European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00009.23M.0228.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Nach ihrer Ehescheidung im Einvernehmen vereinbarten die Eltern der Minderjährigen die Beibehaltung der gemeinsamen Obsorge für ihre fünf minderjährigen Kinder sowie deren gewöhnlichen Aufenthalt beim Vater. Die Minderjährige befindet sich seit 8. 2. 2021 in voller Erziehung des Landes Niederösterreich. Dabei handelt es sich um eine freiwillige Maßnahme, die mit Zustimmung beider Elternteile vereinbart wurde. Die Übertragung von Rechtsansprüchen der Minderjährigen auf wiederkehrende Leistungen, die der Deckung ihres Unterhaltsbedarfs dienen, auf den Kinder- und Jugendhilfeträger wurde dem Vater gemäß §§ 77, 78 NÖ KJHG mit Schreiben vom 22. 2. 2021 angezeigt.
[2] Die Minderjährige ist von Montag bis Freitag in voller Betreuung des Kinder- und Jugendhilfeträgers, wo ihr sämtliche notwendigen Güter zur Verfügung gestellt werden. Von Freitag, Schulende, bis Montag früh wird sie vom Vater in dessen Haus betreut. Der Vater hat ein monatliches Einkommen von 2.350 EUR netto und bedient monatliche Kreditraten von 785 EUR für das Haus, in welchem mittlerweile auch wieder die Mutter in einem eigenen Zimmer lebt. Die Mutter bezog längere Zeit Notstandshilfe, war zwischenzeitig saisonbedingt beschäftigt und ist seit 1. 2. 2022 zumindest geringfügig beschäftigt.
[3] Der Kinder- und Jugendhilfeträger beantragte, dem Vater ab 1. 3. 2021 monatlichen Unterhalt von 250 EUR aufzuerlegen. Er sei gemäß § 77 NÖ KJHG zum Ersatz der Kosten der Kinder- und Jugendhilfemaßnahme verpflichtet; die Leistung des beantragten Unterhalts sei dem Vater zumutbar.
[4] Der Vater wandte – soweit im Revisionsrekursverfahren noch von Interesse – ein, dass er alle Aufwendungen der Minderjährigen durch Leistung von Naturalunterhalt trage.
[5] Im erstinstanzlichen Verfahren führte die Rechtspflegerin, der nach der Geschäftsverteilung die vorliegende Unterhaltssache zugewiesen war, eine Verhandlung durch. Eine andere Rechtspflegerin fasste den Beschluss.
[6] Mit diesem Beschluss des Erstgerichts wurde der Vater zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbetrags von 183 EUR verpflichtet. Nach der Prozentwertmethode und unter Berücksichtigung der weiteren Unterhaltspflichten des Vaters errechne sich ein monatlicher Unterhalt von 329 EUR. Er sei im Verhältnis der Tage pro Jahr, an denen der Vater durch Pflege und Erziehung der Minderjährigen Naturalunterhalt leiste, zu jenem Zeitraum, in dem sich die Minderjährige in voller Erziehung des Landes Niederösterreich befinde, zu kürzen. Daraus ergebe sich der zuerkannte Unterhaltsbetrag.
[7] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Auch wenn durch den Unterhaltsbetrag die Kosten einer Maßnahme des Kinder- und Jugendhilfeträgers gedeckt werden sollen, sei der Betrag nach unterhaltsrechtlichen Grundsätzen zu ermitteln; dabei habe das Erstgericht sowohl den Naturalunterhalt des Vaters als auch seine übrigen Ausgaben im Sinne der Rechtsprechung berücksichtigt. Dass nicht die Rechtspflegerin, der nach der Geschäftsverteilung die vorliegende Unterhaltssache zugewiesen gewesen sei, sondern eine andere Rechtspflegerin den Beschluss gefasst habe, stelle allenfalls einen Verstoß gegen die Geschäftsverteilung dar, der aber nicht mit Nichtigkeit sanktioniert sei. Auch einen Verfahrensmangel verneinte das Rekursgericht mangels Relevanz.
[8] Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, weil zur Frage der Relevierung eines Verstoßes gegen die Geschäftsverteilung höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle und möglicherweise ein Spannungsverhältnis zu Art 87 und Art 87a B‑VG bestehe.
[9] Mit seinem Revisionsrekurs beantragt der Vater die Abänderung des rekursgerichtlichen Beschlusses dahingehend, dass der Antrag des Kinder- und Jugendhilfeträgers abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
[11] 1. Das Rechtsmittelsystem des AußStrG vermeidet den Begriff „Nichtigkeit“ weitgehend und unterscheidet nach der Schwere von Verfahrensfehlern. Neben den – hier nicht vorliegenden – Fällen des § 56 AußStrG sind Mängel, die unabhängig davon zu einer Aufhebung führen, ob sich die Mangelhaftigkeit des Verfahrens auf die Richtigkeit der Entscheidung auswirken konnte, nur Verfahrensmängel nach § 58 Abs 4 AußStrG; das sind Besetzungsmängel im weiteren Sinn. Der angefochtene Beschluss ist nach dieser Bestimmung jedenfalls aufzuheben, wenn ein ausgeschlossener oder mit Erfolg abgelehnter Richter oder Rechtspfleger entschieden hat (Z 1), anstelle eines Richters ein Rechtspfleger entschieden hat (Z 2) oder das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war (Z 3) (vgl G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 56 Rz 1 f; Motal/Krist in Schneider/Verweijen, AußStrG § 56 Rz 1 f).
[12] 2. Ein bloßer Verstoß gegen die Geschäftsverteilung ist dabei wertungsmäßig einem solchen Besetzungsmangel nicht gleichzuhalten, sondern kraft Größenschlusses wie eine örtliche Unzuständigkeit zu behandeln, die keinen Aufhebungsgrund gemäß § 56 AußStrG darstellt (RS0005829). Die Folgen können für den Fall, dass am richtigen Gericht der falsche Organwalter entschieden hat, nicht stärker sein, als wenn überhaupt ein örtlich unzuständiges Gericht entscheidet. Wenn nach dem Willen des historischen Gesetzgebers sogar die Entscheidung durch ein örtlich unzuständiges Gericht sanktionslos bleibt, muss dies umso mehr auch dann gelten, wenn nur gegen die Geschäftsverteilung verstoßen wurde (RS0129324; vgl auch 16 Ok 8/13). Ein bloßer Verstoß gegen die Geschäftsverteilung bildet im Regelfall keinen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 57 Z 4 AußStrG und bleibt daher sanktionslos (vgl auch 6 Ob 51/09g mwN).
[13] 3. Wenn der Gesetzgeber schon an die Entscheidung durch einen nach der Geschäftsverteilung unzuständigen Richter im Bereich des Außerstreitverfahrens keine Nichtigkeitssanktion knüpft, gilt dies kraft Größenschlusses auch für die Entscheidung eines nach der Geschäftsverteilung unzuständigen Rechtspflegers.
[14] 4. An diesem Ergebnis ändert es auch nichts, dass die Verhandlung von einer anderen als der den Beschluss fassenden Rechtspflegerin geführt wurde, gilt doch der Grundsatz der Unmittelbarkeit nicht für das Außerstreitverfahren (RS0006319).
[15] 5. Das Rekursgericht hat auch das Vorliegen eines einfachen Verfahrensmangels verneint. Ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens bildet grundsätzlich auch im Verfahren außer Streitsachen keinen Revisionsrekursgrund (RS0050037; RS0030748). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann selbst im Verfahren über den Unterhalt minderjähriger Kinder nur bei Vorliegen besonderer Umstände angenommen werden (vgl RS0030748 [T4]). Solche besonderen Umstände spricht der Revisionsrekurswerber in seinem Rechtsmittel nicht an.
[16] 6. Ein Unterhaltsanspruch des Kindes geht aufgrund der vollen Erziehung und infolge entsprechender Anzeige des Kinder- und Jugendhilfeträgers auf diesen über (vgl § 43 B-KJHG iVm §§ 77, 78 NÖ KJHG; Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 Rz 1792 f), was der Revisionsrekurswerber auch nicht bestreitet. Er argumentiert, er sei nur zu Naturalunterhalt verpflichtet, ein Forderungsübergang könne aber nur hinsichtlich eines – von ihm nicht geschuldeten – Geldunterhaltsanspruchs stattfinden.
[17] Der Revisionsrekurswerber übersieht in diesem Zusammenhang, dass im Fall der „Drittpflege“ beide Elternteile nach Maßgabe ihrer Lebensverhältnisse zur Zahlung einer Geldrente verpflichtet sind (vgl Gitschthaler, aaO Rz 54) und er damit grundsätzlich Geldunterhalt schuldet. Der von ihm geleistete Naturalunterhalt ist darauf im angemessenen Umfang anzurechnen (vgl RS0123487 [T4]; RS0047254), was die Vorinstanzen gemacht haben. Wo diese Angemessenheitsgrenze liegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0123484 [T1]; RS0123487 [T5]).
[18] Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zeigt der Revisionswerber in diesem Zusammenhang nicht auf.
[19] 7. Der Revisionsrekurs war daher insgesamt als unzulässig zurückzuweisen.
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