European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00011.23A.0412.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Grundrechte
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 9. März 2021 (ON 921) wurde * L* des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
[2] Seine dagegen aus Z 3, 4, 5, 5a, 9 lit a, 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 27. Juli 2022, GZ 15 Os 10/22t-4, zurück. Zur Entscheidung über die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten, ferner über dessen Beschwerde gegen einen zugleich mit dem Ersturteil gefassten Beschluss wurden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet (§ 285i StPO).
[3] Mit Urteil vom 16. November 2022, AZ 19 Bs 231/22t, gab das Oberlandesgericht Wien der Berufung des Angeklagten gegen das Adhäsionserkenntnis Folge, hob die Zusprüche an die Privatbeteiligten auf und verwies diese mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg. Der Berufung des Angeklagten gegen den Ausspruch über die Strafe gab das Berufungsgericht nicht Folge. In Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft erhöhte es hingegen die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe auf sieben Jahre und sechs Monate. Die in der unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer gelegene Grundrechtsverletzung wurde vom Berufungsgericht anerkannt und durch Reduktion der (achtjährigen) Freiheitsstrafe um sechs Monate ausgeglichen (US 12 f).
Rechtliche Beurteilung
[4] Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich der Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens. Geltend gemacht wird eine Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK und des Art 4 des 7. ZPMRK.
[5] Der Antrag ist unzulässig.
[6] Bei einem – wie hier – nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag (RIS-Justiz RS0122228), bei dem es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß (RIS-Justiz RS0122737).
[7] Nach Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK befasst sich der Gerichtshof nicht mit einer Beschwerde, die im Wesentlichen mit einer von ihm bereits geprüften Beschwerde übereinstimmt und keine neuen Tatsachen enthält (vgl dazu RIS‑Justiz RS0122737 [insb T11, T37 und T42] und RS0127430 sowie Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 13 Rz 47).
[8] Soweit der Erneuerungswerber zu den von ihm behaupteten Verletzungen des Art 6 MRK und des Art 4 des 7. ZPMRK auch sein vom Obersten Gerichtshof bereits zu AZ 15 Os 10/22t geprüftes Vorbringen wiederholt, steht diese Zulässigkeitsbeschränkung einer nochmaligen Anrufung des Höchstgerichts (ohne vorangegangenes Urteil des EGMR) entgegen. Wurde betreffend im Antrag behaupteter Grundrechtsverletzungen ein entsprechendes Vorbringen im Rahmen der erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde unterlassen, fehlt es insoweit an der Zulässigkeitsvoraussetzung der horizontalen Rechtswegerschöpfung (Art 35 Abs 1 MRK, hiezu RIS‑Justiz RS0122737 [T12] und Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 13 Rz 36 f).
[9] Der Vorwurf, das Berufungsgericht habe ungeachtet unverhältnismäßig langer Verfahrensdauer keine Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK festgestellt, entfernt sich von der Aktenlage (US 10 und 12 der angefochtenen Entscheidung) und entzieht sich solcherart einer inhaltlichen Erwiderung.
[10] Im Übrigen können die Sanktionsfrage betreffende Umstände, die nicht Gegenstand einer Sanktionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO) sind, sondern ausschließlich in den Bereich der Berufung fallen (wie hier das Ausmaß der – nicht subsumtionsrelevanten – Schadenshöhe, das Vorliegen eines weiteren Milderungsgrundes und das Ausmaß der infolge unverhältnismäßig langer Verfahrensdauer vorgenommenen Strafenreduktion (vgl dazu RIS-Justiz RS0114926 [T6] und Ratz, WK-StPO § 281 Rz 724), mit dem innerstaatlichen subsidiären Rechtsbehelf eines Erneuerungsantrags ohne vorherige Anrufung des EGMR nicht geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0125371).
[11] Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen (§ 363b Abs 1 und 2 StPO).
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