European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00137.22S.1221.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.647,18 EUR (darin enthalten 274,53 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Nebenintervenient auf Seiten der beklagten Partei hat die Kosten seiner Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Die Klägerin ist Eigentümerin der Grundstücke 2745/3 und 2745/12. Auf dem Grundstück 2745/3 ist ein Betriebsgebäude errichtet. Der Beklagte ist Eigentümer der benachbarten Grundstücke 2745/13 und 2745/2. Er ist Geschäftsführer und Gesellschafter einer GmbH, die Kanalreinigungen durchführt und diese Grundstücke nutzt. Darauf sind ebenfalls Gebäude errichtet.
[2] Die Rechtsvorgängerinnen der Klägerin und der Beklagte räumten einander mit Dienstbarkeitsvertrag vom 19. 4. 2013 wechselseitig Geh‑ und Fahrrechte ein, weil wegen der Art der Bebauung ein Zufahren zu den der Straße abgewandten Bereichen der Grundstücke nur unter Mitbenützung der jeweiligen benachbarten Grundstücke möglich ist. Danach kommt (unter anderem) den jeweiligen Eigentümern der Grundstücke 2745/2 und 2745/13 das unbeschränkte Geh‑ und Fahrrecht mit Fahrzeugen aller Art auf der einem beigelegten Dienstbarkeitsplan gelb eingezeichneten Fläche der Grundstücke 2745/3 und 2745/12 zu.
[3] Die Klägerin begehrt nach einer Ausdehnung der Klage im zweiten Rechtsgang – zusammengefasst und soweit für das Revisionsverfahren noch relevant – den Beklagten schuldig zu erkennen, in die Löschung der im Lastenblatt unter C‑LNR 10a einverleibten Dienstbarkeit zugunsten der Grundstücke des Beklagten 2745/2 und 2745/13 einzuwilligen. Dazu erhob sie zwei Eventualbegehren sowie weitere auf Unterlassung und Beseitigung gerichtete Klagebegehren. Der Dienstbarkeitsvertrag vom 19. 4. 2013 sei nicht ausreichend präzisiert und widerspreche daher dem Bestimmtheitsgebot. Er entspreche auch nicht dem seinerzeitigen Parteiwillen und sei damit nicht wirksam entstanden. Der Erklärungswille der Vertragsparteien sei darauf gerichtet gewesen, eine Zu‑ und Abfahrtsmöglichkeit zur Nutzung der Grundstücke 2745/3 und 2745/12 einerseits sowie der Grundstücke 2745/2 und 2745/13 andererseits zu schaffen. Die ausder dem Vertrag angeschlossenen Planbeilage gelb hervorgehobene Servitutsfläche auf ihren Grundstücken sei jedoch für diesen Zweck erheblich zu weit gefasst und dafür keinesfalls erforderlich und entwerte ihre Grundstücke völlig.
[4] Mit seinem im dritten Rechtsgang erlassenen Urteil stellte das Erstgericht fest, dass die mit dem Vertrag vom 19. 4. 2013 gemäß Punkt II. 1. vereinbarte Dienstbarkeit des Geh‑ und Fahrrechts zu Gunsten der Grundstücke 2745/13 und 2745/2 im Umfang einer näher beschriebenen und planlich dargestellten Fläche nicht bestehe, und sprach aus, dass die unter C‑LNR 10a zu Lasten der Grundstücke 2745/3 und 2745/12 der Klägerin einverleibte Dienstbarkeit insoweit unwirksam und damit eine Teillöschung in diesem Umfang vorzunehmen sei. Das darüber hinausgehende Klagebegehren, festzustellen, dass die zugunsten der Grundstücke des Beklagten einverleibte Dienstbarkeit auch im darüber hinausgehenden, ebenfalls näher beschriebenen und planlich dargestellten Umfang unwirksam sei und das darauf gerichtete Löschungsbegehren wies es ebenso ab, wie die übrigen auf Unterlassung bzw Beseitigung gerichteten Klagebegehren, die nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens sind. Der Umfang einer ungemessenen Dienstbarkeit richte sich neben der Situation zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auch nach dem zukünftig absehbaren Platzbedarf. Die beiderseitige Absicht der Vertragsparteien sei darauf gerichtet gewesen, ein Zufahren zur Rückseite der auf den Grundstücken errichteten Objekte in Vorwärtsfahrt und auch ein Reversieren zu ermöglichen, damit auch mit Lastkraftwagen in Vorwärtsfahrt wieder zur Bundesstraße abgefahren werden könne. Für diese Fahrmanöver sei auf den Grundstücken der Klägerin weder die unbefestigte Hangfläche noch der mit einem Flugdach überbaute Platz (die nach der dem Vertrag vom 19. 4. 2013 angeschlossene Plandarstellung ebenfalls Servitutsflächen sein sollen) erforderlich, sondern lediglich die vom abweisenden Teil dieser Entscheidung erfasste Fläche. Im diese Fläche übersteigenden Umfang bestehe die Dienstbarkeit mangels Utilitas nicht zu Recht; insoweit sei das Klagebegehren berechtigt.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Den Revisionsrekurs lies es über Antrag der Klägerin gemäß § 508 ZPO nachträglich zu, weil es einer Klarstellung des Obersten Gerichtshofs „zur Abgrenzung zwischen der Aufklärungspflicht einer Vertragspartei und dem Verschulden des anderen Vertragsteils an der unrichtigen Vorstellung über den wesentlichen Vertragsinhalt im Zusammenhang mit der Anfechtung wegen Arglist iSd § 870 ABGB“ bedürfe, aus der die Klägerin die Unwirksamkeit des Dienstvertrags vom 19. 4. 2013 ableite.
[6] Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO), nicht zulässig. Das ist kurz zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO):
Rechtliche Beurteilung
[7] 1. Es kann eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens begründen, wenn das Berufungsgericht die Rechtsrüge zu Unrecht als nicht gesetzesmäßig ausgeführt erachtet und deshalb ihre sachliche Behandlung verweigert (RIS‑Justiz RS0043231 [T9, T12]). Der Revisionsgrund nach § 503 Z 2 ZPO ist aber nur dann verwirklicht, wenn sich der Mangel auf die Entscheidung auswirken konnte (RS0116273).
[8] 1.1 Das Ausmaß der Dienstbarkeit richtet sich nach dem Inhalt des Titels, bei dessen Auslegung insbesondere der Zweck der Dienstbarkeit zu beachten ist (RS0011720), wobei die Ermittlung des Umfangs der Dienstbarkeit regelmäßig von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt (vgl RS0011720 [T7]).
[9] 1.2 Nach den Feststellungen ist aufgrund der Bebauung beider Liegenschaften entlang der Bundesstraße ein Zufahren in den hinteren Bereich der Liegenschaften insbesondere mit Nutzfahrzeugen nur unter Mitbenützung der jeweiligen benachbarten Grundstücke möglich. Bereits vor Abschluss des Dienstbarkeitsvertrags vom 19. 4. 2013 wurde daher unter Mitbenützung eines Teils des jeweils benachbarten Grundstücks zugefahren. Die Fahrzeuge fuhren in Vorwärtsfahrt zwischen den Gebäuden im Grenzbereich auf die der Bundesstraße abgewandte Seite der Grundstücke zu und nach Passieren der Engstelle entweder nach links auf das Grundstück 2745/12 der Klägerin, um in weiterer Folge in Rückwärtsfahrt Richtung Garage am Grundstück 2745/13 des Beklagten einzufahren. Umgekehrt fuhren Fahrzeuge, die auf das Grundstück 2145/13 der Klägerin zugefahren waren, rückwärts auf das Grundstück 2745/13 des Beklagten, um derart in Vorwärtsfahrt wieder auf die Bundesstraße zu gelangen. Zweck des Dienstbarkeitsvertrags vom 19. 4. 2013 war es, Rechtssicherheit fürdas dargestellte Zu‑ und Abfahren zu und von den jeweiligen Grundstücken zu schaffen.
[10] 1.3 Bereits in dem in dieser Sache ergangenen Beschluss zu 5 Ob 22/18y hat der Senat die Beurteilung des Berufungsgerichts, es liege eine ungemessene Servitut vor, für zutreffend erachtet. Ungemessene Dienstbarkeiten sind nach der Rechtsprechung auf den Zweck ihrer Bestellung einzuschränken (RS0011691 [T8]). Bei der dafür erforderlichen Interessensabwägung sind die Vorteile des Berechtigten und die Belastung für den Eigentümer des dienenden Guts in ein billiges Verhältnis zu setzen (RS0011733). Die Entscheidungen der Vorinstanzen entsprechen diesen Grundsätzen, weil sie die Servitut zu Lasten der dienenden Grundstücke der Klägerin auf jenes Maß begrenzen, das erforderlich ist, um von der Bundesstraße in Vorwärtsfahrt einzufahren und dann in Rückwärtsfahrt auf das Grundstück des Beklagten zuzufahren. Völlig unerheblich ist dabei, ob für dieses Rückwärtsfahrmanöver ein Einweiser erforderlich ist, wie es für den technisch möglichen Fall, dass Nutzfahrzeuge in Vorwärtsfahrt sogleich (also ohne Reversiermanöver über das Grundstück der Klägerin) auf das Grundstück des Beklagten zufahren und im Rückwärtsgang wieder auf die Bundesstraße einfahren, festgestellt ist. Damit kann die Klägerin mit ihrer Argumentation weder eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, weil das Gericht zweiter Instanz ihre Rechtsrüge, insoweit darin auf die Notwendigkeit eines Einweisers auch für den Fall abgestellt wurde, dass Nutzfahrzeuge im Rückwärtsgang zum Grundstück des Beklagten zufahren, als nicht vom Sachverhalt gedeckt ansah, noch eine unrichtige rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht aufzeigen. Nach dem erwiesenen Sachverhalt kann nämlich nicht zweifelhaft sein, dass die Einräumung der (wechselweisen) Servitut nicht darauf abzielte, Nutzfahrzeugen nur das Zufahren zum Grundstück des Beklagen zu ermöglichen, sondern gerade (auch) bezweckte, dass davon in Vorwärtsfahrt wieder auf die Bundesstraße eingebogen werden kann. Indemdie Klägerin erkennbar darauf abzielt, die Servitut auf das für eine (technisch mögliche, jedenfalls einen Einweiser erfordernde) Rückwärtsfahrt von der Liegenschaft des Beklagten in Richtung Bundesstraße notwendige Flächenmaß einzuschränken, unterstellt sie dem Dienstbarkeitsvertrag vom 19. 4. 2013 einen von den Feststellungen nicht gedeckten Zweck.
[11] 2. List im Sinn des § 870 ABGB ist rechtswidrige, vorsätzliche Täuschung (RS0014821). Das Verhalten des Täuschenden muss für den Irrtum kausal sein (RS0014790; RS0014821 [T3]). Ob der Irrtum positiv durch Vorspiegelung falscher oder irreführender Tatsachen erregt wurde oder ob vorsätzlich Tatsachen verschwiegen wurden, ist für die Beurteilung, ob List vorliegt, irrelevant (vgl RS0014790 [T8]; RS0014821 [T7]). Der Unterscheidung kommt nur insofern Bedeutung zu, als für eine Irreführung durch Verschweigen von Tatsachen als zusätzliche Voraussetzung zu fordern ist, dass der Irreführende gegenüber dem Irregeführten zur Aufklärung verpflichtet war (RS0014817; vgl RS0014790 [T4]).
[12] 2.1 Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts in seiner Zulassungsbegründung besteht „zur Abgrenzung zwischen der Aufklärungspflicht einer Vertragspartei und dem Verschulden des anderen Vertragsteils an der unrichtigen Vorstellung über den wesentlichen Vertragsinhalt“ bereits gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Rechtsfragen von der Qualität gemäß § 502 Abs 1 ZPO sind damit nicht angesprochen.
[13] 2.2 Maßgeblich ist, ob der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Geschäftsverkehrs eine Aufklärung erwarten durfte (RS0014820; RS0016390). Ob eine Aufklärungspflicht dem Vertragspartner gegenüber besteht, hängt aber stets von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0014821 [T7]; RS0014790 [T4] ua) und begründet damit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage. Im Einzelfall ist es entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht eine Aufklärungspflicht des Beklagten gegenüber den Rechtsvorgängerinnen der Klägerin als seinen Vertragspartnerinnen verneinte, weil sie ohnedies vom Vertragserrichter noch vor Unterfertigung des Servitutsvertrags darauf hingewiesen wurden, dass das Ausmaß der Dienstbarkeit laut der im Plan gelb hervorgehobenen Fläche bestehe, mag sich der Beklagte selbst auch darüber im Klaren gewesen sein, dass diese über das tatsächlich Notwendige hinausging.
[14] 3. Die Klägerin erklärt in ihrem Rechtsmittel zwar, ihr Vorbringen zur Schikane aufrecht zu erhalten, und verweist dazu pauschal auf das Prozessverhalten des Beklagten, kann damit aber auch insoweit nicht aufzeigen, dass die Beurteilung dieser Frage durch das Berufungsgericht nach den Umständen des Einzelfalls (dazu RS0110900) einer Korrektur bedürfte.
[15] 4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
[16] 5. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Beklagten auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO, hinsichtlich des Nebenintervenienten auf § 40 Abs 1 iVm § 50 ZPO. Der Beklagte hat in seiner Rechtsmittelbeantwortung auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision hingewiesen und daher Anspruch auf Kostenersatz. Der Nebenintervenient hat in seiner Revisionsbeantwortung auf das Fehlen der Voraussetzungen nach § 502 Abs 1 ZPO nicht hingewiesen, sodass ihm kein Kostenersatz gebührt (vgl RS0035962).
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