OGH 12Os119/22z

OGH12Os119/22z7.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Dezember 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Kastner in der Strafsache gegen * W* wegen des Verbrechens nach § 3g VerbotsG über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 30. Juni 2022, GZ 18 Hv 5/22f-26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00119.22Z.1207.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * W* des Verbrechens nach § 3g VerbotsG schuldig erkannt.

[2] Danach hat er sich am 26. Juni 2021 in S* auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VerbotsG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er seine Tätowierung eines Hakenkreuzes über Flammen auf seiner linken Brust für Dritte wahrnehmbar machte, wobei er es zumindest ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass dieses Verhalten geeignet ist, (zumindest) eine der spezifischen Zielsetzungen der National-Sozialistischen-Deutschen-Arbeiterpartei (NSDAP), nämlich Antijudaismus, Rassismus, Totalitarismus, extremen Deutschnationalismus, Militarismus und die Glorifizierung der Person Adolf Hitler als „Führer“, – im Inland oder mit Auswirkungen auf die Republik Österreich – zu neuem Leben zu erwecken oder zu propagieren und solcherart zu aktualisieren.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich Nichtigkeitsbeschwerden, die der Angeklagte auf Z 8 und die Staatsanwaltschaft auf Z 13, jeweils des § 345 Abs 1 StPO stützen. Sie verfehlen ihr Ziel.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

[4] Die Instruktionsrüge (Z 8) verkennt, dass sowohl der Bedeutungsinhalt einer (hier nonverbalen) Äußerung als auch dessen Beurteilung im Sinn des normativen Tatbestandsmerkmals „nationalsozialistisch“ – fallbezogen die Frage, ob das auf der Brust des Beschwerdeführers tätowierte Hakenkreuz „mit den Flammen gebrochen und somit quasi als durchgestrichen anzusehen“ sei und sich dieser damit in der Sache vom Nationalsozialismus distanziere – auf der Feststellungsebene angesiedelt und als Tatfrage nicht in die Rechtsbelehrung aufzunehmen ist (RIS‑Justiz RS0092588 [T22], RS0119234; siehe dazu auch Lässig in WK2 VerbotsG § 3g Rz 17; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 31).

[5] Aus welchem Grund die auf die Ermittlung des Bedeutungsinhalts dieser Äußerung bezogenen Ausführungen der Rechtsbelehrung (S 19 f) oder jene zur objektiven Eignung der Äußerung für eine Betätigung im nationalsozialistischen Sinn (S 18 f der Rechtsbelehrung; vgl dazu Lässig in WK2 VerbotsG § 3g Rz 6) falsch wären, erklärt die Rüge im Übrigen nicht.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

[6] Die Sanktionsrüge (Z 13 erster Fall) bekämpft die Nichtanwendung des § 39 Abs 1 StGB unter Verweis auf auszugsweise dargelegte (die Aggressions- und Gewaltbereitschaft des Angeklagten dokumentierende) Vorverurteilungen und behauptet, die nun abgeurteilte Tat sei auf den gleichen Charaktermangel zurückzuführen.

[7] Sie übersieht zunächst, dass insoweit stets eine einzelfallbezogene Prüfung dahin vorzunehmen ist, ob das zu beurteilende Verhalten – kriminologisch betrachtet – gleichartig iSd § 39 Abs 1 iVm § 71 StGB ist (RIS-Justiz RS0092047, RS0092107, RS0092151; Flora in WK2 StGB § 39 Rz 20 ff; Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 71 Rz 2 und 5).

[8] Ausgehend davon legt sie nicht dar, weshalb die abgeurteilte propagandistische Äußerung des Angeklagten (vgl RIS-Justiz RS0079825; Lässig in WK2 VerbotsG § 3g Rz 4) – ausgehend von deren Bedeutungsinhalt – fallbezogen auch ihre Wurzel in dessen Aggressions- und Gewaltbereitschaft haben sollen.

[9] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§§ 344, 285i StPO).

[10] Dieses wird zu berücksichtigen haben (vgl RIS‑Justiz RS0119220, RS0122140), dass das Geschworenengericht weder mit der durch Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 20. Jänner 2020, AZ 45 Hv 54/19s, erfolgten Vorverurteilung wegen § 107 Abs 1 StGB und § 50 Abs 1 Z 3 WaffG noch sonst iSd § 33 Abs 1 Z 2 StGB iVm § 71 StGB einschlägige Vorverurteilungen des Angeklagten festgestellt, aber dennoch in Rechnung gestellt hat (US 3 vorletzter Absatz; § 345 Abs 1 Z 13 zweiter Fall StPO; vgl RIS-Justiz RS0116960; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 2 iVm § 281 Rz 692 und 698) und solche – im Sinne der in Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft dargestellten Erwägungen – auch nicht (in ON 23) aktenkundig sind.

[11] Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last (§ 390a Abs 1 StPO).

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