OGH 5Ob185/19w

OGH5Ob185/19w18.12.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen U*, geboren am * 2011, wohnhaft bei ihrem Vater Dkfm. C*, vertreten durch Dr. Helene Klaar, Dr. Norbert Marschall Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Obsorge und Kontaktrechts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter J*, vertreten durch die Neulinger Mitrofanova Čeović Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. September 2019, GZ 44 R 249/19x-173, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127074

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Ehe der Eltern der Minderjährigen wurde am 10. 12. 2015 gemäß § 55a EheG geschieden. Im Scheidungsvergleich vereinbarten die Elternteile den Fortbestand der gemeinsamen Obsorge mit hauptsächlichem Aufenthalt des im Jahr 2011 geborenen Kindes bei der Mutter und ein näher geregeltes Kontaktrecht des Vaters.

Über dessen Antrag übertrug das Erstgericht dem Vater mit Beschluss vom 20. 4. 2017 vorläufig die alleinige Obsorge über die Minderjährige. Der Mutter räumte das Erstgericht in der Folge jeweils näher geregelte Kontaktrechte, zuletzt eines alle 14 Tage von Freitag bis Mittwoch ein.

Mit Beschluss vom 11. 4. 2019 übertrug das Erstgericht die Obsorge über die Minderjährige endgültig dem Vater alleine (Punkt 1.). Der Mutter räumte es ein Kontaktrecht alle 14 Tage von Freitag bis Donnerstag ein (Punkt 2.).

Das Rekursgericht wies den Rekurs der Mutter teilweise als unzulässig zurück (keine Beschwer hinsichtlich Punkt 2.) und gab ihm im Übrigen nicht Folge. Dem Rekurs des Vaters gegen Punkt 2. der Entscheidung des Erstgerichts gab das Rekursgericht hingegen Folge und wies den Antrag der Mutter auf Ausdehnung des Kontaktrechts ab.

Gegen diesen Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 62 Abs 1 AußStrG ist gegen einen im Rahmen des Rekursverfahrens ergangenen Beschluss der Revisionsrekurs nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt. Das gilt auch für die Zurückweisung eines Rekurses mangels Beschwer (RIS-Justiz RS0120974; RS0120565 [T4]). Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG zeigt der Revisionsrekurs der Mutter nicht auf.

1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG).

2.1. Ist die Obsorge endgültig geregelt, so kann nach § 180 Abs 3 ABGB jeder Elternteil, sofern sich die Verhältnisse maßgeblich geändert haben, bei Gericht eine Neuregelung der Obsorge beantragen. § 180 Abs 3 ABGB gilt sowohl für Fälle, in denen die Regelung der Obsorge durch Gerichtsbeschluss als auch für solche, in denen sie mit einer Vereinbarung vor Gericht erfolgte (7 Ob 77/19b mwN; RS0128809 [T3]).

2.2. Die nachträgliche Änderung einer bestehenden Obsorgeregelung setzt zwar anders als eine Sicherungsverfügung nach § 181 ABGB keine Gefährdung des Kindeswohls voraus. Die Änderung der Verhältnisse muss aber derart gewichtig sein, dass das zu berücksichtigende Postulat der Erziehungskontinuität in den Hintergrund tritt (RS0132056; RS0127207 [T4]; RS0128809 [T5]).

2.3. Diese Beurteilung kann nur nach den Umständen des Einzelfalls erfolgen und begründet im Allgemeinen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG, es sei denn, es wurde dabei auf das Kindeswohl nicht ausreichend Bedacht genommen (RS0115719). Eine solche Fehlbeurteilung zeigt die Revisionsrekurswerberin hier nicht auf. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass die Diagnose des Diabetes mellitus und die damit verbundenen Auswirkungen auf das Leben und den Alltag des Kindes, aber auch beider Elternteile, die mittlerweile erfolgte Einschulung, die Geburt eines Halbbruders, der fortwährende Konflikt auf Elternebene mit Auswirkungen auf das Kind im Sinn eines Loyalitätskonflikts und der aufgrund einer einstweiligen Verfügung erfolgte Wechsel des Hauptaufenthaltsorts so gewichtige Veränderungen seien, dass sie eine Neubewertung der Obsorge erforderten, ist nicht korrekturbedürftig. Insbesondere liegen die auch in diesem Zusammenhang behaupteten sekundären Feststellungsmängel im Hinblick auf den ausdrücklich festgestellten und/oder nach der Aktenlage unstrittigen Sachverhalt nicht vor.

3.1. Seit dem KindNamRÄG 2013 soll die Obsorge beider Elternteile zwar (eher) der Regelfall sein (RS0128811). Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern setzt allerdings ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen (RS0128812). Es ist notwendig, dass Erziehungs- und Betreuungsmaßnahmen besprochen werden, die Bedürfnisse und Wünsche des Kindes möglichst übereinstimmend beurteilt werden und sich die darauf beziehenden Entscheidungen der Elternteile nicht regelmäßig widersprechen (7 Ob 9/19b mwN). Es ist also eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob bereits jetzt eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder ob zumindest in absehbarer Zeit mit einer solchen gerechnet werden kann (RS0128812). Ein Grundsatz, wonach eine Kommunikation der Eltern per SMS und E‑Mail für eine sinnvolle Ausübung einer beiderseitigen Obsorge nicht genüge, besteht dabei freilich nicht. Vielmehr kommt es für eine verantwortungsvolle Kommunikation in erster Linie auf die jeweilige Bereitschaft zum Informationsaustausch an und nicht auf die Art der Nachrichtenübermittlung (RS0128812 [T17, T21, T22]).

3.2. Die nach diesen Grundsätzen vorzunehmende Beurteilung, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden oder in absehbarer Zeit zu erwarten ist, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls erfolgen und begründet im Allgemeinen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG (RS0128812 [T5, T15, T19]; vgl RS0115719). Eine ausnahmsweise zur Wahrung des Kindeswohls aufzugreifende Fehlbeurteilung des Rekursgerichts zeigt die Revisionsrekurswerberin nicht auf. Das Erstgericht stellte fest, dass die Beziehung zwischen den Eltern sehr konfliktreich ist. Der Austausch über Alltägliches funktioniert (nur) zeitweise und jener über die Vorgehensweise im Hinblick auf das Diabetes-Management (nur), sofern es sich um eine potentiell lebensbedrohliche Situation handelt und die Mutter die Hilfe des Vaters benötigt. Sonst ist die seit Jahren nahezu ausschließlich über WhatsApp erfolgende Kommunikation sehr konfliktbehaftet und laufend von Vorwürfen unterwandert. Mehrere Mediationen wurden nach wenigen Terminen abgebrochen. Im Moment ist das Konfliktniveau so hoch, dass eine Mediation nicht möglich ist. Trotz des Bemühens des Vaters, eine sachliche Kommunikationsbasis herzustellen, reagiert die Mutter bei Uneinigkeit und jeglicher Art von Konflikten emotional und sehr impulsiv. Sie gerät relativ rasch in eine Situation der Überforderung, wenn es zu Problemen kommt. Sie sieht kaum einen eigenen Anteil am Konflikt und versucht ihren eigenen Standpunkt durch Drohungen und Abwertungen ihres Gegenübers durchzusetzen. Damit schürt sie Konflikte und zerstört nachhaltig Beziehungen, nicht nur zum Vater, sondern auch zu für die Minderjährige wichtigen Institutionen. Die Kommunikation zwischen den Eltern wird sich in naher Zukunft auch nicht verbessern. Diese Feststellungen untermauerte das Erstgericht mit zahlreichen Beispielen. Dass das Rekursgericht auf Grundlage dieser Feststellungen und den aktenkundigen gerichtlichen Auseinandersetzungen um einzelne Obsorgemaßnahmen das für die sinnvolle Ausübung der gemeinsamen Obsorge erforderliche Mindestmaß an aktueller oder zukünftiger Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit verneinte, bedarf keiner Korrektur. Insbesondere ist naheliegend, dass das partielle Funktionieren der Kommunikation und Kooperation in Bezug auf das Diabetes-Management hier auf den Sachzwang, den drohenden Gesundheitsgefahren für das Kind zu begegnen, zurückzuführen ist und daraus daher bei lebensnaher Betrachtung nicht auf die Möglichkeit einer entsprechenden Kooperation und Kommunikation in anderen, nicht lebensbedrohlichen Angelegenheiten der Obsorge geschlossen werden kann. Angesichts des bisherigen Elternverhaltens hätte vielmehr auch die Anordnung von Maßnahmen iSd § 107 Abs 3 AußStrG zur Verbesserung der Gesprächssituation und Herstellung einer ausreichenden Kommunikationsbasis keine ausreichende Aussicht auf Erfolg (vgl RS0132054; RS0128812 [T20]). Nach den Feststellungen des Erstgerichts ist es entgegen der Behauptung der Mutter auch nicht der die Alleinobsorge anstrebende Vater, der die Kooperation und Kommunikation schuldhaft verweigert oder erschwert (vgl RS0128812 [T11]).

3.3. Entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerberin reichen die vom Erstgericht zusätzlich zu dem im Verfahren vor dem Erstgericht unstrittigen Sachverhalt getroffenen Feststellungen nicht nur zur abschließenden Beurteilung der Frage der (fehlenden) Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Elternteile aus; diese ermöglichen auch die Entscheidung, welchem Elternteil die Obsorge übertragen werden soll. Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass die Obsorge durch den Vater hier dem Wohl des Kindes entspricht, bewegt sich auf Basis dieses feststehenden Sachverhalts im Rahmen des bei der Regelung der Obsorge bestehenden Beurteilungsspielraums.

4. Die Entscheidung über das Kontaktrecht ist eine Ermessensentscheidung, für die das Wohl des Kindes ausschlaggebend ist (RS0087024). Sie hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, weshalb ihr grundsätzlich keine erhebliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zukommt, sofern nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt wurden (RS0087024 [T6, T9]). Dass dies der Fall wäre, vermag die Revisionsrekurswerberin nicht aufzuzeigen.

5. Mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs daher unzulässig und zurückzuweisen.

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