festgehalten, dass ein Inverkehrbringen davon abhänge, wer den Transporteur beauftragt habe, bzw ob ein vom Hersteller unabhängiger Dritter die Verfügungsgewalt über die Marke habe (idS Gaderer in Kucsko/Schumacher, marken.schutz3 § 10b Rz 10, unter Verweis auf BGH I ZR 162/03, ex works, GRUR 2006, 863; Thiering in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG12 § 24 Rz 24; Grünzweig in Grünzweig, Markenrecht [13. Lfg 2021] zu § 10b MarkSchG Rz 18).

[31] 4.7. Herrmann, IHR 2018, 209, stellt bei der Frage der Erfüllung der kaufvertraglichen Verpflichtungen unter Verwendung der Incoterms (2010) CIP auf die Erlangung des Eigentums ab. Die weiteren kaufvertraglichen Verpflichtungen des Verkäufers, insbesondere die Verschaffung des Eigentums an der Ware, blieben bei Vereinbarung der Incoterms (2010) CIP gänzlich unberührt. Denn mit der Benennung des Lieferorts unter dieser Klausel würde weder der Leistungsort für den Eigentumsübergang an der Ware bestimmt, noch finde am Lieferort zusammen mit dem Gefahrübergang automatisch die Übertragung des Eigentums statt. Die Incoterms 2010 enthielten weder Bestimmungen zum Eigentumsübergang an der zu liefernden Ware, noch beeinflussten sie die tatsächliche Eigentumslage. Das Eigentum an der Ware richte sich schließlich allein nach dem am Belegenheitsort der Ware anwendbaren Sachrecht (lex rei sitae; vgl auch Piltz in Piltz/Bredow, Incoterms, 2016, C‑139; von Bernstorff, Incoterms 2010 Kommentierung für die Praxis inklusive offiziellem Regelwerk2, 18).

[32] 4.8. Die Incoterms CIP (Carriage and Insurance Paid to) und DAP (Delivered At Place) sehen beide vor, dass der Verkäufer für die Lieferung aufkommt, sohin er Absender iSd Art 12 Abs 1 CMR ist.

Art 12 Abs 1 CMR lautet:

Der Absender ist berechtigt, über das Gut zu verfügen. Er kann insbesondere verlangen, da ss der Frachtführer das Gut nicht weiterbefördert, den für die Ablieferung vorgesehenen Ort ändert oder das Gut einem anderen als dem im Frachtbrief angegebenen Empfänger abliefert.

 

[33] 4.9. Im vorliegenden Fall ist daher davon auszugehen, dass die Übergabe an den Frachtführer noch kein Inverkehrbringen der Markenwaren im EWR begründet.

[34] Auch die auf die Auslegung von Incoterms gestützte Argumentation der Beklagten erweist sich damit als nicht tragfähig. Ihrem Rekurs ist daher insgesamt nicht Folge zu geben.

[35] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 3 ZPO.

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