OGH 5Ob3/23m

OGH5Ob3/23m31.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der 1. mj M*, geboren am *, wohnhaft beim Vater M*, dieser vertreten durch Mag. Markus Maché, Rechtsanwalt in Wien, 2. mj L*, geboren am *, wohnhaft bei der Mutter I*, diese vertreten durch Mag. Elisabeth Freilinger‑Gößler, Rechtsanwältin in Wilhelmsburg, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 23. November 2022, GZ 23 R 379/22s‑180, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00003.23M.0131.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Seit der einvernehmlichen Scheidung der Ehe der Eltern am 11. 7. 2018 kam den Eltern die gemeinsame Obsorge für beide Töchter zu. Der überwiegende Aufenthalt von M* war im Haushalt des Vaters, derjenige von L* im Haushalt der Mutter. Mit Beschluss des Erstgerichts vom 21. 12. 2020 wies dieses von beiden Eltern gestellte Anträge ab, ihnen jeweils die Obsorge für beide Töchter allein zuzuweisen. Das Erstgericht trug den Eltern eine Elternberatung im Ausmaß von 15 Einheiten auf, die aber nicht stattfand, weil die Eltern unterschiedliche Beratungsstellen aufsuchten und keiner der beiden bereit war, diejenige des anderen zu akzeptieren. Aufgrund ständiger Eingaben und Vorwürfe des Vaters, in der er der Mutter Fehlverhalten vorwarf, stellte diese die Kommunikation mit ihm weitgehend ein. Die eingeschränkte Bindungstoleranz des Vaters besserte sich nicht, was zu einer Überidentifizierung von M* mit dem Vater samt Überdistanzierung gegenüber der Mutter führte und bei L* einen – noch leichten – Loyalitätskonflikt erzeugte.

[2] Das Erstgericht hob die gemeinsame Obsorge beider Eltern auf und übertrug dem Vater für M* und der Mutter für L* jeweils die Obsorge allein. Weitere Anträge des Vaters (unter anderem auf Abänderung des Kontaktrechts zu L*) wies es ab bzw zurück.

[3] Die Obsorgeregelung betreffend M* ist in Rechtskraft erwachsen.

[4] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung betreffend die Obsorgeregelung für L* und hob die erstinstanzliche Entscheidung insoweit auf, als der Antrag des Vaters auf Einräumung eines gleichteiligen Regelkontaktrechts abgewiesen wurde.

[5] Den Revisionsrekurs zum bestätigenden Teil seiner Entscheidung ließ es nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der dagegen gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[7] 1.1. Ist die Obsorge endgültig geregelt, so kann nach § 180 Abs 3 ABGB jeder Elternteil, sofern sich die Verhältnisse maßgeblich geändert haben, bei Gericht eine Neuregelung der Obsorge beantragen. Dies gilt sowohl für Fälle, in denen die Obsorge durch Gerichtsbeschluss als auch für solche, in denen sie mit einer Vereinbarung vor Gericht geregelt wurde (5 Ob 185/19w mwN; RIS‑Justiz RS0128809 [T3]).

[8] 1.2. Die nachträgliche Änderung einer bestehenden Obsorgeregelung setzt keine Gefährdung des Kindeswohls voraus. Die Änderung der Verhältnisse muss aber derart gewichtig sein, dass das zu berücksichtigende Postulat der Erziehungskontinuität in den Hintergrund tritt (RS0132056; RS0128809 [T5]).

[9] 1.3. Dies kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und wirft im Allgemeinen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf, es sei denn, es wurde dabei auf das Kindeswohl nicht ausreichend Bedacht genommen (RS0115719). Dies ist hier nicht der Fall.

[10] 1.4. Dass sich die Kommunikationsbasis zwischen den Eltern trotz Elternberatung weiter verschlechtert hat bzw gar nicht mehr vorhandenist, gesteht der Revisionsrekurswerber zu (wenn er auch die Ursache nur bei der Mutter sucht). Diesen Umstand im Zusammenhang mit der unverändert oder sogar verstärkt zutage getretenen mangelnden Bindungstoleranz des Vaters und deren Auswirkungen auf beide Töchter – so den bereits eingetretenen Loyalitätskonflikt von L* – als so gewichtige Veränderungen zu werten, dass dies eine Neubewertung der Obsorgeregelung erfordert, bedarf keiner Korrektur im Einzelfall.

[11] 2.1. Seit dem KindNamRÄG 2013 soll die Obsorge beider Elternteile zwar (eher) der Regelfall sein (RS0128811). Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern setzt allerdings nach ständiger Rechtsprechung (RS0128812) ein gewisses Mindestmaß an Kooperations‑ und Kommunikationsfähigkeit beider Eltern voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Es ist notwendig, dass Erziehungs‑ und Betreuungsmaßnahmen besprochen werden, die Bedürfnisse und Wünsche des Kindes möglichst übereinstimmend beurteilt werden und sich die darauf beziehenden Entscheidungen der Elternteile nicht regelmäßig widersprechen (5 Ob 185/19w mwN). Zu beurteilen ist daher, ob bereits jetzt eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder ob zumindest in absehbarer Zeit mit einer solchen gerechnet werden kann (RS0128812).

[12] 2.2. Auch die nach diesen Grundsätzen gebotene Beurteilung, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden oder in absehbarer Zeit zu erwarten ist, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls erfolgen und wirft im Allgemeinen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf (RS0128812 [T5, T15, T19]). Eine ausnahmsweise zur Wahrung des Kindeswohls aufzugreifende Fehlbeurteilung des Rekursgerichts zeigt der Revisionsrekurswerber nicht auf. Die im Zusammenhang damit geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor oder sind nicht entscheidungsrelevant.

[13] 2.3. Dass die Mutter die Kommunikation mit dem Vater (weitgehend) eingestellt hat, haben die Vorinstanzen berücksichtigt. Der Vater lässt allerdings außer Acht, dass sie dies – aus dem Akteninhalt nachvollziehbar – damit begründeten, dass er die Mutter mit ständigen Vorwürfen und Eingaben überschüttete und für sie sogar die Beigebung eines Erwachsenenvertreters anregte. Ihre daraus ableitbareÜberlegung, die Mutter habe die weitere Kooperation nicht schuldhaft verweigert (vgl RS0128812 [T11]), ist daher nicht zu beanstanden. Von einem „Erzwingen der Alleinobsorge durch die Mutter aufgrund Gesprächsabbruchs“ im Sinn der Erwägungen zu 6 Ob 41/13d kann keine Rede sein.

[14] 2.4. Das Argument des Vaters, die Mutter habe sich geweigert, die gerichtlich angeordnete Erziehungsberatung zu absolvieren, widerspricht dem festgestellten Sachverhalt. Insoweit ist sein Zulassungsantrag nicht gesetzesgemäß ausgeführt.

[15] 2.5. Entgegen der Auffassung des Revisionsrekurswerbers reichen die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen nicht nur zur abschließenden Beurteilung der Frage der (fehlenden) Kooperations‑ und Kommunikationsfähigkeit der Eltern aus; sie ermöglichen auch die Entscheidung, welchem Elternteil die Obsorge für welche Tochter übertragen werden soll. Dass die unverändert gegebene Einschränkung der besonderen Erziehungsfähigkeit des Vaters im Bereich der Bindungstoleranz, die schon zu einem Loyalitätskonflikt von L* geführt hat, es notwendig macht, die Obsorge für sie allein der Mutter zuzuweisen, bewegt sich im Rahmen des bei der Regelung der Obsorge bestehenden Beurteilungsspielraums.

[16] 3.1. Auch im Außerstreitverfahren ist der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz (RS0007236). Die Unrichtigkeit von Tatsachenfeststellungen kann der Revisionsrekurswerber daher nicht mit Erfolg geltend machen. Präziserer Feststellungen zu Kontaktrechtsverweigerungen betreffend L* bedurfte es nicht, weil das Erstgericht diese – wenn auch im Rahmen der rechtlichen Beurteilung – ohnedies berücksichtigte, aber im Rahmen der bei Obsorgeentscheidungen erforderlichen Gesamtabwägung und Zukunftsprognose davon ausging, dass Urlaube der Mutter mit L* außerhalb der konkret geregelten Ferienzeiten aufgrund ihres Schulbesuchs nicht mehr in Betracht kommen. Warum nur aufgrund des Umstands, dass die Mutter nicht bereit war, während behördlich angeordneter Quarantänezeiten wegen COVID‑19 L* zum Vater zu bringen, eine abweichende rechtliche Beurteilung geboten sein sollte, stellt der Revisionsrekurswerber nicht nachvollziehbar dar.

[17] 3.2. Soweit der Revisionsrekurswerber von der Mutter verweigerte Telefonate zwischen L* und ihm ins Treffen führt, so liegen hiezu tatsächlich keine Feststellungen des Erstgerichts vor. Diese sind aber für die hier zu beurteilende Frage der Obsorgezuteilung nicht relevant. Selbst wenn man ihre Richtigkeit unterstellen wollte, könnte dadurch zwar allenfalls eine – mittlerweile – auch bei der Mutter geringere Bindungstoleranz zum Ausdruck kommen, die aber bei einer Gesamtabwägung insbesondere der massiven Bindungsintoleranz des Revisionsrekurswerbers selbst, die seit jeher besteht und zu massiven Vorwürfen gegenüber der Mutter führte, kein Grund wäre, nur deshalb an der gemeinsamen Obsorge der Eltern festzuhalten. Diese könntevielmehr aufgrund der mittlerweile nachhaltig und massiv beeinträchtigten Kommunikations‑ und Kooperationsbereitschaft, an der auch Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG nichts ändern konnten, auch dann nicht mehr sinnvoll ausgeübt werden, wenn die vermissten Feststellungen getroffen worden wären. Die Frage, ob eine vom Vater beantragte Ausdehnung der Kontakte dem aktuellen Wunsch und dem Wohl von L* entspricht, wird aufgrund der Teilaufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung im weiteren Verfahren ohnedies noch zu klären sein.

[18] 4. Damit war der Revisionsrekurs zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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