European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00220.22X.0131.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Bestandrecht, Wohnungseigentumsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der 5.‑, 7.‑, 8.‑ und 9.‑klagenden Partei die mit 1.000,15 EUR (darin 166,69 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Streitteile sind Miteigentümer einer Liegenschaft verbunden mit Wohnungseigentum an darauf errichteten Wohnhäusern. Die 12.‑Klägerin hat die Wohnhausanlage als Alleineigentümerin 1997 erbaut. Die späteren Wohnungseigentümer bewohnten ihre Objekte zunächst als Mieter. Die Beklagte unterfertigte den Kauf‑ und Wohnungseigentumsvertrag zum Erwerb ihres Objekts am 20. 12. 2006. Grundbücherlich einverleibt wurde das Wohnungseigentum erst am 28. 4. 2008.
[2] Da die Elektroheizung in der Wohnung der Beklagten defekt wurde, fragte sie am 23. 10. 2007 bei der 12.‑Klägerin um deren Zustimmung an, sie durch eine Pelletsheizung zu ersetzen, Kollektoren auf dem Flachdach zu errichten und den als allgemeiner Teil gewidmeten Schutzraum für die Errichtung eines Pelletslagers und zur Unterbringung der technischen Einrichtung zu verwenden.
[3] Die 12.‑Klägerin – deren Wohnungseigentumsorganisatoreneigenschaft im Revisionsverfahren nicht mehr strittig ist – sowie vier weitere (damals noch künftige) Mit‑ und Wohnungseigentümer stimmten diesem Vorhaben zu. Die Zustimmung aller (aufgrund des Wohnungseigentumsvertrags bereits bekannter) künftiger Mit‑ und Wohnungseigentümer holte die Beklagte nicht ein. Sie ließ die Pelletsheizanlage durch einen Professionisten errichten und Leitungen, Heizungsrohre und Stromleitungen von den Solarkollektoren auf dem Dach und durch die Kellerdecke vom Pelletslager jeweils in ihre Wohnung verlegen. Kenntnis davonerlangten die übrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer frühestens im Jahr 2018.
[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Entfernung der Solarkollektoren auf dem Dach sowie des im Schutzraum errichteten Pelletslagers samt aller Leitungen ab.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte – rechtskräftig – die Abweisung dieses Begehrens in Ansehung der 12.‑Klägerin. Hinsichtlich der 5.‑, 7.‑, 8‑ und 9.‑klagenden Parteien gab es dem Entfernungsbegehren in Abänderung des Ersturteils statt. Zwar habe die Beklagte von der 12.‑Klägerin als Wohnungseigentumsorganisatorin ein Recht zur Nutzung des Pelletslagers und der Dachfläche eingeräumt erhalten, die verbliebenen Kläger seien aber berechtigt, die sich aus § 38 Abs 1 Z 1 WEG ergebende Rechtsunwirksamkeit dieser Vereinbarung geltend zu machen.
[6] Den Entscheidungsgegenstand bewertete das Berufungsgericht mit 5.000 EUR übersteigend. Die ordentliche Revision ließ es zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle, ob ein Wohnungseigentumsorganisator zu einem Zeitpunkt, in dem Wohnungseigentum in Vorbereitung, aber noch nicht begründet bzw im Grundbuch angemerkt sei, mit einem Altmieter einer Wohnungseigentumseinheit zu dessen Gunsten Vereinbarungen treffen könne, die nach Begründung von Wohnungseigentum bzw Anmerkung des Wohnungseigentums im Grundbuch nicht § 38 WEG unterliegen.
[7] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, in der sie die Wiederherstellung der abweisenden Entscheidung des Erstgerichts anstrebt und hilfsweise einen Aufhebungsantrag stellt.
[8] Die 5.‑, 7.‑, 8.‑ und 9.‑klagenden Parteien beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruchs des Berufungsgerichts – nicht zulässig, sie kann keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen.
[10] 1.1. Gemäß § 38 Abs 1 WEG 2002 sind Vereinbarungen oder Vorbehalte, die geeignet sind, die dem Wohnungseigentumsbewerber oder Wohnungseigentümer zustehenden Nutzungs‑ oder Verfügungsrechte aufzuheben oder unbillig zu beschränken, rechtsunwirksam. Dazu zählen insbesondere (Z 1) von Wohnungseigentumsorganisatoren vereinbarte Mietverträge oder Nutzungsvorbehalte über Teile der Liegenschaft, die sich nur als Zubehörobjekte iSd § 2 Abs 3 WEG eignen oder an denen Wohnungseigentum nicht bestehen kann. Dies betrifft insbesondere allgemeine Teile der Liegenschaft nach § 3 Abs 3 WEG 2002. Die Geltendmachung der Rechtsunwirksamkeit von Mietverträgen und Nutzungsvorbehalten nach § 38 Abs 1 Z 1 WEG 2002 steht jedem Wohnungseigentumsbewerber und auch jedem späteren Wohnungseigentümer zu (RIS‑Justiz RS0083427).
[11] 1.2. § 38 Abs 1 WEG kommt – die Bestimmung unterscheidet nicht – auch bei nachträglicher Wohnungseigentumsbegründung an einem bereits bezogenen Gebäude zur Anwendung. Während die Vorgängerbestimmung des § 23 Abs 1 WEG 1975 idF 3. WÄG 1994 BGBl 1993/800 nach ihrem Wortlaut die Rechtsfolge des § 24 Abs 1 Z 1 WEG 1975 in solchen Fällen ausschloss, hielt es der Gesetzgeber des WEG 2002 im Hinblick darauf, dass die Nichtigkeitssanktion des § 38 Abs 1 WEG 2002 nur unbillige, einer vernünftigen Interessensabwägung widersprechende Beschränkungen der den Wohnungseigentumsbewerbern oder Wohnungs-eigentümern nach dem Gesetz zustehenden Rechte betrifft, für entbehrlich, eine Sonderregelung für bereits bestehende oder bezogene Bauten zu erlassen (vgl EBRV 989 BlgNR 21. GP 79). Nach dem Ausschussbericht sollte aber dann, wenn ein Gebäude schon seit Jahrzehnten besteht und von Mietern oder sonstigen Nutzungsberechtigten nach dem Regime des MRG oder des WEG benützt wird, die Formulierung dieser Bestimmung als etwas zu weit – wie von der Rechtsprechung schon bisher – einschränkend ausgelegt werden (AB 1050 21. GP 14 f; Vonkilch in Hausmann/Vonkilch WEG4 § 38 WEG Rz 4, 18).
[12] 1.3. Absicht des Gesetzgebers schon des § 24 Abs 1 WEG 1975 und des § 38 Abs 1 WEG 2002 war es, alle Rechtsgeschäfte zu erfassen, die der Wohnungseigentumsorganisator (noch) unter Ausnutzung seiner Vertragsübermacht abschließt oder deren Abschluss durch Wohnungseigentumsbewerber, Wohnungseigentümer oder der Eigentümergemeinschaft er veranlasst (5 Ob 26/17k). Grund dafür ist die wirtschaftliche, organisatorische und wissensmäßige Übermacht des Wohnungseigentumsorganisators (5 Ob 50/18s; RS0083359 [T1]).
[13] 1.4. Voraussetzung der Rechtsunwirksamkeit einer Vereinbarung gemäß § 38 WEG ist aber jedenfalls, dass dadurch eine unbillige, einer vernünftigen Interessensabwägung widersprechende Aufhebung oder Beschränkung von Nutzungs‑ und Verfügungsrechten der Wohnungseigentümer bewirkt wurde (RS0075734; RS0083359 [T2]). § 38 Abs 1 WEG bezieht sich nur auf unbillige Aufhebungen oder Beschränkungen, die ein Wohnungseigentumsbewerber bei Gleichgewicht der Vertragslage nicht auf sich nehmen würde (RS0083371).
[14] 1.5. Dass Mietverträge des Wohnungseigentumsorganisators mit einzelnen Wohnungseigentumsbewerbern über Abstellplätze auf einem allgemeinen Teil der Liegenschaft ebenso § 38 Abs 1 Z 1 WEG unterliegen (vgl RS0013567) wie vom (seinerzeitigen) Wohnungseigentumsorganisator eingeräumte Bestandrechte der nunmehrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer an Kellerräumlichkeiten bei Bevorzugung einzelner Wohnungseigentumsbewerber (RS0107465), ist ständige Rechtsprechung des Fachsenats. Mietverträge und Nutzungsvorbehalte hinsichtlich allgemeiner Teile der Liegenschaft fallen ja unter den in § 38 Abs 1 Z 1 WEG aufgezählten und daher grundsätzlich verdächtigen Vertragstyp. Diesfalls trifft den Wohnungseigentumsorganisator die Beweislast, dass der Vereinbarung im Anlassfall keine Beschränkungseignung zukommt (RS0040166; 5 Ob 45/10v; 5 Ob 26/17k).
[15] 1.6. Ob eine konkrete Vereinbarung als unbillige Aufhebung oder Beschränkung der Rechte des Wohnungseigentumsbewerbers unter die Generalklausel des § 38 Abs 1 WEG oder eine der Fallgruppen der Z 1 bis Z 5 leg cit fällt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und wirft daher nur dann eine erhebliche Rechtsfrage auf, wenn von den in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hiezu entwickelten Grundsätze abgewichen wurde (vgl 5 Ob 50/18s). Dies ist hier nicht der Fall.
[16] 2.1. Zu der vom Berufungsgericht in der Zulassungsbegründung genannten Rechtsfrage ist in Rechtsprechung (5 Ob 51/08y; 5 Ob 45/10v) und Lehre (Vonkilch in Hausmann/Vonkilch,Österreichisches Wohnrecht4 § 38 WEG Rz 18) anerkannt, dass auch bei nachträglicher Wohnungseigentumsbegründung in einem bereits bestehenden oder bezogenen Gebäude Vereinbarungen nach § 38 Abs 1 Z 1 WEG 2002 unwirksam sein können. Dies ist dann der Fall, wenn diese Vereinbarungen nicht bloß die Wahrung von bestehenden Rechten bezwecken, sondern die Wohnungseigentumsbegründung vom Wohnungseigentumsorganisator erst zum Anlass genommen wird, gewisse Nutzungsvorbehalte zu begründen, die dann die Rechtsposition des späteren Wohnungseigentümers unbillig beeinträchtigen.
[17] 5 Ob 51/08y sprach dies zur Vereinbarung der ausschließlichen Nutzung des Innenhofs als Gastgarten aus.
[18] 5 Ob 45/10v betraf einen Nutzungsvorbehalt der früheren Liegenschaftseigentümerin betreffend einen allgemeinen Teil zwecks Errichtung einer Mobilfunkanlage. Der Fachsenat sah im zeitlichen Konnex zwischen dem Abschluss des Nutzungsvertrags mit dem Mobilfunkbetreiber und der Veräußerung der Liegenschaft unter Nutzungsvorbehalt ein Indiz dafür, dass sich die Rechtsvorgängerin der Klägerin in Zusammenwirken mit der Wohnungseigentumsorganisatorin aus Anlass der Veräußerung Rechte und Erträgnisse vorzubehalten versuchte, die die Rechte von Wohnungseigentümern beschränken sollten.
[19] Dass § 38 Abs 1 WEG 2002 grundsätzlich auch auf Vereinbarungen zwischen dem Wohnungseigentumsorganisator und einem Altmieter angewendet werden kann, ist daher durch höchstgerichtliche Rechtsprechung bereits geklärt.
[20] 2.2. Hier diente die Vereinbarung zwischen der 12.‑Klägerin und der Beklagten jedenfalls nicht dem – nicht verpönten – Zweck, schon zuvor bestehende Nutzungsrechte der Mieterin an allgemeinen Teilen in entsprechende Rechte nach dem WEG 2002 umzuwandeln. Dass die alleinigen Nutzungsrechte an sie im Stadium der Wohnungseigentumsbegründung eingeräumt wurden, lässt sich dem Sachverhalt eindeutig entnehmen, zumal sie den Kauf‑ und Wohnungseigentumsvertrag zum Erwerb ihres Objekts bereits vor Abschluss der Vereinbarung mit der 12.‑Klägerin abgeschlossen hatte. Dass diese daher nicht nur als Vermieterin, sondern als Wohnungseigentumsorganisatorin handelte, ergibt sich auch aus dem Umstand, dass der Beklagten bewusst war, dass sie die Zustimmung weiterer Wohnungseigentumsbewerber einholen werde müssen und dass der Vertreter der 12.‑Klägerin sie darauf – wenn auch rechtlich unpräzise – hinwies.
[21] 2.3. Dass die Beschränkungen des § 38 Abs 1 WEG 2002 erst gelten, nachdem eine Anmerkung nach § 40 Abs 2 WEG 2002 erfolgte, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen, das nur die Wohnungseigentumsorganisatoren- und -bewerbereigenschaft verlangt. Auf die Anmerkung abzustellen, würde im Übrigen die Umgehung des § 38 Abs 1 WEG 2002 wesentlich erleichtern, was Sinn und Zweck dieser Bestimmung widerspricht.
[22] 2.4. Dass die Einräumung eines unentgeltlichen Nutzungsrechts an allgemeinen Teilen wie dem Dach und dem Schutzraum hier § 38 Abs 1 Z 1 WEG 2002 unterliegt, ist keine Fehlbeurteilung, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte. Der Beweis fehlender Beschränkungseignung der Vereinbarung ist der Beklagten nach der nicht zu beanstandenden Auffassung des Berufungsgerichts nicht gelungen und die für die Beurteilung der Beeinträchtigung als „unbillig" herangezogenen Überlegungen sind nicht korrekturbedürftig. Abgesehen von der Unentgeltlichkeit der Nutzung kann eine unbillige Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der übrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer durchaus aus der Widmung des nun als Pelletslager verwendeten Kellerraums als Schutzraum und damit allgemeinen Teil abgeleitet werden – dies unabhängig davon, ob die Bgld Schutzraumverordnung LGBl 27/1985 (vgl § 1 leg cit) eine baubehördliche Verpflichtung zu dessen Errichtung vorsieht oder nicht.
[23] 2.5. Die Entscheidung 8 Ob 93/19p ist nicht einschlägig, weil jedenfalls die 5.‑, 8.‑ und 9.‑klagende Partei bei Abschluss ihrer Kaufverträge im Dezember 2006 die erst ein Jahr danach begründeten Benutzungsverhältnisse nicht kennen konnten.
[24] 3. Die Revision war daher zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).
[25] 4. Da die klagenden Parteien auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen haben, hat die Beklagte ihnen die tarifgemäß verzeichneten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)