OGH 6Ob125/23k

OGH6Ob125/23k30.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des Betroffenen J*, geboren ** 1953, *, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der einstweiligen Erwachsenenvertreterin Mag. A*, Rechtsanwältin, *, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 3. Mai 2023, GZ 21 R 122/23z‑17a, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00125.23K.0830.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erwachsenenschutzrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Nach völlig einhelliger Auffassung sind die Regeln der §§ 273 ff ABGB für die Auswahl des Erwachsenenvertreters auch auf die Auswahl eines Rechtsbeistands im Verfahren und eines einstweiligen Erwachsenenvertreters anzuwenden (RS0110987 [T2, T4]; RS0048291). Die Voraussetzungen der Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters sind daher gemäß den Vorgaben der §§ 273 ff ABGB zu prüfen (4 Ob 41/23t [ErwGr 1.2 ff]).

[2] 2. Das Pflegschaftsgericht ist daher auch dabei grundsätzlich an den gesetzlichen „Stufenbau“ des § 274 ABGB gebunden. Angehörige der dort genannten Rechtsberufe (Notar, Notarskandidat, Rechtsanwalt, Rechtsanwaltsanwärter) müssen somit nach § 275 ABGB gerichtliche Erwachsenenvertretungen grundsätzlich übernehmen, jedoch nur wenn kein in dieser Bestimmung genannter Ablehnungsgrund vorliegt; die Möglichkeit der Ablehnung nach § 275 ABGB gilt nur für jene Notare (Notariatskandidaten) oder Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsanwärter), die nicht aufrecht in die von den jeweiligen Kammern zu führenden Listen als zur Übernahme von Vorsorgevollmachten und gerichtlichen Erwachsenenvertretungen besonders geeignete Notare oder Rechtsanwälte eingetragen sind (vgl 1 Ob 41/22v = RS0123440 [T13]).

[3] 3. Die Revisionsrekurswerberin, eine für den Betroffenen als Rechtsbeistand im Verfahren und als einstweilige Erwachsenenvertreterin bestellte Rechtsanwältin, ist unstrittig nicht in die Liste nach § 28 Abs 1 lit o RAO eingetragen. Ihr kommt daher auch als einstweilige Erwachsenenvertreterin nach § 275 Z 1 ABGB ein Ablehnungsrecht zu, wenn als weitere Voraussetzung die Besorgung der ihr übertragenen Angelegenheiten nicht überwiegend Rechtskenntnisse erfordert (vgl 4 Ob 41/23t [ErwGr 3.2.]).

[4] 4. Auch für die regelmäßig einzelfallbezogene Beurteilung, ob Angelegenheiten zu besorgen sind, für die vorwiegend Rechtskenntnisse erforderlich sind, kommt dem Gericht ein Ermessensspielraum zu (RS0117452 [T2]; RS0087131). Rechtliche Fachkenntnisse werden in der Regel für die Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten erforderlich sein (5 Ob 40/23b [ErwGr 3.5.]). Es muss eine Angelegenheit vorliegen oder konkret absehbar sein, die von einer Person ohne juristische Ausbildung nicht eigenständig erfüllt werden könnte. Die bloß abstrakte Möglichkeit, dass in Zukunft Prozesse und Verfahren anfallen oder Rechtskenntnisse künftig von Vorteil sein könnten, genügt nicht. Vielmehr müssen diese Angelegenheiten aktuell oder in naher Zukunft zu besorgen sein (4 Ob 41/23t [ErwGr 4.2.]).

[5] 5.1. Das Rekursgericht hat den Wirkungsbereich der Revisionsrekurswerberin ohnehin auf die Vertretung vor den Finanzbehörden beschränkt, vor denen aktuell dringende Steuerangelegenheiten des Betroffenen zu erledigen sind. Wenn das Rekursgericht aufgrund des anhängigen Steuerverfahrens des Betroffenen mit Auslandsbezug, in dem die deutschen Steuerbehörden bereits Abgabenverbindlichkeiten einfordern, im konkreten Fall davon ausging, es sei ein Notar oder Rechtsanwalt zu bestellen, weil die Besorgung der Angelegenheiten vorwiegend Rechtskenntnisse erfordere, hat es den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten.

[6] 5.2. Mit der ohne nachvollziehbaren Anhaltspunkt und überdies dem klaren Gesetzeswortlaut widersprechenden Ansicht, dass mit Rechtskenntnissen iSd § 275 Z 1 ABGB keine Steuerrechtskenntnisse gemeint seien, vermag der Revisionsrekurs keine aufzugreifende Fehlbeurteilung des Rekursgerichts aufzuzeigen. Das Gesetz sieht im Übrigen auch nur vor, dass (bei Vorliegen der oben angeführten Voraussetzungen) Rechtsanwälte oder Notare bzw Berufsanwärter ohne deren Zustimmung bestellt werden können, nicht aber auch Steuerberater.

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