European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00230.22W.0117.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
I. Die außerordentliche Revision wird, soweit sie sich gegen den Zuspruch an die erstklagende Partei richtet, gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
II. Im Übrigen wird der Akt dem Erstgericht zurückgestellt.
Begründung:
[1] Die Klägerinnen erbringen sozialversicherungsrechtliche Leistungen an den im Jahr 2013 bei einem Verkehrsunfall schuldlos schwer verletzten Geschädigten. Die Beklagte hat als Kfz‑Haftpflichtversicherer des Unfallgegners zu haften.
[2] Die Erstklägerin begehrt die Zahlung von 16.160,88 EUR sA und die von ihr mit 16.000 EUR bewertete Feststellung der Haftung der Beklagten. Die Zweitklägerin fordert die Zahlung von 10.226,08 EUR sA und erhebt ein von ihr mit 10.000 EUR bewertetes Feststellungsbegehren.
[3] Das Berufungsgericht bestätigte das das Klagebegehren zur Gänze stattgebende und von der Beklagten auch zur Gänze angefochtene Urteil des Erstgerichts. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Beim Bewertungsausspruch orientierte es sich am von den Klägerinnen selbst angeführten Interesse an den Feststellungsbegehren, das nicht unangemessen erscheine. Die Legalzession der einheitlichen Verdienstentgangsansprüche des Geschädigten an die beiden Klägerinnen mache diese zu materiellen Streitgenossinnen und führe zur Zusammenrechnung nach § 55 JN.
Rechtliche Beurteilung
[4] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten.
I. Zur Zulässigkeit des Rechtsmittels
[5] 1. Nach der Rechtsprechung des Senats sind die auf Legalzessionen gestützten Ansprüche mehrerer Sozialversicherungsträger auf Ersatz von Leistungen an eine Hinterbliebene des Verunglückten für die Rechtsmittelzulässigkeit getrennt zu betrachten, weil es sich bei ihnen nicht, wie nach § 55 Abs 4 iVm Abs 1 Z 2 JN erforderlich, um materielle Streitgenossen handelt. Weder stehen sie in Rechtsgemeinschaft iSd § 11 Z 1 ZPO noch sind sie aus dem selben tatsächlichen Grund berechtigt, weil sie – wenn auch aufgrund eines einzigen Unfalls – aus verschiedenen Versicherungsverhältnissen Leistungen an die Witwe des Versicherten erbrachten. Bei den klagenden Streitgenossen treten damit jeweils noch weitere rechtserzeugende Tatsachen für die Ableitung ihrer Ansprüche hinzu (2 Ob 66/18x Punkt 3. mwN).
[6] Diese Erwägungen haben auch im vorliegenden Fall Geltung, in dem zwei Sozialversicherungsträger an den beim Unfall Verletzten jeweils Leistungen aufgrund eines einzigen Unfalls erbracht haben. Die Klägerinnen können damit nicht als materielle Streitgenossinnen angesehen werden, sodass eine Zusammenrechnung ihrer Ansprüche nach § 55 Abs 4 iVm Abs 1 Z 2 JN ausscheidet. Es bedarf daher im vorliegenden Fall getrennter Bewertungsaussprüche für die Ansprüche jeder Klägerin.
[7] 2. Eine Rückstellung des Aktes an das Berufungsgericht zur Ergänzung des Bewertungsausspruchs ist allerdings entbehrlich, weil dieses in seiner rechtlichen Beurteilung bereits festgehalten hat, die Bewertung der Feststellungsbegehren durch die Klägerinnen erscheine nicht unangemessen (vgl 1 Ob 190/16x Punkt I. mwN). Legt man der Bewertung des Entscheidungsgegenstands den von den Klägerinnen genannten und vom Berufungsgericht erkennbar gebilligten Streitwert der Feststellungsbegehren zu Grunde, so übersteigt der Wert des Entscheidungsgegenstands im Hinblick auf die Ansprüche der Erstklägerin 30.000 EUR, liegt jedoch im Hinblick auf jene der Zweitklägerin zwischen 5.000 EUR und 30.000 EUR.
[8] 3. Der Oberste Gerichtshof kann daher sogleich über die außerordentliche Revision entscheiden, soweit sie sich gegen den Zuspruch an die erstklagende Partei richtet.
[9] Soweit sich das Rechtsmittel gegen den Zuspruch an die zweitklagende Partei richtet, ist der Akt dem Erstgericht zurückzustellen. Die weitere Vorgehensweise ergibt sich aus § 508 ZPO.
II. Inhaltliche Ausführungen
[10] 1. Gemäß § 332 Abs 1 ASVG geht der Anspruch des Verletzten gegen den Schädiger nach dem Grundsatz der kongruenten Deckung insoweit auf den Sozialversicherungsträger über, als dieser an den Verletzten Leistungen zu erbringen hat (RS0030708). Der Rechtsübergang konkretisiert sich erst während des gesamten künftigen Schadensverlaufs der Höhe nach im Umfang des jeweiligen Ersatzanspruchs und des jeweiligen Sozialversicherungsanspruchs (2 Ob 226/07k mwN).
[11] Der Umfang des Forderungsübergangs und damit der Regressanspruch des Sozialversicherungsträgers ist also in zwei Dimensionen begrenzt, nämlich einerseits mit der Höhe des Schadenersatzanspruchs des Geschädigten und andererseits mit dem Anspruch des Geschädigten auf Leistungen gegenüber dem Sozialversicherungsträger (RS0030708 [T5]). Der Schadenersatzanspruch des Geschädigten bildet den Deckungsfonds, der selbständig nach den Grundsätzen des Haftpflichtrechts zu berechnen ist (RS0085365 [T2]).
[12] 2. Im vorliegenden Fall stellen die Ansprüche des Geschädigten auf unfallbedingten Verdienstentgang den Deckungsfonds dar. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass dem Geschädigten der hypothetisch erzielbare Nettoverdienst gebührt, wobei allerdings die Steuer‑ und sonstigen Abgabenverpflichtungen erneut zu berücksichtigen sind, die durch die Schadenersatzleistung selbst entstehen. Die Schadenersatzleistung ist daher so zu bemessen, dass sie unter Berücksichtigung der durch sie wieder entstehenden Abzüge dem Nettoschaden entspricht (vgl RS0022868).
[13] 3. Dass die Vorinstanzen der Erstklägerin als Legalzessionarin auch jene Steuern, die der Geschädigte im (fiktiven) Fall einer Direktzahlung an ihn leisten hätte müssen, zuerkannt haben, erweist sich unter Beachtung der dargestellten Rechtsprechung als jedenfalls vertretbar. Anzumerken bleibt, dass die von der Erstklägerin erbrachten Leistungen über den ihr nunmehr zugesprochenen Beträgen lagen.
[14] In der (in der Revision) zitierten Entscheidung 2 Ob 57/18y stellte eine Unterhaltsersatzrente, die keine Steuerpflicht auslöste, den Deckungsfonds dar. Damit unterscheidet sie sich auf Sachverhaltsebene vom hier zu lösenden Fall, in dem der Anspruch des Geschädigten auf Verdienstentgang den Deckungsfonds bildet. Da die Verdienstentgang kompensierende Leistung von Schadenersatz im vorliegenden Fall steuerbares Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit ersetzt, ist sie – anders als die Unterhaltsersatzrente in der Vorentscheidung – selbst steuerpflichtig (vgl § 25 und § 32 Abs 1 Z 1 lit a EStG).
[15] 4. Soweit die Beklagte argumentiert, ihr könne der Ersatz rein fiktiver Steuern nicht angelastet werden, ist sie darauf zu verweisen, dass der Anspruch der Erstklägerin ohnehin – wie bereits ausgeführt – doppelt begrenzt ist und die Beklagte auch im Fall direkter Leistung an den Geschädigten zum Ersatz der Steuern verpflichtet wäre.
[16] 5. Insgesamt zeigt die außerordentliche Revision der Beklagten, soweit sie sich gegen den Zuspruch an die erstklagende Partei richtet, damit keine erhebliche Rechtsfrage auf.
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