OGH 9ObA1/23x

OGH9ObA1/23x16.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter David Hobel, LL.M. (WU) (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * K*, geboren am *, vertreten durch Klein, Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei T* GmbH, *, vertreten durch Dr. Dieter Zaponig, Rechtsanwalt in Graz, wegen 6.940,36 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. November 2022, GZ 6 Ra 34/227‑15, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00001.23X.0216.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Das „Praktikum“ (Volontariat) ist vom Ausbildungszweck bestimmt. Entscheidend ist, dass die konkrete Beschäftigung nach der vorzunehmenden Gesamtbeurteilung auch objektiv in erster Linie – im Interesse des Auszubildenden, sich entsprechend seinen Ausbildungsvorschriften praktische Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen – von diesem Ausbildungszweck bestimmt und geprägt und nicht im Interesse des Betriebsinhabers an Arbeitsleistungen für seinen Betrieb hauptsächlich an betrieblichen Zwecken und Erfordernissen orientiert ist (9 ObA 288/01w). Weitere Kriterien für das Überwiegen des Ausbildungszwecks sind insbesondere, dass der Beschäftigte Arbeiten, die nicht dem Ausbildungszweck dienen, nur in einem zeitlich zu vernachlässigenden Ausmaß verrichtet, dass Praktikanten größere Freiheiten bei der zeitlichen Gestaltung der Anwesenheit im Betrieb eingeräumt wird und dass eine Lohnverpflichtung fehlt (RS0029510 [T5]). Charakteristisch ist auch die Ungebundenheit des Volontärs gegenüber dem Unternehmer (RS0029510). Dabei ist immer eine Gesamtbetrachtung entscheidend (RS0029510 [T5, T6]). Die Bezeichnung als Praktikum, Volontariat oder Ausbildungsverhältnis spielt bei der Beurteilung keine Rolle (Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm³ § 1151 ABGB Rz 154). Die rechtliche Qualifikation eines Vertrags hängt nicht vom Willen der vertragschließenden Teile und von der von ihnen gewählten Bezeichnung ab (RS0017814 [T6]).

[2] 2. Ersetzt der Praktikant aber (etwa) während der Urlaubszeit einen Arbeitnehmer, ist er ferner an die betriebliche Arbeitszeit gebunden, Weisungen unterworfen, in den Arbeitsprozess eingebaut und damit in den Betrieb eingegliedert, dann ist diese Beschäftigung ungeachtet ihrer Bezeichnung nicht als Praktikum, sondern als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren. Im Zweifel ist ein Praktikum nicht zu vermuten. Der Unternehmer ist daher dafür beweispflichtig, dass sich die von dem vorgeblichen Praktikanten ausgeübte Tätigkeit inhaltlich von der Tätigkeit der anderen bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer entsprechend unterscheidet (RS0029510).

[3] 3. Die Frage, ob ein Dienstverhältnis oder ein Praktikum zu Ausbildungszwecken vorliegt, lässt sich regelmäßig nur im konkreten Einzelfall beurteilen (RS0029510 [T3]; vgl auch RS0074214 [T4]). Die angefochtene Entscheidung, die ein Praktikum zu Ausbildungszwecken verneint und das Vertragsverhältnis als echtes Arbeitsverhältnis beurteilt, bewegt sich im Rahmen der dargestellten Grundsätze der Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen einem Praktikum und einem Arbeitsverhältnis. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zeigt die außerordentliche Revision der Beklagten nicht auf.

[4] 4. Nach den Feststellungen absolvierte der Kläger im Ausbildungszentrum der Beklagten eine Ausbildung zum medizinischen Masseur. Diese Ausbildung beinhaltet einen theoretischen und einen praktischen Unterricht im Ausmaß von 815 Unterrichtseinheiten und ein Berufspraktikum von 875 Unterrichtseinheiten. Die Parteien schlossen einen schriftlichen Ausbildungsvertrag, in dem vereinbart war, dass das Ausbildungsverhältnis unentgeltlich ist.

[5] Bereits nach einer 20 Minuten dauernden Probemassage führte der Kläger am ersten Tag seiner Beschäftigung acht Massagen durch. Danach nahm die Beklagte keine Überprüfung der Tätigkeit des Klägers mehr vor. Der Kläger arbeitete alleine ohne Aufsicht. In der Folge bekam der Kläger einen Zettel mit seinen Arbeitszeiten und erhielt jeden Tag in der Früh einen Plan mit den zu massierenden Patienten. Die Arbeitszeiten wechselten zweimal. Am Montag und Mittwoch hatte er von 8:30 Uhr bis 18:00 Uhr, am Dienstag und Donnerstag von 10:30 Uhr bis 19:00 Uhr und am Freitag von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr Dienst. An den Tagen, an denen der Kläger nicht im Betrieb anwesend war (Prüfung, Zahnarzttermin, Geburtstag) gab er dies der Beklagten vorher bekannt. Ein Urlaubsansuchen musste er nicht stellen.

[6] 5. Richtig ist zwar, dass eine Koordination eines vielseitigen Einsatzes eines Auszubildenden durch einen Dienstplan nicht grundsätzlich gegen die Annahme eines Praktikums spricht, doch hat hier die Beklagte den Kläger während der gesamten Dauer des Ausbildungsverhältnisses wie einen anderen bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer eingesetzt. Zutreffend ist auch, dass die Verwertbarkeit von Arbeitsergebnissen dem Lern- und Ausbildungscharakter einer Tätigkeit nicht von vornherein entgegensteht. Im Anlassfall wurde der Kläger bei der Beklagten aber nicht ausgebildet und die Beklagte hat daher auch nicht die im Zuge der Ausbildung erfolgten Arbeitsergebnisse des Klägers verwertet, sondern sich der Tätigkeit einer – ihrer Ansicht nach – „unentgeltlichen“ Arbeitskraft bedient. Die Patienten der Beklagten bezahlten für die Behandlungen des Klägers gleich viel, wie sie einem Arbeitnehmer der Beklagten bezahlen hätten müssen. Die Beklagte klärte ihre Patienten auch nicht darüber auf, dass sie von einem Praktikanten massiert werden.

[7] 6. Auch die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die Parteien hätten im Vertrag nur für ein Ausbildungsverhältnis Unentgeltlichkeit vereinbart, nicht aber für das tatsächlich in der Folge gelebte echte Arbeitsverhältnis, weshalb dem Kläger ein angemessenes Entgelt gemäß § 1152 ABGB zustehe, ist nach den konkreten Umständen des Falls nicht korrekturbedürftig. Auch in diesem Zusammenhang zeigt die außerordentliche Revision der Beklagten keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[8] Die außerordentliche Revision der Beklagten ist daher zurückzuweisen.

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