OGH 4Ob75/23t

OGH4Ob75/23t12.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen A*, geboren * 2017, in Pflege und Erziehung seiner Mutter G*, vertreten durch den Verfahrenshelfer Mag. Gerhard Franz Köstner, Rechtsanwalt in St. Johann im Pongau, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters B*, vertreten durch Dr. Michael Kinberger und andere Rechtsanwälte in Zell am See, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 24. Jänner 2023, GZ 21 R 247/22b-149, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Zell am See vom 20. September 2022, GZ 40 Ps 260/18y-131, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00075.23T.0912.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

 

Begründung:

[1] Der Minderjährige lebt bei der Mutter, die mit der Obsorge allein betraut ist. Die Eltern streiten seit 2018 über das Kontaktrecht des Vaters zum Kind. Mit – rechtskräftigem – Beschluss aus 2021 wurde dem Vater ein Kontaktrecht zum Kind wie folgt eingeräumt: „Jede Woche im Zeitraum von Freitag, 12:00 Uhr, bis zum darauffolgenden Samstag, 18:00 Uhr. Der Vater hat das Kind zu Beginn des Kontaktzeitraums beim Kindergarten bzw zu den Zeiten, in welchen es sich nicht im Kindergarten befindet, am Wohnsitz der Mutter abzuholen und am Ende des Kontaktzeitraums am Wohnsitz der Mutter an diese bzw an eine von ihr genannte Person zu übergeben. Die Mutter hat das Kind am Ende des Kontaktzeitraums an ihrem Wohnsitz persönlich bzw durch eine von ihr beauftragte Person zurückzunehmen.“ Nachdem es die Mutter in der Folge nicht schaffte, den Minderjährigen auf den Kontakt mit dem Vater vorzubereiten, drohte ihr das Erstgericht mit Beschluss vom 17. 5. 2022 – für den Fall, dass sie sich dem Kontaktrecht des Vaters neuerlich widersetze – die Verhängung einer Geldstrafe in Höhe von 500 EUR an.

[2] Mit der Behauptung, dass die Mutter das ihm eingeräumte Kontaktrecht weiterhin behindere bzw überhaupt verhindere, beantragte der Vater am 31. 5. 2022, über die Mutter die bereits angedrohte Geldstrafe in Höhe von 500 EUR und zugleich eine weitere, wesentlich empfindlichere Geldstrafe sowie im Falle der nicht fristgerechten Erledigung die (Ersatz‑)Freiheitsstrafe zu verhängen. Einen entsprechenden Antrag stellte er auch am 21. 6. 2022, am 1. 7. 2022 sowie am 18. 8. 2022.

[3] Die Mutter bestritt die ihr vorgeworfene Vereitelung des Kontaktrechts.

[4] Das Erstgericht wies die Anträge des Vaters ab, was es damit begründet, dass mittlerweile ein Sachverständigengutachten vorliege, wonach das Verhalten beider Eltern bei der Übergabe dem Kind massiv schade; dadurch werde das Kind in einen Loyalitätskonflikt gebracht und auch die „seelische Integrität“ des Kindes werde mittelfristig beeinträchtigt. Da somit für das Nichtfunktionieren der Kontakte nicht nur die Mutter allein verantwortlich sei, sondern auch der Vater, seien seine Anträge auf Verhängung einer Beugestrafe abzuweisen.

[5] Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss mit der Begründung, die Anwendung der Zwangsmittel nach § 110 Abs 2 iVm § 79 Abs 2 AußStrG setze eine durchsetzbare Verhaltenspflicht voraus. Im vorliegenden Fall enthalte der vollstreckbare Rechtstitel zwar Ort und Zeit für die Abholung und Rückbringung des Kindes durch den Vater und auch eine Verpflichtung der Mutter, das Kind am Ende des Kontaktzeitraums an ihrem Wohnsitz persönlich bzw durch eine von ihr beauftragte Person zurückzunehmen, es fehle aber konkret eine der Mutter auferlegte Verpflichtung zur Übergabe des Kindes an den Vater (zum Kontaktbeginn). Mangels einer exekutionsfähigen Verpflichtung der Mutter zur Übergabe des Kindes scheide daher die Anwendung angemessener Zwangsmittel über die Mutter, wie etwa die Verhängung einer Geldstrafe zur Durchsetzung der gerichtlichen Kontaktregelung aus 2021, aus.

[6] Der Vater beantragt mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs, über die Mutter eine angemessene Beugestrafe bzw Geldstrafe zu verhängen, in eventu die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen. Das Kontaktrecht des Vaters sei in dem vom Rekursgericht bestätigten Beschluss des Erstgerichts vom 25. 8. 2021 ausreichend konkretisiert worden, sowohl hinsichtlich der Kontaktzeiten als auch hinsichtlich der Übergabe und Rückübernahme des Kindes. Die nunmehrige Beurteilung des Rekursgerichts sei ein exzessiver Formalismus, der zu einer Überspannung der den Gerichten auferlegten Pflicht zur Fassung von Beschlüssen führe. Es reiche die Formulierung einer Verpflichtung zur Vornahme aller zu einem bestimmten Zweck notwendigen Handlungen, wenn sich deren Umfang abgrenzen lasse. Dies sei hier der Fall.

[7] Die Mutter hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

[8] Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsbegehrens berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[9] 1.1. Das Gericht hat nach § 110 Abs 2 AußStrG – auf Antrag oder von Amts wegen – zur Durchsetzung von Kontaktrechtsregelungen denjenigen, der den Vollzug der Regelung vereitelt, durch die Verhängung angemessener Zwangsmittel nach § 79 Abs 2 AußStrG zur Einhaltung der Regelung zu bewegen. Voraussetzung der zwangsweisen Durchsetzung einer Kontaktrechtsregelung nach § 110 AußStrG ist, dass diese hinreichend bestimmt ist. Sie muss so klar und eindeutig formuliert sein, dass sie gegebenenfalls zwangsweise durchgesetzt werden kann (vgl RS0047955 [T8]; RS0126099).

[10] 1.2. Die Beschreibung der geschuldeten Leistung hat zwar, soweit dies ihrer Natur nach möglich ist, so genau wie möglich zu erfolgen, hinlänglich bestimmt ist aber zB die in einem Exekutionstitel enthaltene Verpflichtung zur Vornahme aller zu einem bestimmten Zweck notwendigen Handlungen, wenn sich deren Umfang abgrenzen lässt (RS0126099).

[11] 2. Entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts fehlt es im vorliegenden Fall nicht an einer konkreten, der Mutter auferlegten Verpflichtung zur Übergabe an den Vater zum Kontakttermin, da sich diese Verpflichtung schon daraus ergibt, dass das Kind unstrittig im Haushalt der Mutter lebt und von dieser betreut wird, der Beschluss das Kontaktrecht des – nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden – Vaters regelt und damit die Übergabe des Kindes von der Mutter an den Vater die denklogische Voraussetzung zur Ausübung des Kontaktrechts ist. Der Beschluss enthält damit jedenfalls implizit eine Übergabeverpflichtung der Mutter, die nicht notwendigerweise im Beschluss angeführt werden muss, da diese notwendige Handlung aufgrund des Zwecks des Titels (Ausübung des Kontaktrechts) im Sinn der oben zitierten Rechtsprechung zu § 7 EO „abgrenzbar“ ist. Darüber hinaus hat der mit einem Verkehrsrechtstitel Belastete über die Abstandnahme von einer negativen Beeinflussung des Kindes hinaus alles ihm Zumutbare zu unternehmen, um in aktiver Weise dem daraus Berechtigten den persönlichen Verkehr mit dem Kind selbst gegen dessen Willen zu ermöglichen (RS0007336). Dazu zählt jedenfalls die Verpflichtung zur Übergabe des Kindes zu Beginn der festgelegten Kontaktrechtszeiträume an den festgelegten Örtlichkeiten.

[12] 3.1. Die Frage, ob die der Mutter angedrohten Zwangsmittel zu verhängen sind, kann auf Basis der bisherigen Feststellungen nicht beurteilt werden. Der (die Anträge des Vaters abweisende) erstinstanzliche Beschluss besteht im Wesentlichen aus einer Auflistung der gestellten Anträge und der gesetzten gerichtlichen Schritte. Abgesehen davon, dass das Erstgericht auch keine Feststellungen aus dem Gutachten traf und keine Beweiswürdigung vornahm (aus dem Inhalt des Gutachtens ergibt sich, dass die Sachverständige eine Übergabe beobachtete und das Verhalten anhand von Aufnahmen beurteilte, die die Mutter – offensichtlich entgegen den Auflagen des Erstgerichts – gemacht und der Sachverständigen übergeben hat), reicht ein Verweis auf den zusammengefassten Inhalt des Gutachtens nicht aus, um beurteilen zu können, dass das Nichtfunktionieren der Kontaktrechte nicht nur der Mutter allein angelastet werden könne. Es wurde weder festgestellt, welche Kontakte seit Festlegung des Kontaktrechts im Jahr 2021 nicht stattgefunden haben, noch ob diese von der Mutter vereitelt wurden. Aus der Aktenlage ergeben sich allerdings Hinweise (vgl den Beschluss des Erstgerichts vom 17. 5. 2022), wonach das Scheitern des Kontaktrechts ausschließlich in der Sphäre der Mutter gelegen ist, die auch vor (diversionell erledigten) Sachbeschädigungen (Zerkratzen des PKW des Vaters während einer Verhandlung im Pflegschaftsverfahren, die die Mutter kommentarlos verließ) nicht zurückschreckt, die Androhungen von Strafen nicht ernst nimmt und offensichtlich gerichtliche Auflagen verletzt (Aufnahmen von Übergaben an den Vater, die sie der Sachverständigen zur Verfügung stellte).

[13] 3.2. Entsprechende Feststellungen werden im weiteren Verfahren zu treffen sein. Die Beschlüsse der Vorinstanzen sind daher aufzuheben und dem Erstgericht ist die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

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