OGH 8ObA53/23m

OGH8ObA53/23m29.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach * vertreten durch Mag. Martin Breunig, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei * AG, *, vertreten durch die Barnert Egermann Illigasch Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 22.674,91 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. April 2023, GZ 9 Ra 56/21b‑50, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00053.23M.0829.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Verstorbene war bis zu seiner Pensionierung Dienstnehmer der Beklagten. Zwischen ihnen bestand eine Pensionsvereinbarung, die eine direkte Leistungszusage enthielt. In Anwendung nationaler Bestimmungen zur Begrenzung von Sonderpensionen behielt die Beklagte von der (Betriebs-)Pension des Verstorbenen zum einen einen Pensionssicherungsbeitrag ein, zum anderen unterblieben bestimmte Erhöhungen der Pension.

[2] Mit ihrer Klage begehrt die Verlassenschaft nach dem Verstorbenen die entsprechenden, dem Verstorbenen nicht ausgezahlten Gelder, wobei sie den Standpunkt vertritt, die angewendeten nationalen Bestimmungen über den Pensionssicherungsbeitrag und das Unterbleiben von Pensionserhöhungen seien unionsrechts- und verfassungswidrig.

[3] Das Erstgericht wies nach Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH (Urteil vom 24. 9. 2020, C‑223/19  = ON 29) die Klage ab.

[4] Das Berufungsgericht bestätigte nach Ablehnung eines Antrags der Klägerin nach Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG auf Aufhebung der in Rede stehenden nationalen Vorschriften durch den VfGH (Beschluss vom 29. 11. 2022, G 169–171/2021‑15 = ON 48) das Ersturteil. Es begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass selbst bei Annahme einer mittelbaren Diskriminierung, weil die Limitierung von Sonderpensionen Männer häufiger als Frauen treffe, diese hier sachlich gerechtfertigt sei, weil die Annäherung dieser Leistungen an das niedrigere Pensionsniveau ein legitimes sozialpolitisches Ziel sei.

[5] Die außerordentliche Revision der Klägerin vermag keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darzustellen.

Rechtliche Beurteilung

[6] Eine Vorabentscheidung des EuGH bindet sowohl das vorlegende Gericht als auch alle anderen Gerichte, die in derselben Sache zu entscheiden haben. Die Entscheidung in der anhängigen Rechtssache ist so zu treffen, dass die vom EuGH vorgegebene Auslegung der fraglichen unionsrechtlichen Norm übernommen wird (stRsp, RIS‑Justiz RS0111726).

[7] Der EuGH hält in seiner vom Erstgericht eingeholten Vorabentscheidung vom 24. 9. 2020, C‑223/19 (= ZESAR 2021, 82 [Röhner] = ZESAR 2021, 343 [Reinhard]), fest, dass die Mitgliedstaaten bei der Wahl der zur Verwirklichung ihrer sozial‑ und beschäftigungs-politischen Ziele geeigneten Maßnahmen über einen weiten Entscheidungsspielraum verfügen (Rn 57). Er führt aus, dass es zwar letztlich Sache des für die Beurteilung des Sachverhalts und die Auslegung des innerstaatlichen Rechts allein zuständigen nationalen Gerichts ist, festzustellen, ob und in welchem Umfang die fragliche Rechtsvorschrift (sollte sie – wie von der Klägerin angenommen – Männer gegenüber Frauen mittelbar diskriminieren) durch einen objektiven Faktor gerechtfertigt ist, dass er aber auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise geben kann, die dem vorlegenden Gericht die Entscheidung ermöglichen (Rn 58).

[8] Dabei sieht der EuGH unter anderem die Verringerung des Unterschieds bei der Höhe der staatlich finanzierten Pensionen in Anbetracht des weiten Entscheidungsspielraums, über den die Mitgliedstaaten verfügen, als ein legitimes Ziel der Sozialpolitik an, das nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat (Rn 61). Weiters weist er darauf hin, dass die in Rede stehenden nationalen Vorschriften, da sie nur Leistungen betreffen, deren Höhe eine bestimmte Grenze überschreitet, eine Annäherung dieser Leistungen an das niedrigere Pensionsniveau bewirken (Rn 63) und dass diese Vorschriften, vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, in kohärenter und systematischer Weise angewandt werden, da sie für alle Pensionen gelten, die von den unmittelbar oder mittelbar staatlich kontrollierten Einrichtungen und Unternehmen in Form von „direkten Leistungszusagen“ gewährt werden, bei denen die aus den einbehaltenen oder nicht gewährten Beträgen gebildeten Rücklagen somit für die Finanzierung künftiger Pensionsverpflichtungen zur Verfügung stehen (Rn 64).

[9] Damit hat der EuGH die Angleichung von Höchstpensionen bei staatlichen Unternehmen an das allgemeine Pensionsniveau, die überwiegend Männer mit höheren Einkommen trifft, grundsätzlich als sachlich rechtfertigbar erachtet (Brameshuber/Kuras in Jaeger/Stöger, EUV/AEUV [2022] Art 157 AEUV Rz 186) sowie auch grundsätzlich die Kohärenz und systematische Anwendung der entsprechenden nationalen Vorschriften bejaht.

[10] Entgegen der Ansicht der Klägerin kann aus der Anordnung des EuGH, dass es letztlich Sache des nationalen Gerichts ist, darüber zu entscheiden, ob eine allenfalls vorliegende Diskriminierung sachlich gerechtfertigt ist und ob das nationale Recht insofern kohärent ist und systematisch angewendet wird, nicht abgeleitet werden, dass das nationale Gericht insofern (Tatsachen‑)Feststellungen treffen muss. Die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht ist grundsätzlich – anders wohl bei der Feststellung der Grundlagen für die Annahme einer entsprechenden höheren Betroffenheit bei mittelbaren Diskriminierungen – eine Rechtsfrage, für deren Lösung es tatsächlicher Feststellungen in der Regel nicht bedarf (4 Ob 200/14m [Pkt 4.3.]; RS0129945). Dass hier Tatsachenfeststellungen zu treffen gewesen wären, ist nicht ersichtlich.

[11] Dass die in Rede stehenden Vorschriften Personen mit weit überdurchschnittlicher Pension betreffen und dass durch sie deren Pensionen dem durchschnittlichen Pensionsniveau angenähert werden, zieht die Klägerin in ihrer außerordentlichen Revision nicht in Zweifel. Inwiefern dennoch die „Wirkung der Maßnahmen“ einer Überprüfung durch die nationalen Gerichte zugeführt werden müsste, wie in der außerordentlichen Revision verlangt, „um eine mögliche Rechtfertigung feststellen zu können“, erschließt sich dem Senat nicht. Weil es sich bei der Frage der Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Unionsrecht grundsätzlich um eine Rechtsfrage handelt, für die es regelmäßig keiner Tatsachenfeststellungen bedarf, ist auch der Ansicht der Klägerin in ihrem Rechtsmittel nicht beizutreten, die Zielerreichung hätte „rechtlich festgestellt und beurteilt werden müssen“. Das sozialpolitische Ziel der in Rede stehenden Vorschriften, die Unterschiede zwischen sehr hohen im staatlichen und staatsnahen Bereich anzutreffenden (Zusatz‑/Sonder‑)Pensionen und dem allgemeinen Pensionsniveau zu nivellieren, ergibt sich bereits aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Sonderpensionsbegrenzungsgesetz (140 BlgNR 25. GP  1 samt Vorblatt 1 und 3), weshalb sich die von der Klägerin in ihrer Revision vermisste weitere Beschäftigung damit, „um welche Ziele der Sozialpolitik es sich im gegenständlichen Fall handelt“, unter dem Aspekt einer allfälligen mittelbaren Diskriminierung erübrigte.

[12] Die Fragen der Verfassungskonformität der Regelungen wurden einer Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof – wohl unter Beachtung der damals bestehenden Inflationsentwicklung – zugeführt (G 169–171/2021).

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