OGH 1Ob28/23h

OGH1Ob28/23h27.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Mag. Margit Sagel, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. E* S.L., *, Spanien, vertreten durch Mag. Clemens Haller, Rechtsanwalt in Feldkirch, und 2. Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 103.826,95 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Dezember 2022, GZ 14 R 163/22a‑38, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 30. Juni 2022, GZ 33 Cg 32/21z‑29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00028.23H.0627.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Amtshaftung inkl. StEG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Erstbeklagte ist Herstellerin von Medizinprodukten und Produzentin eines Intrauterinpessars „Gold T normal“, das zur Empfängnisverhütung verwendet wird (in weiterer Folge: Spirale). Die Zweitbeklagte ist die Rechtsträgerin des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen.

[2] Der Klägerin war 2017 eine Spirale eingesetzt worden. Deren Lage wurde zuletzt im April 2019 gynäkologisch kontrolliert. Am 29. 5. 2020 machte die Klägerin einen positiven Schwangerschaftstest. Am 30. 5. 2020 bestätigte eine Gynäkologin die Schwangerschaft im sechsten Monat. Die Spirale konnte sie nicht sehen, weil diese durch das Kind verdeckt, abgegangen, gebrochen, in der Plazenta oder „irgendwo im Bauchraum“ war. Am 29. 9. 2020 brachte die Klägerin ein gesundes Kind zur Welt. Die Spirale kam dabei nicht zum Vorschein. Am 30. 9. 2020 wurde festgestellt, dass sich diese nicht mehr im Körper der Klägerin befindet.

[3] Die Klägerin wirft der Erstbeklagten vor, fehlerhafte Spiralen hergestellt, in Verkehr gebracht und die Öffentlichkeit unzureichend über den Fehler und die daraus resultierende Bruchgefahr informiert zu haben. Die von ihr verwendete Spirale sei eine solche der Erstbeklagten („Gold T normal“) gewesen und habe einen solchen Materialfehler aufgewiesen. Sie sei aus diesem Grund in ihrem Körper („in situ“) gebrochen, wodurch es zur ungewollten Schwangerschaft gekommen sei. Die der Zweitbeklagten zuzurechnenden Organe des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen hätten ihre gesetzlichen Kontroll- und Informationspflichten verletzt.

[4] Die Klägerin begehrt von den Beklagten als solidarisch haftenden (Mit‑)Schädigern den Ersatz des durch den Bruch der Spirale und die dadurch verursachte Schwangerschaft sowie die Geburt des Kindes entstandenen Schadens. Dieser setze sich aus dem aufgrund der Schwangerschaft und der Geburt des Kindes erlittenen Verdienstentgang (83.292,91 EUR), Behandlungs- und Medikamentenkosten (267,40 EUR sowie 67 EUR an Kosten für eine psychotherapeutische Behandlung), anteiligen frustrierten Kosten der Spirale (200 EUR) sowie Schmerzengeld (20.000 EUR) wegen psychischer Beeinträchtigungen aufgrund des unklaren Verbleibs der Spirale bzw ihrer Teile im Körper und der sich daraus ergebenden Sorge um die Gesundheit des Kindes zusammen. Die Klägerin strebt auch die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche weiteren Schäden an, die ihr aufgrund des Bruchs der von der Erstbeklagten hergestellten Spirale bereits entstanden seien, aber betragsmäßig noch nicht feststünden, und/oder die deshalb in Zukunft noch entstehen würden.

[5] Die Erstbeklagte hafte nach dem Produkthaftungsgesetz (PHG), wegen einer Verletzung ihrer Produktbeobachtungspflicht, der Verletzung von Schutzgesetzen (insbesondere des Produktsicherheitsgesetzes 2004) sowie von Verkehrssicherungspflichten und absolut geschützten Rechten. Die Zweitbeklagte hafte im Wege der Amtshaftung als Rechtsträger des für die Medizinmarktaufsicht zuständigen Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen für die Verletzung des dieser Behörde nach dem – damals – geltenden Medizinproduktegesetz 1996 („MPG 1996“) obliegenden Kontroll- und Informationspflichten. Hätten die Beklagten rechtzeitig auf das Bekanntwerden des Materialfehlers reagiert und (insbesondere) Gynäkologen und Apotheken darüber informiert, wäre die von der Klägerin verwendete Spirale noch vor ihrem Bruch ausgetauscht worden.

[6] Die Erstbeklagte bestritt, dass die Klägerin eine von ihr hergestellte Spirale verwendet habe und dass bei der verwendeten Spirale ein Materialfehler vorgelegen und sie (deshalb) gebrochen sei. Dies könne auch bei einer fehlerfreien Spirale vorkommen. Sowohl eine Expulsion der Spirale als auch eine ungewollte Schwangerschaft seien gängige Risiken deren Verwendung. Dass einzelne Chargen der Spirale fehlerhaft gewesen seien, sei zunächst auch nicht erkennbar gewesen. Sobald die Erstbeklagte davon Kenntnis erlangt habe, habe sie (laufende) Warnmeldungen veröffentlicht und die zuständigen staatlichen Gesundheitsbehörden verständigt.

[7] Die Geburt eines gesunden Kindes und die Schwangerschaft mit einem solchen seien außerdem kein ersatzfähiger Schaden, weshalb sämtliche daraus abgeleiteten Ersatzansprüche auch aus diesem Grund unberechtigt seien. Für die behaupteten seelischen Schmerzen der Klägerin habe keine der Erstbeklagten zurechenbare Grundlage bestanden.

[8] Die Zweitbeklagte wandte im Wesentlichen ein, dass das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen seinen gesetzlichen Kontroll- und Informationspflichten nachgekommen sei. Sie wies ebenfalls darauf hin, dass die Geburt eines gesunden Kindes kein ersatzfähiger Schaden sei.

[9] Das Erstgericht wies die Klage ab.

[10] Es stellte unter anderem – ergänzend zum eingangs dargelegten Sachverhalt – fest, dass die Klägerin eine Spirale der Erstbeklagten (Gold T Normal) verwendet habe. Diese sei bei einer gynäkologischen Untersuchung der Klägerin im April 2019 noch vorhanden und intakt gewesen und es sei „sehr wahrscheinlich“, dass sie danach unbemerkt abgegangen sei. Die Klägerin habe – was sie psychisch stark belastet habe – bis zum Tag nach der Geburt nicht gewusst, ob sich die Spirale noch in ihrem Körper befinde und wie sich dies allenfalls auf das Kind auswirke; sie sei aber davon ausgegangen, „dass die Spirale 'nicht mehr da' sei“. Aufgrund ihrer unerwarteten Schwangerschaft und weil ihr durch deren Kenntnis bewusst geworden sei, dass sie sechs Monate lang ohne Rücksicht auf ihr ungeborenes Kind gelebt habe, sei sie „schockiert“ gewesen. Sie habe sich Sorgen gemacht, ob sie ein gesundes Kind zur Welt bringen werde, wie sie den Alltag mit diesem bewältigen könne und ob sie finanziell zurechtkommen werde. Sie habe deshalb auch an Schlafstörungen sowie negativen Empfindungen gegenüber ihrem Partner gelitten.

[11] Dass die von der Klägerin verwendete Spirale fehlerhaft gewesen sei, konnte das Erstgericht ebensowenig feststellen wie deren Bruch im Körper der Klägerin, weshalb es dazu jeweils eine Negativfeststellung traf. Auf deren Grundlage verneinte es eine (Produkt‑)Haftung der Erstbeklagten. Mit den weiteren von der Klägerin ins Treffen geführten (verschuldensabhängigen) Anspruchsgrundlagen setzte sich das Erstgericht nicht auseinander. Eine Amtshaftung der Zweitbeklagten scheitere daran, dass jene Kontroll- und Informationspflichten, deren Verletzung ihr die Klägerin vorwerfe, nicht (auch) deren individuellen Schutz bezweckten. Die behaupteten Schäden stünden daher nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit den angeblich übertretenen Bestimmungen des MPG 1996.

[12] Das Berufungsgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung und ließ die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu.

[13] Es ging davon aus, dass dem Klagebegehren schon nach dem Klagevorbringen keine Berechtigung zukomme, weshalb es die Verfahrens- und Beweisrügen der Klägerin (unter anderem) zur Fehlerhaftigkeit der Spirale und zu deren Bruch im Körper der Klägerin (jeweils Negativfeststellungen) nicht behandelte. Auch auf die von der Erstbeklagten in ihrer Berufungsbeantwortung erhobene Beweisrüge zur Feststellung, dass die Klägerin eine von ihr hergestellte Spirale (Gold T Normal) verwendet habe, ging das Berufungsgericht nicht ein.

[14] Die Geburt eines gesunden Kindes sei kein Schaden im Rechtssinn, weshalb der daraus abgeleitete Verdienstentgang ebensowenig zu ersetzen sei, wie durch die Schwangerschaft notwendig gewordene Untersuchungen, Behandlungen und Aufwendungen für Medikamente. Die (teilweise) frustrierten Kosten der Spirale seien nicht ersatzfähig, weil nach dem PHG nur Personen- und Sachschäden an vom Produkt verschiedenen körperlichen Sachen zu ersetzen seien. Für eine Ersatzfähigkeit der Kosten der Spirale nach anderen Haftungsgrundlagen wäre ein Verschulden am behaupteten Materialfehler erforderlich gewesen. Seelische Schmerzen, aus denen neben dem Anspruch auf Schmerzengeld auch das Feststellungsbegehren abgeleitet werde, wären – ausgenommen als Folgeschäden einer Körperverletzung – nur bei einem schwerwiegenden Eingriff in die psychische Sphäre des Geschädigten ersatzfähig. Die Klägerin habe aber weder eine Körperverletzung durch den Bruch der Spirale behauptet, noch dass sie dadurch krankheitswertige psychische Beeinträchtigungen erlitten habe. Solche ergäben sich auch nicht aus den unbekämpft gebliebenen Feststellungen.

Rechtliche Beurteilung

[15] Die Revision der Klägerin ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil es deren Verfahrens- und Beweisrüge sowie die Beweisrüge der Erstbeklagten aufgrund einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu Unrecht unbehandelt ließ; die Revision ist mit ihrem hilfsweise erhobenen Aufhebungsantrag auch berechtigt.

1. Zum anwendbaren Recht:

[16] Für die Beurteilung der Haftung der erstbeklagten Partei ist unter Bedachtnahme auf Art 5 Abs 1 lit a und c Rom II‑VO zweifellos österreichisches Sachrecht anzuwenden (8 Ob 69/21m). Hinsichtlich der Zweitbeklagten ergibt sich dies daraus, dass Fragen der Amtshaftung nach dem Recht jenes Staates zu beantworten sind, dessen Organ den Schaden herbeigeführt haben soll (1 Ob 33/19p mwN).

2. Zum Schutzzweck des MPG 1996:

[17] 2.1. Für die Haftung der Zweitbeklagten ist zunächst zu beurteilen, ob – was das Erstgericht verneinte und das Berufungsgericht nicht prüfte – die geltend gemachten Schäden im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit den ihr vorgeworfenen Pflichtverletzungen stehen. Wäre dies nicht der Fall, käme die Haftung schon aus diesem Grund nicht in Betracht.

[18] 2.2. Der Senat setzte sich jüngst zu 1 Ob 39/23a eingehend mit der Frage des Schutzzwecks jener Bestimmungen des – auch auf den vorliegenden Fall anzuwendenden – MPG 1996 (BGBl 1996/657; dieses trat mit Ablauf des 30. 6. 2021 außer Kraft und wurde durch das Medizinproduktegesetz 2021, BGBl I 2021/122, ersetzt) auseinander, auf deren Verletzung die Haftung der Zweitbeklagten auch im vorliegenden Fall gestützt wird. Diese Entscheidung erging ebenfalls in einem Verfahren, in dem die (auch hier) beklagten Parteien wegen eines behaupteten Materialfehlers einer von der Erstbeklagten hergestellten Spirale in Anspruch genommen wurden. Der Senat gelangte dort zum Ergebnis, dass die das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen treffenden Aufsichts-, Überwachungs- und Informationspflichten nach diesem Gesetz insbesondere den Zweck haben, das Leben und die Gesundheit von Patienten vor Gefahren durch Medizinprodukte zu schützen. Bei durch Verletzung dieser Pflichten verursachten Schäden kommt daher eine Haftung des Bundes nach dem AHG in Betracht.

[19] 2.3. Davon ist auch für die Beurteilung des vorliegenden Falls auszugehen. Zur näheren Begründung kann auf die ausführlichen Erwägungen des Fachsenats in der genannten Entscheidung (1 Ob 39/23a) verwiesen werden.

3. Zum begehrten Schmerzengeld:

[20] 3.1. Seelische Schmerzen sind ersatzfähig, wenn sie Folge einer Körperverletzung sind (RS0031087). Sie sind dann ohne gesonderte Behauptung zu berücksichtigen, wenn mit ihnen nach der Lage des Falls zu rechnen ist, etwa bei einer nachvollziehbaren und länger dauernden Ungewissheit über die Schadensfolgen (2 Ob 51/88) oder Sorgen wegen späterer Komplikationen (2 Ob 101/05z). Dabei kommt es für die Ausgleichsfähigkeit weder auf das Vorliegen eines eigenständigen Leidenszustands von Krankheitswert noch auf eine ärztliche Behandlungsbedürftigkeit an (4 Ob 48/16m mwN).

[21] 3.2. Sind seelische Schmerzen keine Folge einer Körperverletzung, gebührt für sie hingegen nur in Ausnahmefällen ein Ersatz, etwa bei schwerwiegenden Eingriffen in die psychische Sphäre (RS0030778 [insb T1, T3: „massive Einwirkung“]; 6 Ob 248/09b mwN [Todesangst]). Allein eine bloße Verärgerung, Aufregung, ein Schrecken, Angstgefühle oder die Einbuße an Lebensfreude ist per se noch nicht ersatzfähig (4 Ob 48/16m; 1 Ob 170/18h, jeweils mwN). Auch eine psychische Beeinträchtigung, die nur in Unbehagen und Unlustgefühlen besteht, reicht noch nicht aus, um als Verletzung am Körper angesehen oder einer solchen gleichgestellt zu werden (RS0030792 [T3]). Von einer ersatzfähigen Gesundheitsschädigung ist aber dann auszugehen, wenn körperliche Symptome vorliegen, die als Krankheit anzusehen sind. Entscheidend ist, ob die psychische Beeinträchtigung behandlungsbedürftig oder wenigstens ärztlich diagnostizierbar und damit medizinisch fassbar ist (RS0030778 [T10]). Es muss also eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert vorliegen (RS0030778 [insb T16, T17, T23, T24]; RS0030792 [insb T8, T15; T17]).

3.3. Auf dieser Grundlage trägt die Begründung des Berufungsgerichts nicht:

[22] 3.3.1. Die Klägerin argumentiert, dass bereits durch den (behaupteten) Bruch der Spirale in ihrem Körper eine Körperverletzung erfolgt sei. Der vorliegende Fall sei mit dem der Entscheidung zu 4 Ob 48/16m zugrundeliegenden Sachverhalt vergleichbar. Dort sei die abgebrochene Spitze einer Operationsschere im Körper des Patienten verblieben, was vom Obersten Gerichtshof (als negative Folge des ärztlichen Eingriffs) als Körperverletzung qualifiziert worden sei.

[23] Ob der Bruch der Spirale, der nach dem Klagevorbringen mit keinen körperlichen Beeinträchtigungen einherging (vgl 8 Ob 69/21m), per se eine Körperverletzung darstellt, kann im vorliegenden Zusammenhang aber dahingestellt bleiben. Das Schmerzengeldbegehren wäre nach dem Klagevorbringen – bei Vorliegen der sonstigen Haftungsvoraussetzungen – nämlich auch dann ersatzfähig, wenn die psychischen Beeinträchtigungen keine Folge einer solchen Körperverletzung wären.

[24] 3.3.2. Die Klägerin behauptete in erster Instanz, aufgrund des unklaren Verbleibs der gebrochenen Spirale bzw ihrer Teile und der sich daraus ergebenden Sorge um die Gesundheit ihres (ungeborenen) Kindes „großen seelischen Belastungen“ ausgesetzt gewesen zu sein. Diese hätten sich durch Schlaflosigkeit, mentale Instabilität bis hin zu extremen emotionalen Gefühlsausbrüchen, durch extreme Stimmungsschwankungen, „überfürsorgliches Verhalten“ gegenüber ihrer Tochter sowie durch einen Libidoverlust geäußert. Erst die Inanspruchnahme psychotherapeutischer Hilfe habe eine Verbesserung gebracht. Durch die fehlerhafte Spirale sei die Klägerin nachhaltig traumatisiert gewesen. Ihre psychischen Beeinträchtigungen bestünden nicht nur in bloßem Unbehagen und Unlustgefühlen.

[25] Dieses Klagevorbringen zielt entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts eindeutig auf krankheitswertige psychische Belastungen ab. Diese wären aber – wie dargelegt – per se, also auch wenn sie keine Folge einer (anderen) Körperverletzung wären, ersatzfähig.

[26] 3.3.3. Warum es, wovon das Berufungsgericht ausging, für das Schmerzengeldbegehren darauf ankommen sollte, ob die Klägerin positive Kenntnis vom Verbleib der Spirale gehabt habe, ist nicht ersichtlich. Für eine haftungsrechtliche Zurechnung der seelischen Schmerzen zu den Beklagten ist nur maßgeblich, ob diese durch das ihnen vorgeworfene Fehlverhalten adäquat (und allenfalls – außerhalb des Anwendungsbereichs des PHG – schuldhaft) verursacht wurden. Dies wäre aber schon dann der Fall, wenn die Unsicherheit der Klägerin über den Verbleib der Spirale und ihre dadurch verursachten psychischen Beeinträchtigungen durch deren – von den Beklagten zu verantwortenden (von ihnen nicht verhinderten) – Bruch (in situ) hervorgerufen worden wäre.

[27] 3.4. Das Berufungsgericht ging somit zu Unrecht davon aus, dass dem Schmerzengeldbegehren bereits mangels Schlüssigkeit keine Berechtigung zukomme. Damit kommt es entscheidend auf die von der Klägerin bekämpften erstinstanzlichen Negativfeststellungen zur Fehlerhaftigkeit der Spirale und zu deren (daraus resultierendem) Bruch in ihrem Körper sowie auf die von der Erstbeklagten in ihrer Berufungsbeantwortung bekämpfte (positive) Feststellung, wonach die Klägerin eine von ihr hergestellte Spirale (Gold T Normal) verwendet habe, an. Stünde nicht fest, ob die von der Klägerin verwendete Spirale überhaupt von der Erstbeklagten hergestellt wurde, wäre das Schmerzengeldbegehren jedenfalls abzuweisen. Ebenso hätte es bei der Klageabweisung zu bleiben, wenn die Negativfeststellungen zur Fehlerhaftigkeit der von der Klägerin verwendeten Spirale sowie dazu, ob diese (daher) in situ brach, Bestand hätten. Umgekehrt könnte die Haftung nicht von vornherein ausgeschlossen werden, wenn feststünde, dass die Spirale von der Erstbeklagten hergestellt wurde und aufgrund eines Materialfehlers im Körper der Klägerin brach. Da das Berufungsgericht die Verfahrens- und Beweisrügen der Klägerin sowie die Tatsachenrüge der Erstbeklagten zu diesen maßgeblichen Feststellungen unbehandelt ließ, ist dessen Entscheidung hinsichtlich beider Beklagten (auch den Organen der Zweitbeklagten wird vorgeworfen, die durch den Bruch einer Spirale der Erstbeklagten verursachten psychischen Schäden der Klägerin pflichtwidrig nicht verhindert zu haben) aufzuheben und diesem Gericht aufzutragen, sich mit diesen zu befassen.

[28] Da auch das gegenüber beiden Beklagten erhobene Feststellungsbegehren aus der psychischen Beeinträchtigung der Klägerin abgeleitet wird, umfasst die Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts auch dieses Begehren.

4. Zu den behaupteten Vermögensschäden:

[29] 4.1. Zu den aus der ungeplanten Schwangerschaft und der Geburt des gesunden Kindes abgeleiteten Vermögensnachteilen (insbesondere zum behaupteten Verdienstentgang) ging das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass für solche – aus einer „wrongful conception“ abgeleitete – Nachteile nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kein Ersatz zusteht. Dies wird damit begründet, dass die Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes mit allen damit gewöhnlich verbundenen (auch vermögensmäßigen) Belastungen keinen ersatzfähigen Schaden im Rechtssinn darstellt (6 Ob 101/06f; 2 Ob 172/06t; 6 Ob 148/08w; 9 Ob 37/14b). Daran hielt der Oberste Gerichtshof trotz teilweiser Kritik in der rechtswissenschaftlichen Literatur und nach Auseinandersetzung mit dieser fest (6 Ob 101/06f; 6 Ob 148/08w). Auch in seiner zu 8 Ob 69/21m ergangenen Entscheidung, welche ebenfalls die erstbeklagte Partei betraf, rückte er nicht von seiner bisherigen Rechtsansicht ab.

[30] 4.2. Die Revisionswerberin argumentiert jedoch, dass das auf Grundlage der Produkthaftungsrichtlinie (85/374/EWG ) ergangene PHG, auf welches sie die Haftung der Erstbeklagten maßgeblich stützt, unionsrechtskonform auszulegen sei. Demnach sei ein Ersatz jener Vermögensnachteile, die aus der – infolge des behaupteten Produktfehlers der Spirale eingetretenen – Schwangerschaft und Geburt des Kindes der Klägerin abgeleitet würden, nicht per se ausgeschlossen. Der Begriff des „durch [Tod und] Körperverletzung verursachten Schadens“ iSd Art 9 dieser Richtlinie sei nach der Rechtsprechung des EuGH (10. 5. 2001, C‑203/99 , Veedfald/Aarhus) weit auszulegen und erfordere im Hinblick auf die von der Richtlinie verfolgten Ziele des Schutzes der Sicherheit und Gesundheit der Verbraucher eine „angemessene und vollständige Entschädigung“ des durch ein fehlerhaftes Produkt Geschädigten. Der Schadenersatz erfordere demnach „alles, was erforderlich sei, um die Schadensfolgen zu beseitigen“. Die Mitgliedstaaten dürften die „Arten des zu ersetzenden materiellen Schadens, der durch Tod oder Körperverletzung verursacht wird“, nicht einschränken.

[31] 4.3. Die Rechtsmittelwerberin regte in diesem Zusammenhang die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH zur Klärung der Frage an, inwieweit aus einer durch eine fehlerhafte Spirale bewirkten Schwangerschaft und Geburt eines Kindes verursachte Vermögensschäden (insbesondere ein dadurch erlittener Verdienstentgang) nach der Produkthaftungsrichtlinie zu ersetzen seien.

[32] 4.4. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist eine Vorlagefrage eines nationalen Gerichts aber unzulässig, wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (etwa EuGH 15. 10. 2009, C‑101/88 , Audiolux, Rn 31; 7. 10. 2013, C‑82/13 , Società cooperativa Madonna dei miracoli, Rn 12; 26. 3. 2020, C‑558/18 und C‑563/18 , Miasto Łowicz, Rn 44 ff uva). Vor einer allfälligen Befassung des EuGH mit der von der Klägerin aufgeworfenen unionsrechtlichen Frage wäre daher jedenfalls zu klären, ob die Spirale überhaupt von der Erstbeklagten hergestellt wurde und ob sie – falls dies zutrifft – den von der Klägerin behaupteten Produktfehler aufwies und deshalb in ihrem Körper brach. Dazu traf das Erstgericht zwar Feststellungen, mit deren Rüge setzte sich das Berufungsgericht aber zu Unrecht nicht auseinander.

[33] 4.5. Dass die von der Klägerin verwendete Spirale von der Erstbeklagten hergestellt wurde, ist eine grundsätzliche Voraussetzung für deren Produkthaftung. Hätte die dazu getroffene – von der Erstbeklagten angefochtene – positive Feststellung keinen Bestand, käme eine solche Haftung von Vornherein nicht in Betracht, sodass sich jedenfalls auch eine Anrufung des EuGH erübrigte. Auch auf Grundlage der – von der Klägerin angefochtenen – Negativfeststellungen zur Fehlerhaftigkeit und zum (in situ erfolgten) Bruch der von der Klägerin verwendeten Spirale wären die aus der Schwangerschaft und Geburt des Kindes abgeleiteten Vermögensnachteile (mangels Verursachung durch die Beklagten) nicht ersatzfähig und eine Befassung des EuGH mit der von der Klägerin aufgeworfenen Frage zur Auslegung der Produkthaftungsrichtlinie hätte ebenfalls zu unterbleiben.

[34] 4.5. Es bedarf somit auch hinsichtlich des auf einen Ersatz der behaupteten – aus der Schwangerschaft und Geburt des Kindes abgeleiteten – Vermögensnachteile der Klägerin abzielenden Klagebegehrens einer Befassung des Berufungsgerichts mit den bisher unbehandelt gebliebenen Tatsachenrügen, weil zunächst geklärt werden muss, ob die von ihr aufgeworfenen europarechtlichen Fragen überhaupt entscheidungswesentlich sind.

[35] Dies erfordert nicht nur eine Aufhebung der zweitinstanzlichen Entscheidung gegenüber der Erstbeklagten als Produzentin der Spirale, sondern auch gegenüber der Zweitbeklagten. Zwar wurde deren Haftung nicht auf das PHG gestützt, weshalb sich dazu keine unionsrechtlichen Fragen stellen. Das Berufungsgericht durfte sich daher zunächst auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur fehlenden Ersatzfähigkeit von Schäden aufgrund einer „wrongful conception“ stützen. Wären aber nach dem PHG – bei der von der Klägerin behaupteten unionsrechtskonformen Auslegung – auch Vermögensnachteile infolge einer (durch die fehlerhafte Spirale bewirkten) Schwangerschaft und Geburt eines Kindes zu ersetzen, ist es nicht ganz ausgeschlossen, dass dies auch Auswirkungen auf diese Rechtsprechung zum nationalen Recht haben könnte. Ob dies tatsächlich der Fall wäre, kann derzeit mangels abschließender Klärung der europarechtlichen Fragen zur Produkthaftungsrichtlinie – sowie mangels Klärung der vorgelagerten Tatsachenfrage zum Produktfehler und Bruch der Spirale – noch nicht beurteilt werden. Die angefochtene Entscheidung kann damit aber auch gegenüber der Zweitbeklagten vorerst keinen Bestand haben.

[36] 4.6. Auch hinsichtlich des Ersatzes der (teilweise) frustrierten Kosten der Spirale besteht – jedenfalls hinsichtlich der Erstbeklagten – noch keine Entscheidungsreife. Zwar trifft es zu, dass nach dem PHG am Produkt selbst eingetretene Schäden nicht ersatzfähig sind (§ 1 Abs 1 PHG: „eine von dem Produkt verschiedene körperliche Sache beschädigt“). Ob eine Haftung für diese Kosten nach den von der Klägerin ins Treffen geführten verschuldensabhängigen Anspruchsgrundlagen in Betracht käme, kann hinsichtlich der Erstbeklagten mangels dazu getroffener Feststellungen (zum Verschulden an der Mangelhaftigkeit) aber noch nicht beurteilt werden. Auch solche ergänzenden Feststellungen würden sich aber erübrigen, würde das Berufungsgericht die von der Klägerin bekämpften Negativfeststellungen zur Fehlerhaftigkeit und zum daraus resultierenden Bruch der Spirale übernehmen oder hätte die von der Erstbeklagten bekämpfte Feststellung, dass die Klägerin eine von ihr hergestellte Spirale verwendete, keinen Bestand. Hinsichtlich der Zweitbeklagten kommt ein Verschulden an der Fehlerhaftigkeit der Spirale zwar grundsätzlich nicht in Betracht. Von der Erlassung eines den Ersatz eines Teils der Kosten der Spirale betreffenden Teilurteils ist aber aus Gründen der Zweckmäßigkeit abzusehen.

[37] 5. Soweit die Revisionswerberin (zur unterbliebenen Behandlung ihrer Beweisrügen) argumentiert, dass der EuGH dem Produkthaftungskläger zu C‑503/13 (Boston Scientific Medizintechnik) insoweit Beweiserleichterungen zugestehe, als es bei (Medizin‑)Produkten mit einem besonderen Potenzial zur Herbeiführung von Personenschäden (dort einem Herzschrittmacher sowie einem implantierbaren „Cardioverten Defibrillator“) ausreiche, dass (potenzielle) Fehler solcher Produkte derselben Produktgruppe oder Produktionsserie feststehen, sodass ein Fehler des betreffenden Produkts nicht nachgewiesen werden brauche (EuGH aaO Rn 41), ist sie darauf hinzuweisen, dass das Erstgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung davon ausging, dass „nicht einmal überprüfbar sei, ob die Spirale aus einer Charge mit fehlerhaften Produkten stammte“. Ob im Hinblick auf die von der Rechtsmittelwerberin ebenfalls ins Treffen geführte Entscheidung des EuGH zu C‑621/15 (Sanofi Pasteur) allenfalls andere Indizien (aaO Rn 28 ff) für das Vorliegen eines Produktfehlers und eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen diesem und dem erlittenen Schaden sprächen, wird im fortgesetzten Verfahren bei der Behandlung der Beweisrügen zu klären sein.

[38] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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