European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0210DS00016.22Y.0424.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte *, Rechtsanwalt in *, der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt, weil er selbst bzw dessen Kanzlei * im Konkursverfahren über das Vermögen des * *, AZ * des Landesgerichts *, sowohl eine Gläubigerin als auch den Schuldner vertreten und dadurch gegen das Verbot der Doppelvertretung verstoßen hat.
[2] Über den Disziplinarbeschuldigten wurde eine Geldbuße in Höhe von 7.500 Euro verhängt.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und Strafe, der keine Berechtigung zukommt.
[4] Der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zuwider verstößt die Vertretung einer Partei in einer Sache, in der der Rechtsanwalt (oder – wie hier [ES 5] – die Rechtsanwalts GmbH, in der der Rechtsanwalt tätig ist [vgl RIS‑Justiz RS0113207 [T10]) die Gegenpartei in derselben Sache (ES 5 ff) vertreten hat, auch dann gegen das Gesetz, wenn gewiss ist, dass durch die Vertretung die Interessen der Gegenpartei nicht beeinträchtigt, geschädigt oder auch nur gefährdet werden können. Es ist also nicht notwendig, dass ein Vertrauensmissbrauch im materiellen Sinn stattgefunden hat. Eine („materielle“) Doppelvertretung (§ 10 Abs 1 RAO) ist vielmehr deshalb disziplinär strafbar, weil durch sie stets der Anschein erweckt wird, es würden materielle Interessen des ehemaligen Klienten preisgegeben (RIS‑Justiz RS0118082).
[5] Weshalb fallkonkret dem Berufungswerber auf Basis der Konstatierungen, dass er – auch vor dem Hintergrund, dass nicht an allen Kanzleistandorten dieselbe Kanzleisoftware verwendet wird – weder zu Beginn der Schuldnervertretung eine allfällige Kollision geprüft noch eine seiner Mitarbeiterinnen zu einer solchen Prüfung angewiesen hat, er auch die Kontrolle einer allfälligen Prüfung (durch Mitarbeiter) unterließ und keinerlei Dokumentationspflicht einer solchen Überprüfung bestand (ES 6 f, 10), keine Sorgfaltswidrigkeit vorzuwerfen sei (vgl RIS‑Justiz RS0113207, RS0055008; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek RAO11 § 10 RAO Rz 17), legt die Rüge (Z 9 lit a) nicht dar.
[6] Der Berufung wegen Schuld war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigung, nicht Folge zu geben.
[7] Auch der Berufung wegen Strafe kommt Berechtigung nicht zu:
[8] Der Bemessung der Geldbuße legte der Disziplinarrat ein abschöpfbares Nettoeinkommen von 3.000 Euro pro Monat zugrunde. Als mildernd wertete er das reumütige Geständnis und berücksichtigte, dass keine bewusste Doppelvertretung vorgelegen und anzunehmen sei, dass es zu keinem Vertrauensmissbrauch im materiellen Sinn gekommen sei. Als erschwerend wurden die zahlreichen, darunter vier einschlägige Vorstrafen gewertet.
[9] Der wegen Strafe erhobenen Berufung zuwider kann angesichts der festgestellten Vernachlässigung der Kontrollpflichten durch den Disziplinarbeschuldigten (ES 5 f) von einem bloß geringfügigen Verschulden nicht ausgegangen werden. Dem Einwand, der Erfolgsunwert sei „de facto nicht vorhanden“, ist zu entgegnen, dass eine („materielle“) Doppelvertretung deshalb disziplinär strafbar ist, weil durch sie stets der Anschein erweckt wird, es würden materielle Interessen des ehemaligen Klienten preisgegeben, auch wenn es – wie vom Disziplinarrat ohnedies berücksichtigt – zu einem Vertrauensmissbrauch nicht gekommen ist.
[10] Eine nicht näher konkretisiert behauptete unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer (§ 34 Abs 2 StGB) ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
[11] Die Verpflichtung des Rechtsanwalts, sich von jeglicher Kollision weitgehendst freizuhalten, ist eine der Grundfesten anwaltlicher Tätigkeit (Lehner in Engelhart et al, RAO11 § 10 RAO Rz 6). Demgegenüber vermögen die vom Beschuldigten nach der vorliegenden Anzeige getroffenen kanzleitechnischen Maßnahmen „zur Unterbindung derartiger Konstellationen“ einen Milderungsgrund nicht zu begründen.
[12] Hingegen war das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen zusätzlich als erschwerend zu werten.
[13] Bei einem Strafrahmen von bis zu 45.000 Euro (§ 16 Abs 1 Z 2 DSt) entspricht die bemessene Geldbuße Tatunrecht und Täterschuld sowie Präventionserfordernissen und trägt den (mangels diesbezüglicher Angaben des Beschuldigten zutreffend zugrunde gelegten) durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen eines Rechtsanwalts angemessen Rechnung (§ 16 Abs 6 DSt). Bereits angesichts der Vorverurteilungen kam die bedingte oder teilbedingte Nachsicht aus spezialpräventiven Erwägungen nicht in Betracht.
[14] Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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