OGH 2Ob216/22m

OGH2Ob216/22m13.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und die Hofräte Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2021 verstorbenen W*, wegen Feststellung des Erbrechts zwischen den Antragstellern 1. DI Dr. H*, vertreten durch Neulinger Mitrofanova Čeović Rechtsanwälte OG in Wien, und 2. J*, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, über den Revisionsrekurs der Erstantragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 31. August 2022, GZ 23 R 293/22v‑30, mit dem einem Rekurs des Zweitantragstellers gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Neulengbach vom 20. Juli 2022, GZ 1 A 263/21f‑26, Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00216.22M.1213.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Erstantragstellerin ist schuldig, dem Zweitantragsteller die mit 2.207,70 EUR (darin enthalten 367,95 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der 2021 verstorbene Erblasser hinterlässt seine Nichte, die Erstantragstellerin, und eine 1994 eigenhändig geschriebene und von ihm unterfertigte letztwillige Verfügung, mit der er den Zweitantragsteller zum Alleinerben einsetzte. Die Verfügung wurde beim Erstgericht zu Nc 21/94h in einem Kuvert versiegelt hinterlegt, ohne dass sie von einem Gerichtsbediensteten unterschrieben oder ein Protokoll über die Amtshandlung aufgenommen worden wäre.

[2] Das Erstgericht verneinte eine formgültige letztwillige Verfügung, stellte das Erbrecht der Erstantragstellerin aufgrund des Gesetzes zum gesamten Nachlass fest und wies die Erbantrittserklärung des Zweitantragstellers ab.

[3] Das Rekursgericht gab einem Rekurs des Zweitantragstellers Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf und trug dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung zum von der Erstantragstellerin erhobenen Irrtums- und Erbunwürdigkeitseinwand auf. Das formgültig errichtete, eigenhändige Testament verliere durch die gerichtliche Hinterlegung nicht seine Wirksamkeit, mögen auch die Voraussetzungen für eine formgültige gerichtliche Verfügung mangels eines unterfertigten Protokolls nicht vorliegen. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zur Frage zu, ob ein formgültig errichtetes Privattestament seine Gültigkeit dadurch verliere, dass es zum gerichtlichen Testament gemacht werden solle, bei dessen Errichtung aber ein Formmangel auftrete.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der Revisionsrekurs der Erstantragstellerin, mit dem sie eine Abänderung im Sinn einer Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichts anstrebt, ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufgezeigt wird.

[5] 1. Aufgrund des Errichtungszeitpunkts der letztwilligen Verfügung ist die Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 anzuwenden (§ 1503 Abs 7 Z 5 ABGB).

[6] 2. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG).

[7] 3. § 578 ABGB aF verlangt zur Gültigkeit eines eigenhändigen (holographen) Testaments, dass die Verfügung vom Erblasser eigenhändig geschrieben und eigenhändig unterschrieben wird. Dies soll eine Garantie gegen die Verfälschung des Testaments bieten und die Feststellung der Identität des Verfassers ermöglichen (RS0012462 [T3]). Die letztwillige Verfügung des Erblassers erfüllt diese Voraussetzungen.

[8] 4. Um eine formgültige, schriftliche gerichtliche Verfügung zu errichten, muss der Erblasser die Urkunde wenigstens eigenhändig unterschreiben und persönlich dem Gericht überbringen, das den Aufsatz zu versiegeln und auf dem Umschlag anzumerken hatte, wessen letzter Wille darin enthalten war. Über das Geschäft ist ein Protokoll aufzunehmen (§ 587 ABGB aF; § 581 ABGB idFd ErbRÄG 2015). Das Gericht besteht aus einem Richter, dem am Orte der Testamentserrichtung das Richteramt zusteht, und einer zweiten beeideten Gerichtsperson (§ 589 ABGB aF; § 582 ABGB idFd ErbRÄG 2015).

[9] 5. Die Einhaltung der Form gehört zum objektiven Tatbestand der letztwilligen Verfügung. Sie muss daher nicht gewollt, sondern bloß erfüllt sein (RS0012373). Es entspricht Rechtsprechung (vgl RS0012493) und Lehre (Welser in Rummel/Lukas, ABGB4 § 601 Rz 7; ders, Erbrechts‑Kommentar, § 601 ABGB Rz 8; Mondel/Knechtl in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.04 § 601 Rz 10; Tschugguel in Klang³ § 601 ABGB Rz 12 ff und §§ 587590 ABGB aF Rz 8 [explizit zur vorliegenden Konstellation]; Nemeth in Schwimann/Kodek 4, § 601 ABGB Rz 6; Apathy/Neumayr in KBB6 § 577 ABGB Rz 3), dass ein in der beabsichtigten Form ungültiges Testament, das die Voraussetzungen und Formvorschriften einer anderen Testamentsform erfüllt, gültig ist.

[10] 6. Ob der Erblasser ein holographes Testament iSd § 578 ABGB aF oder eine gerichtliche Verfügung nach § 587 ABGB aF errichten wollte, ist daher unerheblich. Gleiches gilt für die Frage, ob weitere Personen beim (privaten) Testiervorgang anwesend waren. Maßgeblich ist allein der Testierwille (RS0045014) und die – hier erfüllte – Einhaltung der Form des § 578 ABGB aF durch eigenhändiges Verfassen und Unterfertigen der Verfügung. Mag die Verfügung des Erblassers auch die Formvorschriften eines gerichtlichen Testaments nicht erfüllen, ist es aufgrund der Einhaltung der für ein holographes Testament angeordneten Formvorschriften als solches gültig. Daran ändert auch die – wenn auch rechtsgrundlos (vgl 2 Ob 711/59 = RZ 1960, 101; Danzl, Geo9 § 168 Anm 1) – erfolgte Hinterlegung des holographen Testaments beim Erstgericht nichts. Dass der Erblasser seine letztwillige Anordnung nur als gerichtliche Verfügung gelten lassen wollte, ist nicht anzunehmen (RS0012493 [T2]). Aus dem Umstand, dass die Voraussetzungen eines gerichtlichen Testaments nicht eingehalten wurden, folgt demnach nicht, dass nicht dennoch ein formgültiges Privattestament vorliegen kann (vgl zuletzt im Zusammenhang mit der Nichterfüllung der Voraussetzungen eines notariellen Testaments: 2 Ob 170/22x Pkt 2.5. [„Es handelt sich vielmehr (bloß) um ein Privattestament, nämlich eine von der Notarsubstitutin nach Vorgaben des Erblassers verfasste fremdhändige letztwillige Verfügung unter Beiziehung eines Notars als Zeugen"].

[11] 7. Aus der im Revisionsrekurs ins Treffen geführten Entscheidung 2 Ob 63/22m ist nichts Gegenteiliges abzuleiten, ging es doch dort um die – letztlich verneinte – Frage, ob ein vor einem Notar in Notariatsaktsform errichtetes schriftliches Testament bzw ein Erbvertrag (auch) den Anforderungen des § 579 ABGB idFd ErbRÄG 2015 entsprechen muss und daher eine eigenhändige Nuncupatio des Erblassers erfordert.

[12] 8. Die vom Rekursgericht bejahte Gültigkeit der letztwilligen Verfügung als holographes Testament entspricht daher der ohnehin vorliegenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

[13] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 iVm § 185 AußStrG. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Revisionsrekurses gegen den Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts nach § 57 Z 5 AußStrG findet ein Kostenvorbehalt nicht statt (RS0123222 [T7]). Da der Zweitantragsteller in seiner Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, dient sein Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung (RS0123222 [T8]).

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