OGH 9Nc38/22w

OGH9Nc38/22w10.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer und den Hofrat Dr. Hargassner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M* AG, *, vertreten durch Dr. Stefan Krenn, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei D*, wegen 1.) 30.599,17 EUR sA und 2.) Feststellung (Streitwert: 1.000 EUR), über den Delegationsantrag der beklagten Partei, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0090NC00038.22W.0110.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache wird anstelle des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht das Landesgericht Feldkirch als Arbeits‑ und Sozialgericht bestimmt.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin begehrt vom Beklagten, einem früheren Dienstnehmer, die Rückzahlung von Provisionen infolge eines Verstoßes des Beklagten gegen nachvertragliche Treuepflichten sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche zukünftig entstehende Schäden – insbesondere aus zu viel bezahlten Provisionen – die ihren Ursprung im Dienstverhältnis der Streitteile haben.

[2] Der Beklagte bestreitet das Klagebegehren und insbesondere eine Verletzung nachvertraglicher Treuepflichten. Zum Beweis seines Vorbringens beantragt er ua seine Einvernahme als Partei sowie die Einvernahme von 49 Zeuginnen und Zeugen, die – ebenso wie der Beklagte – ihren Wohnsitz im Sprengel des Landesgerichts Feldkirch haben.

[3] Der Beklagte beantragte die Delegation der Rechtssache an das Landesgericht Feldkirch. Dies sei im Hinblick auf die Einvernahme der zahlreichen im Sprengel dieses Gerichts wohnhaften Zeuginnen und Zeugen sowie seiner Einvernahme als Partei, aber auch aufgrund des Umstands, dass sämtliche Angelegenheiten über die Geschäftsstelle in Dornbirn abgewickelt worden seien, zweckmäßig.

[4] Die Klägerin sprach sich gegen die Delegation des Verfahrens mit der Begründung aus, dass die Parteien im Dienstvertrag eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen hätten, sodass eine Delegation aus Zweckmäßigkeit nicht in Frage komme.

[5] Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht legte den Akt dem Obersten Gerichtshof mit der Mitteilung vor, dass die Delegierung für zweckmäßig erachtet werde.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der Delegierungsantrag des Beklagten ist berechtigt.

[7] Gemäß § 31 Abs 1 JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei anstelle des zuständigen Gerichts ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden. Eine Delegierung soll allerdings nur den Ausnahmefall darstellen. Keinesfalls soll durch eine zu großzügige Handhabung der Delegierungsmöglichkeiten eine faktische Durchbrechung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung hervorgerufen werden (RS0046441). Aus Zweckmäßigkeitsgründen soll die Delegierung vor allem dann angeordnet werden, wenn die Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht eine wesentliche Verkürzung, eine Kostenverringerung oder eine Erleichterung des Gerichtszugangs für die Beteiligten sowie der Amtstätigkeit zu bewirken verspricht (RS0046333). Die Delegierung gegen den Willen der anderen Partei ist daher nur dann auszusprechen, wenn die Frage der Zweckmäßigkeit eindeutig zu Gunsten aller Parteien des Verfahrens gelöst werden kann (RS0046589; RS0046324).

[8] Dies ist hier der Fall. Der Beklagte und die sehr zahlreichen, von ihm namhaft gemachten Zeugen haben ihren Wohnsitz im Sprengel jenes Gerichts, das gemäß Antrag des Beklagten zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden soll (vgl RS0046540). Da die Einvernahme vor dem erkennenden Gericht jener im Weg der Videokonferenz dann vorzuziehen ist, wenn – wie hier – praktisch das gesamte Beweisverfahren auf diese Weise durchgeführt werden müsste (RS0046333 [T38]), spricht die Zweckmäßigkeit der Delegierung eindeutig zugunsten beider Parteien (so zu einem vergleichbar gelagerten Fall schon 8 Nc 3/20p mwH).

[9] Eine Delegation gemäß § 31 JN ist zwar grundsätzlich ausgeschlossen wenn die Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen haben (RS0046198; RS0046172; Schneider in Fasching/Konecny I3 § 31 JN Rz 15 ff). Dies kommt hier aber nicht zum Tragen, weil die im Dienstvertrag der Streitteile getroffene Gerichtsstandsvereinbarung gegen § 9 Abs 1 ASGG verstößt. § 9 Abs 1 ASGG lässt eine Gerichtsstandsvereinbarung unter anderem in einer hier vorliegenden Streitigkeit nach § 50 Abs 1 Z 1 ASGG nur für einen „bestimmten einzelnen Rechtsstreit“, nicht aber generell im Arbeitsvertrag zu (9 Nc 19/14i = RS0046198 [T25]).

Stichworte